Kapitel 17 - Wahrheiten

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Ich öffne meine Augen. Sofort bin ich hellwach, und ich bemerke, dass ich auf einem glatten Fußboden liege. Der Raum ist abgedunkelt, doch ich kann durch die Schlitze im Rolladen mehrere Lichtstrahlen erhaschen. Ich höre dumpfe, aufgeregte Stimmen. Manche von ihnen kommen mir seltsam bekannt, andere sogar vertraut vor.

Eben war da noch diese Explosion, ich saß in einem Transporter der Armee, und im nächsten Moment liege ich auf dem Fußboden. Wo bin ich? Ist das hier überhaupt real? Es ist schwierig, zu verstehen, was mit mir los ist. Und während ich so darüber nachdenke, beschließe ich, aufstehen zu wollen.

Ich versuche, mich zu bewegen, doch irgendetwas stimmt nicht. Ich versuche, meinen rechten Arm, welcher in einer wirklich unangenehmen Position unter mir liegt, anzuheben, doch es rührt sich nichts. Allmählich nehme ich ein stätig monoton piependes Geräusch wahr, welches sich direkt über mir befinden muss. Erst ganz leise, dann aber eindeutig.

Dann fange ich an, immer mehr zu spüren. Es sind vorallem Schmerzen, die sich durch meine Gliedmaßen ziehen. Sie sind zunächst nur so schwach wie sich eine sanfte Berührung anfühlen würde. Schnell jedoch wandelt sich das Gefühl in eine unaushaltbare Qual, wie ich sie noch nie erlebt habe.

Schon bald fühle ich etwas gänzlich anderes: der Boden schwingt, und ich sehe, wie die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen wird. Ich habe Angst, und aus Instinkt versuche ich ein lautes "Hey!!" von mir zu geben. Doch aus meinem Mund entweicht bloß ein dumpfer Laut, der dem Mordgelüster eines Zombies gleicht, kombiniert mit einem warmen Sabberfaden.

"Du Mistkerl.. du miese Sau du..", gibt der Schrank im Arztkittel von sich. Unsanft packt er mich an meiner Hüfte und hebt mich zurück in das Krankenbett, aus dem ich scheinbar gefallen sein muss. Ich bemerke erst jetzt, dass ich bloß ein Nachthemd trage und mehrere Schläuche aus meinen Armen in die vielen lauten Geräte neben mir führen. Der Riese steckt noch mehr Kabel in meine Arme, sie scheinen bei meinem Sturz abgerissen worden zu sein.

Ich betrachte gerade noch die vielen Kabel, die zu einem gruselig wirkenden Monitor führen, welcher eine grüne, zackenartige Linie abbildet, als dieser riesige behaarte Affe grob meinen Arm packt und mir brutalst eine beunruhigend lange Nadel in meine Adern rammt. Es brennt wie Feuer, ich versuche aufzuschreien, doch ich bin stumm. Stattdessen höre ich, wie das Piepen immer leiser wird und der Schmerz nachlässt. Ich fühle mich besser, eigentlich gut. Sogar so gut, dass ich glatt einschlafen könnte. Das Bett fühlt sich wunderbar gemütlich, wirklich warm und wohlig an. "Du wachst uns nicht nochmal auf", ist das Letzte, das ich wahrnehme, bevor ich zufrieden und in Watte gepackt in einen tiefen Schacht falle.

Ich wache auf und bin verwirrt. Es ist unglaublich heiß und ich spüre sofort eine riesige Menge an Schmerzen. Alles brennt wie Feuer und fühlt sich Bleischwer an. Ich versuche mich zu orientieren. Glassplitter häufen sich vor meiner Nase, ich nehme eine weitere, dumpfe Explosion wahr. Ich sehe Blut auf dem Boden vor mir, ein tropfen läuft mein Gesicht hinunter. Ich richte mich ein wenig auf und merke sofort, dass es mir schwerfällt, zu atmen. Als ich mir ins Gesicht fasse, schreie ich auf, denn es fühlt sich so an, als würde ich tausend kleine Nadeln in der Hand halten und sie mir freiwillig ins Gesicht drücken. Ich sehe mich um und wegen der Tatsache, dass ich einen verbrannten, zerstörten, kohleschwarzen Truck einige Meter weiter neben mir ausmachen kann, kann ich ahnen, dass ich nur knapp dem Tode entkommen bin.

Ich stehe mit aller Kraft auf und beginne zu taumeln, denn ich bin wackelig auf den Beinen. Ann muss hier irgendwo liegen, denke ich mir, während ich, gelähmt von all dem Schmerz, um den Truck herumfalle. Ich schaue überall, in meiner Eile stoße ich meine Schulter an der aufgesprengten Fahrertür des verbrannten Trucks. Erst jetzt bemerke ich, dass eine erschreckend tiefe, bedrohlich aussehende Wunde meine Schulter ziert.

Nach einer Weile finde ich sie: ihr Bein ist unter einer weggesprengten Tür des Trucks eingeklemmt. Sie ist nicht bei Bewusstsein, hat aber einen flachen Puls. Mehrere Platzwunden und Verbrennungen zieren ihre Haut.

Ich muss handeln, und ohne weitere Überlegung greife ich die Tür und werfe sie beiseite. Statt mich zu freuen, dass ich die schwere Tür beiseite werfen konnte, schreie ich auf, denn die Tür ist wesentlich heißer als der erwärmte Schalldämpfer der USP-S war, damals, als ich noch Schießübungen praktizierte. So unvorstellbar heiß, dass sich der Schmerz erst wenige Sekunden später bemerkbar macht. Ich brauche dringend einen Erste-Hilfe-Koffer, nicht bloß für Ann, sondern jetzt auch noch für mich, und weit und breit scheint keiner zu sein.

Plötzlich erinnere ich mich. Ich hatte einen Koffer in meinen Rucksack gepackt. Der Rucksack war jedoch nach meiner Rückkehr aus der Ohnmacht leider nicht bei mir. Panik macht sich in mir breit, denn er könnte samt dem roten Notizblock und meiner Pistole verbrannt und zerstört sein. Nein, rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis, das könne nicht sein, er wäre direkt zwischen meinen Beinen während der Fahrt gewesen. Wäre er zerstört, so wäre ich jetzt ebenfalls bereits in Stücke gerissen und sorgfältig verbrannt.

Doch ich bin es nicht, und er ist es auch nicht. Mein Gefühl lügt nicht, als ich ihn entdecke, wie er sich unter einer schwarzen Masse versteckt. Ich brauche diese Tasche unbedingt, immerhin liegt dort nicht nur die Offenbarung, welche mir erklären kann, was mit mir los ist, sondern auch die Rettung für mich und die Person, die mir schon oft nicht mehr aus dem Kopf ging, mich sogar bis in alle Träume verfolgte.

Ich greife die Tasche und rolle den schwarzen Matsch beiseite. Er fühlt sich merkwürdig an, und als ich ihn betaste, stoße ich auf ein hartes Objekt. Es ist flach und rund, ich ziehe es heraus. Der Dreck verdeckt das Medaillion, und nach kurzem Wischen enttarnt sich der Schriftzug "Verdienstmedaillie" und den Namen meines ehemals besten Freund. Der Untertitel der Medaillie liest sich "Philipp J. Miller".

Mir wird schlagartig schlecht, als ich realisiere, was mir vorliegt, und kurzerhand muss mich ich neben Philipps Resten übergeben. Da liegt mein Freund. Ihm sollte Ehre erwiesen werden, denke ich, und ohne weitere Überlegungen nehme ich mein T-Shirt und decke die stinkende, ekelerregende Masse zu. Oberkörperfrei begebe ich mich mit der Tasche schnell weg von diesem grausamen Anblick. Eine Träne läuft mir die Wange herunter, und neben all dem Schmerz macht sich ein dringendes Durstgefühl breit. Beim laufen betrachte ich die Umgebung, wir sind hier auf einer der längsten Geraden Amerikas, mitten in einer Wüste. Ohne Wasser überleben wir nicht lange.

Ich Knie mich neben Ann, ihre Augenlieder zucken leicht. Sie scheint bald aufzuwachen, und mir bleibt nicht viel Zeit für ihre Wunden. Wenn ich nicht schnell genug agiere, wird sie aufwachen und heftige Schmerzen verspüren. Ich bin kein Arzt, aber ich habe eine Ausbildung erhalten, wie man sich in so einer Situation verhält.

Ich öffne ruckartig meine Tasche, hektisch zerre ich den Koffer aus meiner Tasche. Darin befinden sich Mullbinden, Desinfektionsmittel und zum Glück eine Spritze Morphin. Ich habe gehört, Morphin sei ein sehr starkes Schmerzmittel und kann abhängig machen, aber ich habe keine Wahl. Ich entferne den Schutz der Spritze, desinfiziere die Spitze absichtlich nochmal und injeziere das Schmerzmittel intravenös.

Wenige Momente später wacht sie auf.

Connor BlackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt