Kapitel 16 - Lügen

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Ich sitze also auf dem Beifahrersitz eines Armeetransporters und beobachte Daniels, wie sie mit ihren filigranen Händen das riesengroße Lenkrad trotz der scheinbar unendlich langen, einsamen Geraden fest entschlossen umklammert. Mir wird langweilig, also reflektiere ich und rufe mir erneut die Fehler ins Gedächtnis, welche Daniels vorhin an mir bemängelte.

Die Übergabe verlief zwar seriös, bloß hatte ich bei all der Aufregung meine und Philipps Position vertauscht. Er habe zwar gut reagiert, Improvisation sei ihr dennoch ein Dorn im Auge.

Als ich da so stand, gekleidet in Tarnfarben und bewaffnet, nicht nur mit meiner Einsatzpistole, aber auch einem Gewehr, bekam ich Angst. Nicht etwa davor, etwas würde aus dem Ruder laufen. Nein, Angst, ich würde wieder Dinge sehen, die gar nicht da sind. Ein Schweißtropfen lief mir die Stirn hinab, als ich in die Ferne sah und beobachtete, wie die Luft waberte. Mein Körper bebte vor Angst. Doch ich hielt kurz inne und beschloss schnell, es müssten Dichteveränderungen sein. Ich erkannte sie wieder, da ich sie in meiner tiefen Kindheit oft auf dem Highway sah, wenn mich mein Vater von der Schule abholen kam.

Diese Ablenkung sei ihr auch aufgefallen, daran hätte ich arbeiten sollen, meint Daniels. Gruselig, was diese Frau alles mitbekommt. Nachdenklich betrachte ich sie weiterhin und denke über mein ungelöstes Problem nach. Es könnte sein, dass sie mich wirklich geküsst hat. Es könnte aber genauso gut sein, dass ich es mir bloß eingebildet hatte.

Gerade in diesem Moment betrachtet sie mich kurz, sie mustert mein Gesicht binnen weniger Sekunden. "Black, machen Sie sich nichts aus meinen Vorwürfen. Ich kann mich nicht konzentrieren bei ihrem Anblick."

Sie nimmt wohl an, mein Blick sei auf ihre Anschuldigungen zurückzuführen. Das ist gut, so ahnt sie keinen meiner wahren Gedankengänge. Sie vermutet wohl, ich blicke sie so oft hastig an, weil sie meine Ausbilderin verkörpert und ich versuchen würde, ihre Bewertung meinerseits einzuschätzen.

Ich wende also meinen Blick von ihr ab und betrachte das Seitenfach meiner Tür. Neben einem Erste-Hilfe-Set liegt dort ein rosa gefärbtes Döschen. Es scheint eine Kaugummipackung zu sein, ich nehme sie und inspiziere sie genauer. Ein starkes Deja-Vu Gefühl befällt mich, und ich versuche, mich zu erinnern, wo ich diese rosa Packung Kaugummis schonmal gesehen habe.

Ich zerbreche mir den Kopf, doch ich finde keine Antwort. Mein Gehirn ist zu vernebelt, vielleicht von der Eintönigkeit der Fahrt. Da dreht sich Daniels ein weiteres Mal zu mir. "Für ihren ersten Einsatz war das doch gar nicht schlecht, Connor."

Unglaublich, schon wieder ein Kompliment. Ein leises Schnauben entgleitet mir, als sie mich beim Vornamen nennt. Scheinbar irritiert hakt sie dreist nach, weshalb ich ihrer erwarteten Reaktion trotze, und dreht sich zu mir: "Was ist? Spucken Sie es schon aus!"

Wir halten einen langen, unangenehmen Blickkontakt. In ihren Augen sehe ich Erregung, eine gewisse Unsicherheit. Mehrere Sekunden starren wir uns an, doch ich fühle, dass ich dieses Mal derjenige bin, der sie in meinen Bann zieht. "Ma'am, wir kommen von der Straße ab", beende ich unseren Blickkontakt.

Sie korrigiert und macht dabei einen mürrischen Eindruck, denn sie reißt das Lenkrad wieder in seine rechte Position. Ich blicke auf die menschenleere, ewig lange Straße. Weit und breit niemand vor uns, und auch, als ich in den Außenspiegel blicke, entdecke ich nichts als das ewige Nichts.

Mein Blick festigt sich im Spiegel und schweift zu den großen, hypotisierenden Reifen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wirklich auf Mission zu sein. Alles wirkt so surreal, besonders, seitdem ich weiß, dass etwas nicht mit mir stimmt. Während ich so darüber nachdenke, fällt mit plötzlich etwas im Schatten der großen Reifen auf.

Mir wird schlagartig schlecht, ein wirklich unangenehmes, widerliches Gefühl durchläuft meine Adern, als ich ein rötlich aufblitzendes Licht im Schatten erkenne. Mein Herz beginnt wie wild zu pochen, und einen Moment lang halte ich inne. Ich komme zu dem Entschluss, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt.

"Ma'am, da--", versuche ich auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen, doch sie unterbricht mich. "Ich weiß genau, was sie jetzt sagen wollen! Nein, ich werde Sie nicht in Schutz nehmen, nur weil Sie nicht ganz auf der Höhe sind." Sie weiß also, dass ich krank bin. Auch das noch. Für einen Moment vergesse ich die Gefahr und muss mir erneut bewusst werden, das wir alle in ernsthafter Lebensgefahr sind.

"Nein, hören Sie.. da--", versuche ich von mir zu geben, doch erneut unterbricht sie mich. "Hören Sie schon auf! Ich hasse Sie, wenn Sie mich ansehen, als wäre das, was ich tat, unmöglich! Als ob ich zu widerlich dazu wäre." Ich halte inne, denn das, was sie sagte, könnte mich aus meinem Zwiespalt, und somit in Lebensgefahr bringen.

Wenn sie den Kuss mit uns meinte, dann habe ich nicht fantasiert, dann hat sie etwas für mich übrig und ich hätte somit jemanden, dem ich bedingungslos vertrauen kann. Dann hätte ich einen Grund, gegen meine Krankheit zu kämpfen, jemanden, für den sich alles lohnt. Es würde aber auch bedeuten, dass ich mir die Gefahr sicher nicht einbilde.

Wenn sie aber andererseits befürwortet, dass sie Komplimente trotz ihrer Art, wie sie mit Soldaten umgeht, von sich gibt, dann würde gerade das bestätigen, dass der Kuss nicht stattgefunden hat und sie mich in Wahrheit gar nicht ausstehen kann. Wir wären zwar außer Lebensgefahr, doch ich weiß nicht, ob mir diese Option eher gefallen würde.

Ich bin wieder in einer Zwickmühle gefangen, und außerdem muss ich mich konzentrieren. Wenn wirklich los ist, was ich glaube, was los ist, dann muss ich handeln.

"Code Red, ein gefährlicher Fremdkörper befindet sich an der Unterseite des Fahrzeugs."

"Ist das wahr?", fragt Daniels, als ob ich vielleicht lügen würde. "Im Schatten des Reifens erkenne ich ein rötlich blinkendes Licht, vielleicht befindet sich dort eine Bombe", versuche ich meine Sorge zu erklären.

"Das ist Unsinn.. der Stützpunkt eben gehört praktisch der Army, wieso sollten uns unsere eigenen Leute sabotieren? Das, was Sie sehen, sind vermutlich die Lichter der Rückleuchten", hakt sie scheinbar ungläubig nach. Doch ich beharre auf meinen Versuch, sie zu überzeugen. "Sie riskieren unser aller Leben, wenn sie nicht vorsichtig sind."

"Na schön, ich werde anhalten und wir werden nachschauen." Sie entschleunigt langsam. Zumindest fühlen sich die Sekunden, in denen sie entschleunigt, wie eine halbe Ewigkeit an. Ein starkes Unwohlsein überkommt mich und sichtlicherweise auch Daniels, denn scheinbar gleichzeitig kommt uns dieselbe katastrophale Ahnung, von der wir wissen, dass wir sie nicht mehr aufhalten können.

Sie schaut mich an und ich blicke ihr scheinbar ewig in ihre wunderschönen Augen. Die Welt scheint stehen zu bleiben, und einen Moment ist alles in Ordnung. Für eine wirklich kurze, dennoch erfrischende Weile sind meine Probleme und Zwickmühlen egal. Ich betrachte in diesem Augenblick nur sie und sehe in ihr einen besonderen Menschen.

Dann gibt es einen furchtbaren, lauten Knall. Scherben fliegen und Klirren im gesamten Transporter. Ich bin nicht verrückt, ist das letzte, woran ich denke, bevor ich mir den Kopf am Armaturenbrett des Transporters stoße und in einen tiefen, schwarzen Schacht falle.

Connor BlackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt