Kapitel 23 - Rettung

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Wie sie mir erzählt, was passiert war, sehe ich nichts anderes, als ihre Mimik, und höre nicht mehr, als ihre Worte. Nach einer kurzen Pause halte ich inne. "Ann, ich glaube, ich erinnere mich da an etwas", spreche ich aus Überzeugung. Es muss nach dem Unfall gewesen sein, anders kann ich das Erlebte nicht einordnen. Nun beginne ich, ihr zu erzählen.

Mittlerweile 22 Tage zuvor.

Wenn man bewusstlos ist, dann fühlt man gar nichts. Man denkt nicht, man weiß sogar nicht einmal, wie viel Zeit vergeht. Alle Sinne verschwinden und man fühlt sich, als würde man im großen schwarzen Nichts schweben, in Gefahr zwischen Tod und Leben. Es würde einem Angst einflößen, wenn man darüber nachdenken könnte. Aber man kann es nicht, und deshalb fühlt man auch nichts. Man existiert einfach, ob für ein paar Stunden, ein paar Sekunden oder sogar nur einen Augenblick.

Ohnmächtig sein ist für jeden anders. Und so ist es auch für mich anders. Ich bin in diesem schwarzen, großen Nichts und dennoch fühle ich etwas. Ich sehe nicht, ich höre nicht, aber ich fühle etwas. Es ist unangenehm kühl. Nicht, als würde ich frieren oder mir einen Kältebrand zuziehen. Es ist nur eben etwas kälter, als ich es gewohnt bin.

Dann plötzlich eine Veränderung, keine Ahnung, wie lange ich in dem vorherigen Zustand verweilte. Der kühle Luftstrom wird stärker und kälter, bis er sich schließlich in einen starken Sog wandelt, der mich vorwärts zerrt. Und dann beginne ich, schwer zu atmen. Ich spüre auch langsam wieder meine Gliedmaßen. Erst ganz schwach, dann aber immer eindeutiger. Sie sind wie betäubt, matt, ausgelaugt.

Einen Moment später bemerke ich, dass ich die Augen geschlossen halte. Mein Schädel beginnt zu brummen, ich spüre, dass ich nach vorne gebeugt sitze. Erst jetzt öffne ich meine Augen und bemerke, dass ich auf einem weißen Stück Stoff liege. Es funkelt so schön im Mondlicht.. seine Lichtstrahlen scheinen vom offenen Fenster meiner Autotür herein. Ich hebe meinen Kopf von dem bequemen Stoff und entdecke erstaunt eine rote Spur auf dessen Oberfläche.

Nicht nur das: das Funkeln auf dem runden Stück Stoff stellt sich als ein Meer gefährlicher Glassplitter aus. "Ich lag eben in diesem Haufen Glasscherben", denke ich. Vor Schreck fasse ich mir an die Stirn, doch bei meiner eigenen Berührung muss ich sofort lauthals aufschreien. So laut, dass mir beinahe der Hals mehr wehtut als die zahlreichen Schnittwunden in meinem Gesicht. Meiner Nase laufen rote Tropfen dicken Blutes herunter. Ich beobachte seinen Verlauf zwischen meinen Augen. Verdammt!

Ich schwenke meinen Kopf zu meiner Rechten und sehe etwas, dass ich im selben Augenblick bereue, gesehen zu haben. Ein riesiges Loch und unzählige Risse ziert die Windschutzscheibe, aus der eine blaue Jeans in den vorderen Teil meines Autos ragt. Und plötzlich erinnere ich mich.

"Ann.. Ann!!", schreie ich aus Leibeskräften. Ich suche den Türgriff und reiße meine demolierte Fahrertür auf. Doch beim Aussteigen erkenne ich erst das gesamte Ausmaß. Der LKW, der uns entgegen kam, liegt nun im Graben. Der Fahrer ist angeschnallt zwar, er rührt sich aber nicht vom Fleck. Stattdessen kann ich das Leuchten eines elektronischen Gerätes in seinem Gesicht erkennen, als ich ihn einen Moment lang durch die intakt gebliebene Frontscheibe beobachte.

Dann widme ich mich Ann. Mit ihrem Kopf frontal durch die Scheibe geschossen hängt sie bis zur Hüfte in einem scharfkantigen Loch. Unzählige Scherben häufen sich auf und um die Motorhaube herum. Es knistert und knackt unter meinen Sohlen, als ich mich der Haube nähere und Ann betrachten will. Wie schwer ist sie verletzt? Ich packe ihr Handgelenk, um zu überprüfen, ob ich einen Puls fühle.

Nichts. Ich warte einige Sekunden und greife erst dann um. Immernoch nichts. Langsam verliere ich die Geduld und Presse ihren Unterarm immer fester. Sie darf nicht tot sein, nicht, weil ich so dumm war und betrunken losfuhr. Mir kommen die Tränen, als ich schließlich doch einen Puls fühlen kann. Er ist schwach und langsam, aber vorhanden. Oh gott.. ich fange nur noch mehr an, zu heulen, jetzt, wo ich weiß, dass sie nicht tot ist. Teils wegen der Erleichterung, teils wegen des Schocks.

Connor BlackWo Geschichten leben. Entdecke jetzt