Das Geräusch des Zähneschrubbens knistert heute morgen besonders laut, denke ich. Das, und die Tatsache, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich betrachte mich im Spiegel und stelle tausend Theorien auf. Ein Tumor sitzt in meinem Kopf, und ich träume deshalb mit Zusammenhängen. Oder der Alkohol gestern Abend, der war sicher zuviel.
An gestern Abend, ja, da schweifen meine Gedanken auch hin. Da war dieser merkwürdige Blickkontakt mit Ann. Dieser Blick, und dieser Kuss, das war kein Zufall. Sie wollte etwas von mir.. etwas, was ich ihr nicht geben konnte. Weil es falsch gewesen wäre, auf ihren Blick einzugehen, sie zu verführen und in mein Apartment mitzunehmen.
Ich lege meine gesäuberte Zahnbürste zurück ins Glas und betrachte mich im Spiegel. Irgendwie kann ich mich nicht konzentrieren, ich kann mich nicht wirklich ansehen, denke ich. Plötzlich schmerzt mein Kopf höllisch. Ich versuche zu schreien, aber der Schmerz lässt mich verstummen.
Benommen vom dröhnenden Schmerz sacke ich auf meine Knie, fasse an die Stelle, an der ich meinen Schmerz vermute. Sie ist nass, etwas warm, und ohne weiteres Nachdenken betrachte ich meine Hand. Da ist dieser mit Blut bedeckter Finger. Mir wird unwohl, und ich realisiere, dass das Blut aus meinem Kopf ausgetreten sein muss.
Ich spüre außerdem etwas in meiner Hand. Das Öffnen lässt mich staunen, denn ich halte einen Autoschlüssel in der Hand. Träume ich?
Ich schließe meine Augen ganz fest, und allmählich lässt der Schmerz nach. Ich höre eine Stimme, eine weibliche. Sie ruft nach mir. Ist das.. nein, kann nicht sein. Oder doch? Als ich da so in Gedanken versinke, begreife ich zunächst gar nicht, dass ich keine schmerzen mehr habe. Dass ich stehe.
Ich mache die Augen auf, und sehe mich im Spiegel, wie ich gestützt am Waschbecken stehe. Sichtlich verwirrt betrachte ich meine Hände und fühle nochmal meine Schläfe nach. Was geschieht mit mir? Brauche ich vielleicht doch einen Psychiater, und merke es gar nicht? Ich verlasse den Raum und mache mich schleunigst auf den Weg zu meinem Termin.
Die hölzerne Tür mit Dr. Mays Namenschild an seiner Seite steht weit offen. Erst jetzt bemerke ich, dass ich jedes Mal beim Betreten ein Gefühl von Unwohlsein empfinde. Es ist nicht Dr. May, oder die Tatsache, dass mir einen Psychiater angeordnet wird, es ist der Raum an sich.
Dieser Raum, das ist ein Raum mit weißen Wänden, einem Fichtentisch an der einen, mit einer angenehmen Couch auf der anderen Seite. Die riesige Glaswand bietet eine schöne Aussicht auf das Übungsgelände, hinter welchem die verschwiegene Freiheit, das echte Leben, verborgen bleibt. Die Pflanze in der Ecke lässt den Raum unschuldig wirken, so, als wäre es ein normaler Raum.
Ich setze mich noch leicht benommen auf die Couch. Er schließt die Tür und lehnt sich an seinen Tisch. Normalerweise grinst er jedes Mal mit seinem aufgesetzten Lächeln. Heute jedoch schaut er mich betroffen, beinahe beleidigt an.
"Dr. May..", versuche ich im Voraus anzusprechen, doch er unterbricht mich ohne abzuwarten.
"Nein, du brauchst nichts zu sagen. Wir wissen bescheid, über deinen Zustand." Mit seinen kalten Augen mustert er meine Körpersprache. Seine Knollnase zuckt ein wenig, als er mich so analysiert. Ich verstehe nicht.
"Vorhin, da ist etwas passiert, es--", versuche ich erneut, doch keine Chance. "Nein, hör auf zu reden. Wir haben alles gesehen", antwortet er schlagfertig.
Wir? Wer soll das sein, er und seine Kollegen? Seine doppelte, gespaltene Persönlichkeit? Der höchste Offizier etwa? Mir scheint alles möglich nach meinem Realitätsfiasko im Badezimmer.
"Erzähle mir weiterhin von bedeutenden Ereignissen deiner Vergangenheit, deiner Schulzeit etwa."
Ich versuche, deutlich zu machen, dass ich dringendere Probleme habe: "Hören Sie, ich.."
"Erzähle mir." Sein Blick ist durchdringend, wie der Blick eines Raubtiers. "Es ist wirklich dringend."
"Also schön, ich war da auf dieser Schule, sie nennt sich die Defuse High. Ich zog erst neulich hin, als ich in die achte Klasse kam. In einen Freundeskreis war ich zwar integriert, dennoch wollte ich mit ihnen nicht viel zu tun haben. Ich interessierte mich eher für die Mädchen auf unserer Schule. Das wurde mir klar, als ich diese hübsche Blondine.."
Ich gerate ins Stocken. Dieselbe Pflanze, die ich eben noch als unschuldig ansah, scheint sich plötzlich zu bewegen. Sie neigt sich, ähnlich wie ein Gummibaum, Mal nach links, Mal nach rechts. Ich unterbreche meine Erzählung so lange, bis Dr. May aufmerksam wird. "Connor? Oh nein.. was siehst du?"
"Diese Pflanze.. sie neigt sich". Er schaut nicht einmal in die Richtung der Pflanze, sondern sieht mich an. Er bemitleidet mich, das spüre ich. "Was hat das zu bedeuten?"
"Nun Connor, du siehst manchmal Dinge, die nicht sein können. Damit musst du dich abfinden, das sind Nebenwirkungen deiner.. Heilung." Seine ruhige Stimme schien beim letzten seiner Worte unsicher.
"Heilung? Was ist los mit mir?" Ich bekomme keine Antwort, stattdessen öffnet er sachte die hölzerne Eingangstür des Raumes. "Du solltest dich jetzt ausruhen, ich ordne Bettruhe für die nächsten 24 Stunden an." Danach setzt er sich seelenruhig mit seinem Notizblock hin.
Na toll. Ich bin anscheinend verrückt oder so, sehe paranormale Dinge und hab jetzt auch noch Zimmerarrest. Wundervoll, denke ich. Bei dem Gedanken an etwas Wundervolles schweife ich zu Ann. Ihr zartes Gesicht und ihre schönen Augen, wie sie mich so anschauen, beruhigen mich sehr.
Die Pflanze, die sich eben noch unwillkürlich bewegte, steht nun still. Erstaunt schaue ich sie an. "Sie steht still". Noch erstaunter als ich scheint May zu sein, denn er legt seinen Notizblock beiseite und konzentriert sich vollkommen auf mich.
"Woran hast du gedacht, Connor? Das ist jetzt sehr, sehr wichtig." Instinktiv antworte ich: "Das kann ich ihnen nicht sagen." Natürlich würde man mich zur Rechenschaft ziehen, würde man herausfinden, dass ich auf meine Ausbilderin stehe. Aber für mich ist gut zu wissen, dass sie eine beruhigende Wirkung auf meine Halluzinationen hat.
Er seufzt. "Nun gut, aber woran du auch immer gedacht hast, behalte es dir gut im Kopf, wenn du nochmal.. solche Dinge siehst." Ich erhebe mich und trete wortlos durch den Türrahmen, in welchem mir ein grausamer Gedanke kommt. Zögerlich drehe ich mich zu ihm.
"Dieser Notizblock.. von welcher Marke ist er eigentlich?" Sein Blick scheint verwirrt. "Welcher Notizblock?"
DU LIEST GERADE
Connor Black
Mystery / ThrillerConnor Black, ein heranwachsender, ehemaliger Student der Defuse High, steigt die Karriereleiter der amerikanischen Armee unerwartet auf, obwohl er versucht, an Freiheit zu gewinnen. Ein Balanceakt zwischen dem Bestreben nach Pazifismus mit Aussicht...