Kapitel 6.2

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Amelie



Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als wir um die erste uns unbekannte Ecke biegen. Meine Hände zittern und in meinem Kopf laufen verschiedene Szenarien ab, was passieren könnte... doch nichts davon tritt ein. Warum sollte es auch? Das Labyrinth weiß ja nicht, bis wohin unser Wissen reicht.


Statt uns aufspießen zu lassen, eine Bodenplatte auszulösen oder von Monstern angefallen zu werden, laufen wir also einfach weiter den Gang entlang. Das leichte, rhythmische Hallen unserer Schritte ist das einzige Geräusch und langsam beruhigt sich mein Puls. Dann berührt meine Hand, die bis dahin das Mauerwerk zu unserer rechten abgetastet hat, auf einmal nur noch Luft. „Taio", flüstere ich und merke, wie er neben mir stehen bleibt. „Hier ist eine Abzweigung."


Kurz sagt er nichts, dann fragt er: „Also, geradeaus oder rechts?"
In meinem Kopf versuche ich die Karte des Labyrinths aufzurufen, die Elias uns mitgegeben hat, und lege sie vor meinem inneren Auge über die Zeichnung, die wir einen Tag zuvor angefertigt haben. Auf dieser war eine flache Ebene zu sehen, in der Mitte ein Kreis für das Dorf, darunter ein Kreis unserer Stadt, links des Dorfes ein Waldgebiet und gegenüber, auf der anderen Seite des Dorfes, die Wüste, zu der wir unterwegs sind.


Unsere Route sollte also von der Stadt aus gesehen nach rechts oben gehen. Ich versuche mir vorzustellen, wo in den Tunneln wir uns gerade befinden und was das für unsere Route bedeutet.


„Nach rechts", antworte ich Taio kurz darauf deutlich entschlossener, als ich es eigentlich bin. Er folgt mir ohne nachzufragen.


So gehen wir weiter und die Zeit kriecht geradezu dahin. Ich habe keine Ahnung, wie weit wir inzwischen gekommen sind, ob 5, 15 oder 50 Minuten vergangen sind, doch irgendwann bleibe ich stehen. Ich weiß weder wo wir sind, noch, ob wir unser Ziel vielleicht längst erreicht haben. Oder ob wir bereits darüber hinausgeschossen sind. Ein seltsamer Gedanke macht sich in mir breit. „Taio?" Das Hallen seines letzten Schrittes verklingt in der Dunkelheit.


„Alles okay?"
„Was passiert, wenn wir unter der Wüste hindurch laufen?", frage ich ihn, die Unsicherheit ist meiner Stimme leider viel zu deutlich anzuhören.
„Du meinst, wenn wir auf der anderen Seite der Wüste erneut auf die Ebene stoßen und einfach weiterlaufen würden?"
Er scheint kurz zu überlegen, dann spricht er ruhig weiter. „Vielleicht würden wir irgendwann einfach in eine Sackgasse laufen... Den Rand der Arena sozusagen."


Ich nicke. Das klingt logisch und wäre eine wirklich einfache Lösung. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Erleichterung fällt von mir ab wie Steine, die von meinen Schultern fallen, ohne dass ich vorher wusste, dass sie überhaupt da waren.


Dann werden Taios Augen groß, sein Blick ist starr an mir vorbei und auf etwas hinter mich gerichtet. „Malaika", kommt es tonlos über seine Lippen, die ich plötzlich in der Dunkelheit erkennen kann.


Ich wirble herum und folge seinen Augen bis zu einer kleinen Gestalt, die von einem schwarzen Mantel umhüllt wird. Sie hat den Rücken zu uns gedreht, doch die blonden Locken, die unter der Kapuze hervorquellen, würde ich überall wiedererkennen. Denn es sind dieselben, wie meine eigenen.

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