Kapitel 3.2

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Sarah


„Warum musstest du mich retten? Jetzt bin ich dir was schuldig!"


Obwohl ich innerlich unglaublich erleichtert und diesem Idioten dummerweise sogar ein bisschen dankbar bin, liegt in meinem Blick nur kalte Verachtung. Ich versuche ihn mit meinen Worten zu provozieren, denn seine Reaktion wird mir mehr über seine Stärken und Schwächen verraten, als ihm lieb ist.


Doch anstatt mir eine wütende Antwort entgegen zu schleudern, mich anzuschreien oder gar anzugreifen – so wie ich es erwartet habe – starrt Yahiko nur mit derselben emotionslosen Kälte zurück. Seine Mine ist hart wie Stein, nur seine geballten Fäuste verraten mir, dass er innerlich brodelt. Ich grinse und entscheide, das Spiel noch ein wenig weiter zu treiben.


„Ich meine, welcher Spieler macht denn bitte sowas? Eine Konkurrentin retten, die dir erfolgreich aufgelauert hat und dich dann auch noch hinterrücks angreifen konnte? Mit so einer Schwäche kommst du hier nicht weit, das kann ich dir versprechen."


„Klappe", zischt er durch die zusammengebissenen Zähne und ich hebe herausfordernd die rechte Augenbraue.


„Sonst was?", ich deute auf seinen verletzten Arm. „Willst du mich aufhalten? Vor wenigen Minuten noch wärst du ohnmächtig geworden, hätte ich dir nicht aus dem Gang geholfen."
Und wie um meine Worte zu unterstreichen, ist hinter uns erneut das Aufschlagen von Gestein zu hören.


Verdammt. Warum vertrödle ich überhaupt meine Zeit mit diesem sentimentalen Idioten? Denn auch wenn ich mit meinen Worten nur extra auf seine Wunden drücke, habe ich Recht.


Er hatte keinen Grund dazu, mir zu helfen, und dass er es getan hat, spricht in meinen Augen nicht gerade für ihn. Wir befinden uns in Search, einem Spiel, in dem es kein Mitleid geben sollte – und das scheint ihm noch nicht ganz klar zu sein.


Meine Gedanken werden ruckartig unterbrochen, als Yahiko mit voller Wucht seine verletzte Hand gegen die Wand schlägt. Dann dreht er sich ohne ein Wort um, läuft an mir vorbei und verschwindet in dem gegenüberliegenden Gang, wo ihn die Dunkelheit fast augenblicklich verschluckt.


Was jetzt? Laufe ich ihm hinterher?

Als im selben Moment erneut das Geräusch von Felsbrocken zu hören ist und diesmal sogar eine Staubwolke aus der Dunkelheit hervorquillt, entscheide ich mich ohne nachzudenken.


Meine Füße tragen mich automatisch in den Gang hinein, in dem Yahiko erst vor wenigen Sekunden verschwunden ist, denn das Grollen hinter mir und mein pochender Arm erinnern mich nur allzu deutlich daran, dass es besser ist, wenn jemand vor einem den Gang abläuft.
Seltsamerweise sind Yahikos Schritte dabei aber nicht zu hören. Zuerst rede ich mir ein, dass es an den Geräuschen hinter mir liegen muss, die seine Schritte übertönen, doch als ich kurz darauf auf den Pflanzenteppich stoße, werde ich schnell eines Besseren belehrt.


Erschrocken bleibe ich stehen, taste mit den Fingern suchend nach der Wand, als sich keinen Meter vor mir plötzlich jemand räuspert. Automatisch springe ich nach hinten um mich zu schützen, mir Platz für einen Angriff zu verschaffen oder eben auf die Situation zu reagieren, woraufhin ich nur ein leises Lachen höre.


„Na also. Du bist keineswegs besser als ich", grinst Yahiko überheblich und stößt sich mit altbekannter Arroganz von der Wand ab, an der er gelehnt hat. Seine Wut scheint wie vom Erdboden verschluckt, als er mich abwartend ansieht und seine Mundwinkel dabei zucken.
Diesmal bin ich es, die die Wut unterdrücken muss. Dieser Junge bringt mich zur Weißglut mit seiner arroganten Art, dem spöttischen Humor und seinem herablassenden Blick. Hätte ich ihn nur erledigt, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte.


„Lauf schon", zische ich und versuche das triumphierende Lächeln, das daraufhin in seinem Gesicht klebt, so gut es geht zu ignorieren. Soll er doch zur Hölle fahren.


Wie schon zuvor verstreichen die Minuten endlos langsam, während wir schweigend den Gang entlang laufen. Im Unterschied zum letzten Mal jedoch lässt mich Yahiko nicht mehr aus den Augen, was dazu führt, dass er kaum noch nach vorne sieht. Immer wieder spüre ich seinen Blick auf mir, sein Misstrauen ist gerade zu greifbar.


Irgendwann geht es mir so auf die Nerven, dass ich einfach mit meinen Gedanken herausplatze. Was soll er auch schon tun? „Schau endlich mal geradeaus. Am Ende läufst du noch gegen eine Wand."


„Und dafür riskieren, dass du mir das nächste Mal mit deinem Knie die Wirbelsäule zertrümmerst?"


Dagegen kann ich wenig sagen, also zucke ich nur mit den Schultern und sehe schweigend nach vorn. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Yahiko ungläubig den Kopf schüttelt, und beiße mir selbst auf die Lippe. Das war ein elegantes Eigentor.


Wenige Abzweigungen später kommen wir an eine Weggabelung und ich bleibe unschlüssig stehen. „Wohin?", frage ich Yahiko wortkarg, woraufhin er mich nur schulterzuckend ansieht. Die Stimmung zwischen uns könnte nicht frostiger sein.


„Warte doch!", durchbricht eine helle Jungenstimme die Dunkelheit. Mein Kopf schnellt zu Yahiko herum, der mich ebenfalls ansieht. In seinen Augen sehe ich dieselbe Frage, die auch ich mir gestellt habe, und ich nicke entschlossen. Gleichzeitig laufen wir los in den rechten Gang, aus der die Stimme gekommen ist. Wem auch immer sie gehört, wir sind stärker und werden den Überraschungseffekt auf unserer Seite haben.


Je weiter wir gehen desto heller wird es. Neben dem leisen Murmeln von Stimmen, das immer mal wieder an mein Ohr dringt, ist unser Atem das einzige Geräusch, der einzige Hinweis darauf, dass Yahiko und ich uns durch die Dunkelheit bewegen.


Während der Gang langsam immer heller wird, versuche ich angestrengt das Pochen in meinem Arm und das damit verbundene Gefühl zu ignorieren. Yahiko und ich sind beide verletzt- ist es also wirklich eine gute Idee, anderen Spielern gegenüber zu treten? Ich schüttle leicht den Kopf, um meine Zweifel fort zu jagen. Wenn die Personen zu diesen Stimmen genauso unsicher sind, wie sie klingen, dann hätten wir nicht mal einarmig ein Problem mit ihnen fertig zu werden.
Mittlerweile können wir die Unterhaltung gut verstehen und ich gebe Yahiko ein Zeichen, bei dem er sofort stehen bleibt.


„Wieso sollte ich dir vertrauen?" Das ist das Mädchen, und ich gebe ihr insgeheim recht. Sie hat das Spiel anscheinend besser verstanden als Yahiko.


„Amelie du kennst mich doch. Ich bin hier genauso allein und orientierungslos, und du rennst vor mir weg als wäre ich der Teufel..."


„Natürlich renne ich weg! Du bist dreimal stärker als ich und bestimmt doppelt so schwer. Ich wäre dumm mich nicht in Sicherheit zu bringen. Allein, dass ich noch mit dir rede, ist ein Fehler." Jetzt klingt sie angepisst, so als müsste sie sich vor diesem Jungen für ihre Entscheidung rechtfertigen. Waren sie mal befreundet?


Ich werfe Yahiko erneut einen Blick zu, woraufhin dieser vorsichtig um die letzte Ecke sieht, die uns noch von den beiden trennt.

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Wie versprochen hier noch das nächste Kapitel ^^ ich hoffe es gefällt euch und ich wünsche euch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

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