Kapitel 4.4

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Sarah


Ich habe die ganze Nacht über kein Auge zugetan. Erst sollte Yahiko Wache halten, doch ich vertraue ihm immer noch nicht zu hundert Prozent, was dazu geführt hat, dass ich immer wieder meine Augen öffnete um zu kontrollieren, ob er noch wirklich an Ort und Stelle saß. In der zweiten Hälfte war ich selbst an der Reihe, sodass ich jetzt auf einen friedlich schlafenden Yahiko hinuntersehen kann. Sein Gesicht ist entspannt, er lächelt beinahe, was mich überlegen lässt, woran er wohl gerade denkt.


Ich könnte ihn ganz leicht beseitigen. Hier und jetzt. Vermutlich würde er es nicht einmal bemerken, wenn ich ihm die Luft abdrücke, so tief scheint er zu schlafen. Ich richte meinen Blick wieder geradeaus auf die Tür. Die Idee hat seinen Reiz, doch etwas hält mich davon ab.


"Hey - an was denkst du?", seine Stimme kommt so unvermittelt, dass ich erschrocken zusammenzucke - und mich im nächsten Moment schon dafür verfluche. Hat er nicht vor einem Sekundenbruchteil noch geschlafen?


"An nichts", antworte ich verschlossen, denn die Wahrheit kann ich ihm schlecht erzählen. Außerdem geht es ihn relativ wenig an, was ich denke. "Du schnarchst", füge ich hinzu und ernte ein Grinsen seinerseits. "Dann kommst du immerhin nicht in Versuchung während deiner Wache einzuschlafen."


"Ich würde niemals einschlafen."


"Ich weiß. Nennt sich Humor..."


Ich unterdrücke ein Lächeln. Okay, ich sollte vielleicht wirklich ein wenig lockerer sein. Aber er machte es mir auch verdammt einfach, immer wieder sauer auf ihn zu sein.
Dass ich gestern so schwach gewesen war, mich von ihm retten lassen zu müssen, machte es auch nicht gerade besser - denn dann müsste ich mir außerdem eingestehen, dass ich ihn falsch eingeschätzt hatte. Auch wenn er vielleicht seine schwachen Momente hatte, als es darauf ankam, hatte er das Nötige getan und diesen Jungen ohne zu zögern getötet. Ich sollte ihm eine Chance geben.


Etwas widerstrebend halte ich ihm meine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen. Er zieht überrascht die Augenbrauen nach oben, doch dann ergreift er sie, und somit mein Friedensangebot.


"Gut geschlafen?", fragte ich ihn, erhalte jedoch keine Antwort. Stattdessen starrt Yahiko völlig unverfroren auf meine Brüste. Oder doch eher auf meinen Bauch?


"Deine Kleidung ist nicht mehr zerrissen." Seine Stimme ist verwirrt, er klingt, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob ich nicht vielleicht ein magisches Wesen sein könnte.


"Was?"


"Dein T-Shirt. Es war am Ärmel und an deiner Seite kaputt. Aber jetzt..."


"Kann nicht sein", entgegne ich wirsch, doch als ich meinen Arm hebe und selbst einen Blick darauf werfe, muss ich feststellen, dass er recht hat. Der Stoff ist völlig unversehrt, es ist keine Naht erkennbar und auch sonst fehlt jede Spur des Risses von Gestern. Wie kann das sein?

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