Es war empfindlich hell, denn gerade jetzt schien der Strom wieder hergestellt zu sein. Einen Moment blinzelte ich gegen das Licht um etwas erkennen zu können. Erst nur schemenhaft und dann deutlicher zeichnete sich das Mobiliar des Raumes ab, als sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten. Die zahlreichen Monitore fuhren nacheinander hoch. Einige zeigten schon wieder die, von den Kameras abgedeckten, Bereiche, mit denen sie gekoppelt waren. Auf anderen war bis jetzt nur der Startbildschirm zu sehen. Ich erkannte Aiden und mich auf einem der Monitore. Wir wurden von hinten, von der Kamera, die ich im Flur bemerkt hatte, gefilmt. Die Masse an Geräten, Lämpchen und Kabeln schien auf Hochtouren zu laufen, während das ganze System jetzt neu gestartet und die Stromzufuhr offensichtlich wieder hergestellt worden war.
Es war nur eine Person im Raum. Ein Mann, der etwa so alt war, wie mein Vater, saß in einem großen Drehstuhl in Mitten der Monitore und Computer. Er drehte sich langsam um und ich wusste, dass er wusste, dass wir das waren und wer wir waren. Wahrscheinlich hatte er uns schon eine Weile auf dem Bildschirm verfolgt und hatte auf uns gewartet. Eine Falle, jederzeit bereit zuzuschnappen und die Beute zu erledigen.
Irgendwie kam mir der Mensch bekannt vor, auch wenn mir nicht einfallen wollte woher. Er hatte eine Halbglatze und trug einen Anzug, der mir in dieser Umgebung fehl am Platz vorkam. Das war aber nicht das Einzige, was ihn gruselig machte. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Erst einen Moment später fiel mir auf, dass es ein Grinsen sein sollte. Er hatte dem Botox offensichtlich etwas zu offen zugesprochen und sein Gesicht in eine fortwährende Maske verwandelt, die sich höchstens (wie jetzt) zu einer Frankensteingrimasse verzog. Mir standen die Haare zu Berge, denn der Kerl jagte mir eine Heidenangst ein.
Was sollten wir jetzt machen?
Noch bevor er irgendwas gesagt hatte, wusste ich wer er war. Der Anführer! Seine Haltung, seine Kleidung, sein Auftreten. Es passte alles zusammen. Dieser Mann war Schuld an dem, was auf der Insel so lange passiert war. Schon jetzt hasste ich ihn mit jeder Zelle meines Körpers. Er hatte mir meine Mutter genommen. So viele Meermenschen aus ihrem Leben gerissen. Wahrscheinlich hatte er auch welche getötet.
„Zwei Kinder“, sagte er abfällig, „zwei Kinder haben also so einen Trubel veranstaltet.“ Er schien völlig ruhig zu bleiben und sich in Sicherheit zu wiegen. Es schien nicht so, als hätte er Angst vor uns. Andersrum war das aber definitiv der Fall. Ich machte mir fast in die Hose vor Angst und Aiden, der sich jetzt wieder leicht auf meine Schulter stützte, schien sich auch nicht gerade wohl zu fühlen.
„Ihr solltet euch einen anderen Spielplatz suchen. Hier könnte es gefährlich für euch werden.“ Sein Gebiss erinnerte mich stark an den Hai und auch seine Stimme erinnerte mich an den fiesen Hai aus „Findet Nemo“. Ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich vielleicht eine Forderung stellen? War das seine typische Verzögerungs- oder Ablenkungstaktik oder imitierte er einfach gerne Charaktere aus berühmten Filmen?
„Lassen sie die Meermenschen gehen“, sagte Aiden. Aha, wir hatten uns also für die Forderung entschieden. Seine Stimme war ein bisschen rau und ich meinte ein leichtes Zittern zu hören, obwohl er versuchte sie ruhig zu halten. Als ob wir jeden Tag in so einer Situation wären. Da war ja wohl mal ein bisschen Angst erlaubt. Na gut, oder eben auch Panik. Man konnte sich ja schlecht auf sowas vorbereiten. „Bösewichtgespräche für Dummies“ oder so hatte ich noch nie im Buchladen gesehen.
Jetzt war es wieder so weit. Ich war so verschreckt, dass ich nur noch Mist dachte und völlig vom Thema abkam. Geheimagent oder knallharter Ermittler sollte ich wohl besser von der Liste der möglichen Berufe streichen.
„…für eine Chance habt?“, sagte der Mensch gerade. Ich war mal wieder so abgeschweift, dass ich doch glatt verpasst hatte, was er gesagt hatte. Das war sicher die oberste Regel in „Bösewichtgespräche für Dummies“: Immer zuhören.
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AQUA - Stimme des Meeres (abgeschlossen)
Teen FictionLouisa ist 16 Jahre alt und ihr größtes Problem ist, dass sie ihre Mathearbeit verhauen hat, bis sie sich plötzlich in eine Meerjungfrau verwandelt und ihr Leben kopfsteht. Im Meer trifft sie den gutaussehenden Meermann Aiden und erfährt, dass es ei...