Kapitel 48|Hölle

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Fast 24 Stunden.
Um genauer zu sein, 23 Stunden und 42 Minuten. So lange war er schon wieder in seiner gewöhnten Umgebung. Doch das war nichts im Vergleich zu der Ewigkeit, die ihm bevorstand. Für immer und ewig. Allein. Umgeben von der bedrückenden Stille, die einen fast durchdrehen ließ.

Er hasste diesen Ort. Qualen und Schmerzen verband er mit ihm. Die Schmerzen, die ihm seine Familie zugefügt hatte. Die Qualen, die er wegen ihr ertragen musste.

Gedankenverloren blickte er in den Himmel. Gleich würde ein neuer Tag anbrechen. Oder eher gesagt: Derselbe Tag. Langsam verschwand die Sonnenfinsternis wieder und zurück blieb nur der sternenbedeckte Himmel. Es sah alles so ruhig aus. Fast hätte er gedacht, das alles sei nur ein Traum und stellte sich vor, dass neben ihm das Mädchen saß, das er liebte. Das er für immer lieben würde.

Er stellte sich ihre goldgelockten Haare vor, die ihr immer wieder ins Gesicht fielen und ihre wunderschönen braunen Augen, die von langen und dunklen Wimpern umrahmt wurden. Ihre kleinen, zierlichen Händen, die genauso gut einem kleinen Kind hätten gehören können und ihre genauso kleinen Füße, die so gut wie immer in winzig kleinen Turnschuhen steckten. Und zu allerletzt ihre blassrosanen Lippen, die einem zum Küssen fast einluden, so schön waren sie. Und genauso schön hatten sie sich auch angefühlt. Weich, schon fast wie Samt. Lächelnd erinnerte er sich an die Küsse, in denen so viel Leidenschaft gesteckt hatte. Es schien schon fast wie ein Traum. Ein wunderschöner Traum, der einem gleichzeitig den Verstand raubte. Er sehnte sich nach ihr, nach ihrer Nähe, ihren Berührungen, ihrer Liebe. Die einzige Liebe, die er in den letzten dreißig Jahren verspürt hatte. Ein ganzer Zoo brach in ihm aus, wenn sie ihn auch nur ansah. Sein Verstand spielte verrückt und sein Herz schlug ununterbrochen in einem rasendem Tempo. Doch dieses Gefühl hatte er jetzt für immer verloren.

Sehnend erinnerte er sich an das letzte Mal, als er ihr engelsgleiches Gesicht erblickt hatte. Damals in dem Kerker der Salvatores. Dadurch dass sie so lange voneinander getrennt gewesen waren, hatte sich ihr körperlicher sowohl seelischer Zustand verschlechtert. Mit einem innerlichen Seufzer erinnerte er sich an die dunklen Augenringe, die ihr Gesicht geziert hatten. Ihre Augen so dunkel wie die Nacht. Aber das hatte wahrscheinlich an dem schlechten Licht gelegen. Als er sie berührt hatte, war ihre Haut glühend heiß gewesen. Vermutlich die Symptome einer bevorstehenden Grippe. In diesem Moment hatte er sich gar nicht erst vorstellen wollen, was wohl passierte, wenn sie zu lange voneinder getrennt wären. Eindeutig nichts Gutes.

Doch das war jetzt unwichtig, denn er hatte sie für immer verloren. Irendwie hatte sein Vater es geschafft mithilfe des Hexenzirkels ihre Verbindung zu durchbrechen, weshalb er ihn ohne große Probleme zurück in die Gefängniswelt hatte schicken können. Wieso hatte er sich auch nicht gewehrt?

"Aaaargh!", brüllte er und trat gegen einen der vielen Bäume, von denen er umgeben war.

Er hätte sich wehren müssen! Er hätte kämpfen müssen! Doch was hatte er stattdessen getan? Nichts. Er hatte es einfach über sich ergehen lassen. Wie ein Schwächling. Ein Schwächling ohne jegliche Hoffnung. Und zwar die Hoffnung, dass das Mädchen, das er liebte, ihn genauso lieben könnte, wie er sie. Empfand sie immer noch dasselbe wie vor der Durchbrechung der Verbindung oder hatte das alles sich in Luft aufgelöst? Er würde es wohl niemals erfahren, denn er hatte sie für immer verloren.

Für immer.
Für immer.
Für immer.
Für...

"Ach verdammt!", rief er nur und trat ein weiteres Mal gegen den Baum. Am liebsten hätte er sich jetzt einfach nur umgebracht, doch er wusste, dass das nicht möglich war. Er steckte hier fest. Und es gab keinen Weg raus. Und wenn sie ihn wirklich nicht mehr liebte, war alles hoffnungslos. Zu Unrecht würde er hier verrotten, bis er völlig durchdrehte. Er hatte das alles schon einmal durchmachen müssen. 18 Jahre. Aber gegen die Ewigkeit war das nichts. Die Ewigkeit. Das hörte sich schrecklich an.

Kraftlos ließ er sich auf die Knie fallen. Hätte er es schon früher gewusst, wäre das alles nie passiert. Er hätte sie vorwarnen können. Er hätte ihr alles erzählen können. Doch hätte sie ihm geglaubt? Vermutlich nicht. Genauso wie im Kerker damals. Sie hatte ihm nicht geglaubt. Und trotzdem hatte sie ihn geküsst. So wie sie es noch nie getan hatte. Mit so viel Leidenschaft, mit so viel Verzweiflung. Sie war hin- und hergerissen gewesen. Das hatte er gespürt. Doch jetzt, wo die Verbindung zwischen ihnen gebrochen war, hatte sie ihn wahrscheinlich schon wieder vergessen. Und er saß hier und spürte, wie er mehr und mehr durchdrehte. Und das alles nur, weil er einmal schwach gewesen war.

Was hatte es ihm gebracht? Letztendlich saß er doch sowieso wieder in diesem Drecksloch. Nur mit dem Unterschied, dass er noch nie so viel Schmerz empfunden hatte. Es verschlang ihn förmlich. Wie kleine Käfer, die ihn langsam von innen auffraßen. Erschöpft ließ er sich auf den Rücken fallen in das moßgrüne Gras und betrachtete die Bäume, über denen sich der Sternenhimmel erstreckte. Es sah alles viel zu schön aus, viel zu friedlich. Doch dabei war überhaupt gar nichts in Ordnung.

Wieder einmal fragte er sich, wie es seinem Mädchen wohl ging. Seinem Mädchen. Sie war ja noch nicht mal sein Mädchen. Während er hier für immer festsitzen und niemals altern würde, würde sie alt werden, einen Mann kennenlernen, Kinder bekommen und letztendlich friedlich sterben. Diese Vorstellung machte ihn wütend und traurig zugleich. Er wollte derjenige sein, der sie glücklich machte. Er wollte derjenige sein, der eines Tages am Altar auf sie warten würde. Und er wollte derjenige sein, der zusammen mit ihr alt werden würde. Doch das war unmöglich. Und das wusste er. Aber man konnte doch trotzdem noch hoffen. Auch wenn diese Hoffnung eigentlich schon längst erloschen war.

Er saß hier fest. Gefangen in einer Welt, in der die Zeit stehengeblieben war, wo es kein anderes Lebewesen gab außer ihm, wo er bis in die Ewigkeit allein war. Es würde kein Ende geben. Das war wohl das, was die Menschen Hölle nannten.
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Als er aufwachte, war der nächste Tag schon wieder angebrochen. Die Sonne strahlte und kitzelte ihm auf der Nase, während ihn eine leichte frische Brise überzog. Müde rieb er sich den Schlaf aus den Augen und stellte fest, dass er noch immer auf der freien Grasfläche im Wald lag. Infolgedessen schmerzte sein Rücken ein wenig. Zusause würde er sich erst einmal ein bisschen hinlegen, genug Zeit hatte er ja. Er fuhr sich einmal durch die Haare und stand dann auf. Während er so durch den Wald lief, überlegte er sich, wie er seine zukünftige Zeit hier verbringen könnte. Das Gute war, dass niemand hier war, um ihm irgendetwas zu verbieten. Gleichzeitig war es auch irgendwie traurig, aber diesen Gedanken versuchte er so weit es ging in die hinterste Ecke seines Kopfes zu platzieren. Er wollte ja nicht direkt am Anfang komplett durchdrehen. Davor wollte er noch ein bisschen Spaß haben.

Kopfschüttelnd erreichte er den Waldrand, neben dem sich eine lange Straße erstreckte. Ohne nach links und rechts zu gucken lief er einfach langsam und den Blick auf die Straße gerichtet rüber. Es war ja niemand da, um ihn umzulegen. Selbst wenn, er würde sowieso nicht sterben. Trotzdem würde er leiden. Mit verzogenem Gesicht erinnerte er sich an die etlichen Male, in denen er versucht hatte, sich umzubringen. Dazu hatte auch ein Sprung von einer hundert Meter hohen Klippe gehört. Das war schmerzhaft gewesen. Sehr schmerzhaft.

Tief in Gedanken versunken bemerkte er gar nicht das komische Geräusch, das sich ihm immer mehr zu nähern schien. Irgendwoher kannte er es, doch er konnte es nirgendwo zuordnen. Es wurde immer lauter, schien sich ihm auf der Straße zu nähern. Aber vielleicht bildete er es sich auch nur ein. Wahrscheinlich war er jetzt schon total am Durchdrehen. Wer weiß, manchmal wurde man ja verrückt ohne es zu bemerken. Aber egal wie sehr er versuchte das Geräusch aus seinem Kopf zu verbannen, es blieb und es schien sich ihm immer noch zu nähern. Genervt und gleichzeitig verwirrt drehte er seinen Kopf zur Seite, nur um daraufhin erschrocken nach Luft zu schnappen. Das Geräusch war verklungen, das hatte allerdings auch einen Grund.

"Damon?"

Super Psycho Love (Kai Parker FF)  ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt