Gelangweilt höre ich Herr Riemer zu, wie er anhand seiner Präsentation versucht, uns den richtigen Umgang mit Problemkindern zu erklären. Ziemlich ironisch, dass genau ich Lehramt studiere, aber als ich die Entscheidung vor fast eineinhalb Jahren getroffen habe, wollte ich Liam um jeden Preis nahe sein, auch wenn es nur durch ein Studium ist. Aber inzwischen hat meine Einstellung sich diesbezüglich geändert, und zwar drastisch. Ich versuche, diese ganze Geschichte mit ihm zu verdrängen. Jeder versucht mir immer klarzumachen, dass ich mich damit auseinandersetzen muss und das ganze aufarbeiten. Aber niemand versteht, dass ich dafür nicht bereit bin. Im Moment brauche ich die Distanz dazu und deshalb habe ich mich auch so sehr verändert. Langsam zwirble ich die Spitzen meiner braun gefärbten Haare zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie reichen mir nur noch bis zum Schlüsselbein, was am Anfang komisch und ungewohnt für mich war, aber inzwischen weiß ich es zu schätzen, nicht eine halbe Stunde föhnen zu müssen und mich nicht gefühlt 24 Stunden am Tag um meine Haare kümmern zu müssen. Mein Bruder hat auch Recht damit, dass ich abgenommen habe, aber das ist schließlich normal. Ich wohne nicht mehr Zuhause, niemand kocht mehr für mich, da vergisst man eben ab und an zu essen. Außerdem können mir ein paar Kilos weniger auf den Hüften nicht schaden.
“Okay dann entlasse ich euch wohl in die Freiheit! Bis zur nächsten Vorlesung!“ beendet der Dozent die Vorlesung und ich schnappe mir erleichtert meine Tasche, bevor ich mich an zwei mir fremden Personen vorbei drängle und in den Gang stürme. Wieso ist die Uni nur so verdammt langweilig? Auf dem Weg zur S-Bahn krame ich mein Handy aus der Tasche und sehe, dass Dan mir geschrieben hat.
Hast du heute Zeit? Kann vorbeikommen.
Mit ihm treffe ich mich nur selten, es ist anders als mit Ian. Grundsätzlich ist es auch zwischen uns locker, aber er fragt mich ständig ob alles okay ist, wenn wir uns sehen. Das kann ich nicht gebrauchen. Weil ich ihm jedoch noch nicht voreilig absagen will, antworte ich ihm vorerst nicht. Die nächste Nachricht ist von Rosie.
Heute facetime !?!?!
An ihrer Art zu schreiben merke ich, dass etwas besonderes passiert sein muss und antworte ihr mit einem Daumen hoch. Meine beste Freundin fehlt mir hier sehr, aber ich gönne ihr ihr Glück. Einige Monate nach dem Vorfall mit Liam wurden sie und Matt ein Paar und nachdem ich an einer anderen Schule mein Abi machen musste ist sie nach dem Abitur mit ihm nach Amerika gezogen. Die beiden sind wirklich süß zusammen, aber der Kontakt mit ihnen fällt mir schwer. Nicht nur wegen der Zeitverschiebung und ihren vollen Terminkalendern sondern auch, weil ich ständig an Liam denken muss, wenn ich Matt begegne, auch wenn er in unseren wenigen Gesprächen ein Tabu-Thema ist. Ich weiß nicht einmal, ob die beiden Kontakt haben, weil ich Distanz zu diesem Thema brauche.
Eine halbe Stunde später öffne ich die Tür zu meiner Wohnung, streife meine Schuhe ab, werfe die Tür hinter mir ins Schloss und schlurfe in die Küche. Die Wohnung habe ich, seit ich studiere. Ich bin zwar in Berlin geblieben, brauche von hier aus jedoch nur zwei Stationen lang mit der S-Bahn zu fahren, bis ich in der Uni bin. Bezahlt wird mir die Wohnung von meinem Vater, die einzige Verbindung, die er noch zu mir hat. Den Kontakt zu mir hat er nie wieder hergestellt und von meiner Mutter hat er sich getrennt. Mum hat inzwischen jedoch einen neuen Freund. Sein Name ist Tom und er ist mir unglaublich sympathisch, obwohl ich ihn nicht oft sehe. Mit Mum jedoch telefoniere ich mindestens einmal die Woche, unser Verhältnis ist seit dem Gericht besser denn je. Dustin wohnt zusammen mit Jonas etwa eine Viertelstunde mit dem Auto von mir entfernt. Er hat tatsächlich Jura studiert und arbeitet jetzt in einer Anwalts-Kanzlei. Manchmal bin ich zum Essen bei ihnen, jedoch kommt Dustin mit meinem derzeitigen Lebensstil nicht gut zurecht und ich bin schnell genervt von seiner über-fürsorglichen Art.
Nachdem ich ein Glas Wasser getrunken habe, mache ich mich auf den Weg in mein Schlafzimmer, wo ich meine Jeans und den Pullover ausziehe und mir stattdessen einen Kapuzenpullover überwerfe, den ich wahrscheinlich von Dustin oder Ian geklaut habe. Da mir noch etwas kalt ist, ziehe ich noch Knie-Strümpfe an und gehe dann mit meinem Laptop und meinem Handy bewaffnet ins Wohnzimmer. Als ich schließlich auf der Couch sitze, schalte ich zuerst den Fernseher ein und stelle den Laptop auf dem Tisch ab, bevor ich mir mein Handy schnappe und meine Nachrichten checke. Der erste Chat den ich öffne ist der mit Rosie.Passt bei dir 20 Uhr? Also 20 Uhr deiner Zeit-Zone !
Schnell tippe ich eine Antwort.
Ja klar, bin dann so weit, ruf mich dann an.
Die nächste Nachricht ist von Dan. Ich habe ganz vergessen, dass ich ihm nicht geantwortet habe.
?
Wieso sollte er eigentlich nicht vorbeikommen? Bis Rosie anruft bin ich sowieso nur alleine und gelangweilt.
Jap komm.
Nachdem ich die Nachricht abgesendet habe, sehe ich, dass meine Mum mir gschrieben hat, beschließe aber, ihr m später zu antworten und mache es mir stattdessen zu The Big Bang Theory auf der Couch bequem.
Gerade als Robin und Ted wieder einmal etwas miteinander anfangen, klingelt es. Also stehe ich auf, schlurfe zur Tür, drücke den Tür-öffner und warte dann kurz, bevor ich die Wohnung öffne und Dan die Treppe hoch steigt.
“Hey.“ begrüßt er mich mit einem Grinsen, zieht mich zu sich, drückt mir einen Kuss auf die Lippen und geht dann an mir vorbei in die Wohnung. Andere Frauen fänden das sicher süß, oder schmeichelhaft. Für mich jedoch stellt es eine gewisse Gefahr dar. Ich kann mit Gefühlen beim besten Willen nicht umgehen und wenn er so mit mir umgeht habe ich ständig im Hinterkopf, dass er diese ganze Geschichte nicht so locker sehen könnte, wie ich es tue.
Mit einem tiefen Atemzug werfe ich die Tür ins Schloss und folge Dan ins Wohnzimmer, wo er es sich bereits auf der Couch bequem gemacht hat.
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Teacher 2
RomanceJa, ich habe mich verändert. Das weiß ich genauso gut wie du. Und vielleicht bin ich eine rauchende und saufende Schlampe, aber immerhin bin ich absolut das Mädchen, das er nie in mir sehen wollte." murmle ich mit Tränen in den Augen, bevor ich an m...