#22 Recognized

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"... jetzt überwinde endlich deinen inneren Mistkerl und wach auf!"

Mistkerl.

Wach auf.

Mir gefriert das Blut in den Adern. Die Worte hallen in mir nach wie ein Echo in den Bergen. Wie ein Sprung in der Schallplatte wiederholen sie sich in meinem Kopf. Alles andere, was er gesagt hat, verblasst hinter diesen einen Worten. Nicht, dass mich das alles nicht berührt hätte. Das hat es, und zwar unglaublich stark. Aber darüber kann ich gerade nicht nachdenken. Mich beschäftigt nur eins und es drängt sich gewaltsam in den Vordergrund.

Dieses eine Wort.

Dieser Satz.

Das hab ich schon mal gehört.

Und dieses Mal bin ich mir zweihundertprozentig sicher.
Das kann kein Irrtum sein.

"Wach. Endlich. Auf. Du. Mistkerl!"

Ein eiskalter Schauer läuft meine Wirbelsäule herunter. 

"Du bist es gewesen."

Ich schaue ihn nicht an, aber ich kann seinen verständnislosen Blick fast hören. 

"Was...?"

"Damals im Wald. Das warst du." In meiner Stimme schwingt ein gefährlicher Unterton mit, vor dem ich mich fast selbst erschrecke.

"Hoseok, ich..."

"Du brauchst mir gar nichts zu erzählen. Du warst es. Du hast mich da rausgeholt." Ich frage ihn nicht, ich stelle nur fest, und Widerspruch ist zwecklos.

"Ja.", gesteht er leise.

Eine kalte, stille Wut, die ich nicht erklären kann, breitet sich wie ein Virus in mir aus und nagt an mir.

"Warum hast du mir nichts davon erzählt?"

Er zögert.

"Warum, Taehyung?"

"Ich weiß es nicht! Ich wusste nicht wie; ich... ich hatte kein gutes Gefühl dabei... und überhaupt wusste ich am Anfang gar nicht, dass du es bist... und... Es tut mir leid, wirklich.", stammelt er.

Ich beiße knirschend die Zähne zusammen. Meine Finger klammern sich um die Armlehnen des Rollstuhl, die Knöchel noch weißer als die eh schon blasse Haut. 

Es tut mir weh. Ich kann nicht einmal sagen, was genau mir so wehtut, aber ich könnte schreien vor Schmerz. Ich habe mir geschworen, meinen 'Retter' bis auf den Tod zu hassen. Hab ihm alles an den Hals gewünscht, weil er schuld an meinem Dasein ist. Diesem Horror, den ich durchmachen musste. All den Gefühlen, die mich Tag für zermürbt haben. Das ist alles seine Schuld.

"Weißt du, wie sehr ich dich gerade dafür hassen will?“ , presse ich zwischen den Zähnen hervor. Würde ich mich nicht so krampfhaft festhalten, würden meine Finger wie Espenlaub zittern.

"Ich weiß...ich meine, nein, ich...du hast jedes Recht dazu, ich verstehe...", fängt er an.

"Nein!", fahre ich ihn an. "Hast du mir überhaupt zugehört? Ich habe mir geschworen, den Typen, der mich gerettet hat, zu hassen wie ich nie jemanden zuvor gehasst habe. Und dann kommst du, mein tatsächlicher Lebensretter, und egal wie ich dich behandelt habe, du hast mich nicht aufgegeben, du hast alles über dich ergehen lassen. Du bist so verdammt lieb zu mir, Taehyung." Langsam beginnt meine Stimme zu zittern, ich rede mich immer mehr in verzweifelte Rage, meine Kehle schnürt sich weiter und weiter zu.

"Du schwörst dir, jemandem zu helfen, der dich behandelt hat wie den letzten Dreck. Du machst dich stark für jemanden, der seine eigene Stärke aufgegeben hat. Du verbringst zwei Tage durchgehend hier um die ganze Nacht an meinem Bett zu sitzen. Du..." Mir steigen kochend heiße Tränen in die Augen.  "Du sagst solche Dinge zu mir, weil du an mich glaubst. Gib dir nicht die Schuld. Du bist viel zu gut ..." Jetzt bricht meine Stimme komplett. Ich sehe ihn immer noch nicht an, kämpfe mit dem letzten Satz, den ich ihm unbedingt noch sagen muss.

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