Kapitel 16

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Miranda

Misstrauisch beäugte sie das Zimmermädchen, welches ihr Seife und eine Wasserschüssel zum Waschen hinhielt und dabei zurückhaltend auf den Boden schaute. ,,Würdet ihr bitte...?", ihre Stimme war leise und sie schaute kurz auf. Grünbraune Augen sahen sie abwartend an. Ohne die Decke loszulassen griff sie nach der Seife, stellte aber fest, dass das Waschen einhändig nicht funktionierte. ,,Soll ich mich umdrehen?", fragte die Magd. Sie nickte nur, worauf sich das Mädchen, welches vielleicht eins, zwei Jahre jünger war als sie, abwandte. Vorher stellte diese die Schüssel auf den kleinen Nachttisch. Wortlos schöpfte sie mit den Händen Wasser und fuhr sich mit den nassen Händen über Gesicht, Dekolleté und die Arme. Danach derselbe Ablauf noch einmal mit wohlriechender Lavendelseife. ,,Ich bin fertig.". Das Mädchen drehte sich wieder um und reichte ihr einen Kleiderstapel. Fragend sah sie die Dienerin an. ,,Was soll ich damit?". ,,Anziehen.", bekam sie die belustigt klingende Antwort. Sie faltete den grasgrünen Stoff auseinander, welcher sich als ein schlichtes Kleid mit kleinen goldenen Verzierungen am Ausschnitt und zwei Finger breiten Ärmeln entpuppte. Als nächstes drückte ihr das Mädchen ein paar sandgold-farbige, samtbezogene Schuhe mit kleinen Absätzen in die Hände, welche sie sich hastig über die Füße zog. Sie saßen erstaunlich perfekt und waren sogar überaus bequem. Das Kleid hing über ihrem Arm und sie betrachtete es unentschlossen. ,,Was ist mit meinen eigenen Sachen?". Für die Frage erntete sie einen komischen Blick. ,,Sie wurden zum Waschen gegeben. Ihr bekommt sie später wieder." Aha. ,,Braucht ihr Hilfe beim Anziehen des Kleides?" Sie schüttelte den Kopf. ,,Nein, brauche ich nicht. Und sag bitte 'du' zu mir. Ich bin dir nicht höher gestellt." Es war ungewohnt, dass jemand in dieser Höflichkeitsform mit ihr sprach und ihr zudem unangenehm. ,,Wie ihr wollt, äh, ich meine, wie du willst..." Das Mädchen lächelte und strich sich einige ihrer braunen, an den Spitzen helleren Haarsträhnen aus den Augen und drehte sich wieder um. Schnell streifte sie sich das Nachthemd vom Körper und schlüpfte in die beiliegende Unterwäsche, deren Stoff ebenso weich an ihrer Haut lag, wie der des Nachtkleides. Sich im Sitzen umzuziehen war nicht besonders praktisch, also stand sie auf und zog sich das Kleid über den Kopf. Nur schien sie doch Hilfe zu brauchen, denn sie blieb hängen und konnte sich kaum bewegen. ,,Ich glaube, ich benötige doch ein wenig Hilfe.", nuschelte sie und hörte ein Lachen, bevor sanfte Hände ihr halfen, ihr das Kleid überzuziehen. Es saß wie angegossen und ließ trotz des eher engen Schnittes viel Bewegungsfreiheit. Das war wohl das teuerste, was sie jemals am Körper getragen hatte. Das Mädchen verschnürte das Kleid von hinten konzentriert mit korsettähnlich überkreuzten Schnüren und ihre linke Hand wanderte währenddessen zu ihrem Hals. Sie war überrascht, als sie auf den Anhänger stieß. Sie hatte nicht mehr daran gedacht, dass sie diesen noch trug, doch nun schenkte er ihr etwas Mut und gab ihr ein warmes Gefühl von Vertrautheit. Gut zu wissen, dass sie wenigstens einen Teil ihres liebsten Hab und Guts bei sich trug, wo sie den Rest voraussichtlich nicht so schnell oder gar nicht sehen würde.

 ,,So fertig, dann können wir los." Ruckartig drehte sie den Kopf zu dem Mädchen. ,,Los? Wohin denn?" ,,Na zum Lord. Er wollte sie sprechen nachdem sie sich fertiggemacht haben.", meinte die Angesprochene und ging auf die Tür an der Wand links neben dem Bett zu, durch welche sie vorher das Zimmer betreten hatte. Nacheinander, das Zimmermädchen vor ihr, verließen sie den Raum und traten auf einen von hohen Fenstern lichtdurchfluteten Gang. Sie hatte kaum Zeit, sich kurz umzusehen, sondern wurde von dem Mädchen bei der Hand genommen und den Gang nach rechts entlanggezogen, wobei sie fast über den Kleidersaum stolperte. Dieses Problem hatte die Magd mit ihrem knielangen, grauen Kleid mit weißen Ärmeln, nicht, nahm dann jedoch  dankbarerweise etwas Rücksicht und sie liefen langsamer. ,,Entschuldigung, ich habe nicht daran gedacht, dass das Kleid so lang ist.", entschuldigte sich die Dienerin. ,,Keine Sorge, nichts passiert", wiegelte sie ab und lächelte freundlich. Von der Seite spürte sie die Blicke des Mädchens. ,,Was ist?" ,,Nichts, ich hatte nur nicht erwartet, dass du so nett bist. Als gesagt wurde, dass weiblicher Besuch kommt, hatte ich das nicht erwartet. Die meisten Frauen, die der Lord mitbringt oder die ihn besuchen, sind nicht so umgänglich wie du.", entgegnete sie schulterzuckend. Es dauerte einen Moment, bis das Gesagte wirklich bei ihr ankam. Lord? ,,Lord?", wiederholte sie ihre gedankliche Frage. Die Dienerin nickte. ,, Ja, Lord Hawkins. Er erwartet dich. Du besuchst ihn doch, oder?" Na also, ob man dies hier einen Besuch nennen kann, wage ich zu bezweifeln, meinte ihre innere Stimme pampig, wofür sie ausnahmsweise völlige Zustimmung fand. Als einen Besuch konnte man ihren Aufenthalt hier nicht bezeichnen. Besuchen tat man Leute zumindest ihres Wissens nach freiwillig, nicht weil man betäubt und verschleppt wurde. Auch wenn dies aus der Sicht der Täter anders aussehen möge, Etikette war dies nicht. ,,Wie heißt du, wenn ich fragen darf?", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. ,,Ähm Miranda." ,,Aha." Das Mädchen reichte ihr die Hand. ,,Ich bin Emmaline, aber die meisten hier nennen Emma.", teilte ihr Emma breit grinsend mit. ,,Wie alt bist du, Emma?" ,, Ich bin seit einer Woche 17. Du?", antwortete Emma grinsend und bog um eine Ecke nach links ab. Sie folgte ihr mit zwei Schritten Abstand, da sie doch Probleme hatte, in dem Kleid mit dem Tempo mitzuhalten. Im Vorbeigehen sah sie die vielen Türen und fragte sich, wer solche Mengen an Räumen brauchte. ,,Oh, alles Gute nachträglich. Ich bin 19." ,,Dann sind wir fast gleichalt.", stellte das jüngere Mädchen freudig fest, was sie lächeln ließ. ,,Wo kommst du her, wenn ich fragen darf?" Kurz überlegte sie , bevor sie sprach. ,,Ursprünglich aus einem kleinen Dorf sehr weit nördlich von hier, ziemlich nah an der englisch-schottischen Grenze. Aber ich habe seit vier Jahren keinen festen Wohnort. Das letzte Dorf, in dem ich vor meiner Ankunft hier gewohnt habe, war so winzig, dass es nicht einmal einen Namen hatte." Verwundert bei ihrer auffallend ausweichenden Frage, schaute Emma sie von der Seite an. ,,Aber was ist denn mit deinen Eltern? Hatten sie nichts dagegen, dass du alleine durch die Welt ziehst? Oder bist du etwa abgehauen? Wollten sie dich gegen deinen Willen verheiraten?" Emmas begeisterte, zum Ende hin absurde Fragen, brachten sie tatsächlich zum Lachen. ,, Nein, nichts dergleichen. Und Einwände haben sie keine äußern können." ,,Wie meinst du das?" Ihr Lächeln wurde traurig. ,,Sie sind an meinem 14 Geburtstag gestorben." Sie fühlte sich nicht annährend so ruhig wie ihre Stimme klang. Emma räusperte sich schockiert und sah während dem Gehen auf den Boden. ,,Das tut mir sehr leid. Verzeih, dass ich fragte.", sprach sie beschämt. ,,Das muss dir nicht leidtun, du hast es nicht wissen können." Zum Glück hatte Emma das Feingefühl, keine weiteren Fragen zu stellen. Stattdessen war sie darum bemüht, die gedrückte Stimmung mit einigen lustigen Erzählungen wieder aufzulockern, was ihr erstaunlich gut gelang. Nach der Geschichte, wie eine Mäusefamilie die Dienstleute im Kellergeschoss auf Trab gehalten hat und Emma dabei im Dunklen mit dem Kopf wortwörtlich gegen eine Wand gerannt war, gelangten beide lachend an einer weiteren, etwas aufwendiger bearbeiteten Tür an. Sie verstummten und Emma klopfte leise an. ,,Herein.", hörte man eine tiefe Stimme von drinnen sagen und sie betraten das Zimmer. Auf in den Kampf.

Witches Soul *vorübergehend pausiert* #iceSplinters19 #WaveAward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt