Kapitel 29

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Kainan

Seit einer geschlagenen halben Stunde tigerte er durch sein geräumiges Arbeitszimmer, nur um mehrmals abrupt inne zu halten und wütend seine geballte Faust auf den massiven Wallnussholzschreibtisch niederfahren zu lassen. Der Schmerz seiner dumpf pochenden Knöchel war so nebensächlich, dass er ihn nicht einmal wahrnahm. Ruckartig blieb er vor einem geöffneten Erkerfenster stehen, ohne wirklich hinauszusehen. Eine warme Briese wehte ihm einzelne dunkle Strähnen vor die Augen. Mit einer fließenden Bewegung fuhr er sich durch die dichten Haare, wobei er kurz den Wunsch hegte, es seien Mirandas Hände die dies taten, nicht seine eigenen. Herbe Flüche verließen lautstark seinen Mund, gefolgt von einem rauen, kehligen Knurren und er wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu, auf dem verstreut beschriebene Dokumente, sowie Briefe und Aufzeichnungen lagen, die darauf warteten, von ihm gelesen zu werden. Zur Hölle, er hatte wirklich weitaus wichtigeres zu tun, als ununterbrochen auf und ab zu stiefeln, als wäre er ein Waschweib mit Hummeln unter dem Hintern. Verdammt, er hatte Vorbereitungen zu treffen, die seine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangten. Doch seit ihm klar geworden war, dass Miranda nicht nur irgendeine normale beliebige Frau war, geisterte dieses Frauenzimmer unaufhörlich in seinem Kopf umher und nahm all seine Gedanken für sich ein. Beinahe so, als hätte sie ihn verzaubert.

Elegant lehnte er sich an die Tischkante, mit einer weitaus lässigeren Haltung, als es seiner Gemütsstimmung entsprochen hätte. Der Drang, loszustürmen um nach ihr zu suchen, zerrte an ihm, denn es genügte ihm nicht, sie nur auf seinem Anwesen zu wissen. Viel mehr verlangte es ihn danach, sie in seiner Nähe zu spüren, ihre weiche Haut an seiner zu spüren, von ihrem femininen Duft umgeben zu sein, während er seine Nase in ihren beinahe mondweißen Locken vergrub. Bei dieser blauäugigen Vorstellung lächelte er voller Ironie. Wann war aus ihm ein derart lächerlicher Narr geworden? Hatte er je auch nur annährend so romantisch Sehnsüchte empfunden? Die Antwort war einfach: Niemals, bis er auf diese widersprüchliche Wanderheilerin getroffen war, die er nach einigen ungünstigen Begegnungen und inzwischen offensichtlichen Missverständnissen mehr oder weniger entführt hatte. Danach folgten Fehltritte und Unachtsamkeiten seinerseits, die nun wo er sich die ernüchternde Wahrheit eingestehen musste, ihren Tribut forderten. Allerdings war Selbstmitleid noch nie sein Stil, genauso wenig wie aufzugeben. Eher würde er sich die Kehle durchschneiden, bevor er zu einem solchen Schwächling mutierte. Er war ein gehöriger Dummkopf, dass er all die Zeichen nicht schon von Beginn an als diese wahrgenommen hatte, das ließ sich nicht bestreiten. Allein, dass vor drei Tagen nur der Hauch einer schlichten Witterung mitten im Wald sein Interesse geweckt und ihn auf die Fährte einer jungen Frau geführt hatte, war kein ungewöhnlicher Zufall. Er war von Natur aus ein Jäger, mit den Sinnen eines Raubtieres und er hatte in all den 24 Jahren seines Lebens stets die Kontrolle behalten. Umso stärker war die Heftigkeit, mit der er auf sie reagierte, wie sehr sie ihn vom ersten Augenblick an faszinierte und in ihren Bann zog. Schon da hätte ihm klar sein müssen, dass mehr hinter dieser Begebenheit steckte, dass er nicht grundlos wie gefesselt von ihr war. Rückblickend betrachtet, war der eindeutigste Hinweis darauf, dass sie etwas weitaus tiefergehendes verband, als sie hätten ahnen können, der, dass er sie gegen ihren Willen hierhergebracht hatte. Ohne eine wirklich sinnvolle Rechtfertigung dafür zu haben. Sie hatte keine wirkliche Gefahr dargestellt, dass hätte er mit seinen animalischen Instinkten schon bei der ersten Begegnung gespürt. Spätestens die Furcht in ihren Augen, nachdem sie durch das Missgeschick mit ihrem Umhang als stille Beobachterin im Schutz der Nacht am See, enttarnt wurde, oder ihre Angst, als sie vor ihm auf dem Pferd saß, durch seine emotionslosen Worte eingeschüchtert und verschreckt, hatte gezeigt, dass sie die Reinkarnation der Unschuld war. Vielleicht hätte sie die falschen Schlüsse gezogen und selbst wenn sie jemandem von diesen ereignissen berichtet hätte, so war es fragwürdig, ob man ihr glauben geschenkt hätte. Sie hätte ihm, Zach und Seth nichts anhaben können. Auch wenn ihre kleine Kampfeinlage recht eindrucksvoll war, so lag ihr kleiner Sieg hauptsächlich an dem Überraschungsmoment, der auf ihrer Seite gewesen war. Inzwischen wusste er, dass sie zwar eine kleine Kämpferin war, doch war ihr zierlicher Körper der einer Elfe.

Witches Soul *vorübergehend pausiert* #iceSplinters19 #WaveAward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt