Kapitel 27

33 11 12
                                    

Miranda

Leise knarzend fiel die schwere Holztür hinter ihr ins Schloss und sie richtete ihren Blick auf den Raum, welcher sich vor ihr erstreckte. Sie stand vor einem schmalen, kurzen Gang, an dessen Ende durch ein Erkerfenster mit schmutzigen Scheiben Sonnenlicht hineinschimmerte. Die Wandseite des Korridors wurde von deckenhohen Bücherregalen und Laden gesäumt, deren Bretter sich unter dem Gewicht der dicken, gebundenen Wälzer bogen. Silbrig schimmernde Spinnenweben verliehen dem Ambiente ein heruntergekommenes, teils vernachlässigtes Aussehen. Von mehreren herabhängenden, gläsernen Öllampen und einzelne Kerzen an den Wänden ging ein warmes Licht aus, das ihre Umgebung in eine gemütliche Atmosphäre tauchte. Auch der leicht modrige Geruch nach Papier, Wachs und altem Leder fügte sich passend in den Flair dieses Arrangements ein. Zu ihrer Linken führte eine gewundene Treppe von der kleinen Empore abwärts in den darunter liegenden Teil augenscheinlichen Bibliothek, als welche sie die Räumlichkeit identifizierte. Nach kurzem Nachdenken stieg sie bedächtig mit angehobenem Kleidersaum hinab, wobei sie mit ihrer rechten Hand flüchtig über das staubbedeckte Geländer fuhr. Die grauen Partikel setzten sich auf ihrer Handfläche ab und auch im sanften Lichtschein sah sie die Staubflusen durch die Luft tanzen. Es schien, als würde sich nur selten jemand hier aufhalten. Als sie von der letzten Stufe auf den dunklen Parkettboden trat, wandte sie sich um, in der Erwartung alleine zu sein. Doch ein aufgescheuchtes Krächzen belehrte sie eines Besseren. Begleitet von einem erschrockenen Aufschrei stolperte sie rückwärts gegen ein überfülltes Regal, welches daraufhin bedenklich wackelte. Mit geweiteten Augen starrte sie zu dem eckigen Rosenholztisch vor ihr, der halb unter der Treppe stand.

Auf einem unordentlichen Stapel vergilbter, rissiger Papiere saß ein braungrau gefleckter Waldkauz, welcher sie aus seinen kohleschwarzen Augen argwöhnisch musterte. Dabei legte er den Kopf schief, als wüsste er nicht, wie er sie einschätzen sollte. Jedoch schien der intelligente Raubvogel keine Bedrohung in ihr wahrzunehmen, denn ohne sie weitergehend zu beachten drehte die Eule ihren Kopf nach hinten und begann mit ihrem kurzen, gebogenen Schnabel an ihren Rückenfedern zu zupfen. Erleichtert, dass die Bibliothek menschenleer war und nur das gefiederte Tier ihr Gesellschaft leistete, atmete sie aus. Wenn sie nun schon hier war, wäre es ihr durchaus lieber, wenn niemand ihr Stöbern mitbekäme. An ihrer fürchterlichen Schreckhaftigkeit würde sie jedoch arbeiten müssen, auch wenn Vorsicht erfahrungsgemäß besser war als Nachsicht.

Sobald sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, entfernte sie sich von dem Regal und nahm die Einrichtung mitsamt den Einzelheiten näher in Augenschein.

Die Bibliothek erschien ihr auf den ersten Blick irgendwie zu klein, zu unscheinbar und zu abgelegen, als dass sie für jeden stets frei zugänglich war. Auch die unübersehbare Staubschicht überall ließ vermuten, dass nur selten jemand hier anzutreffen war. Die unordentlich beschriebenen, neueren Blätter auf der Oberfläche des Schreibtisches, konnte sie nicht entziffern und auch die Schubladen waren verschlossen, wie sie mit einem testenden Rütteln herausfand. Kurz überlegte sie, ob sich weitergehendes Suchen wirklich lohnte, als ihr ein unscheinbarer Wachsstempel ins Auge fiel, welcher neben einem leeren Briefpapier lag. Soweit sie wusste gebrauchten viele Adelige solche Stempel zum verschließen ihrer Briefe, um mit den individuellen Siegeln aus meist weinrotem Wachs sicherzustellen, dass die Briefe unterwegs nicht von den falschen Personen unbemerkt geöffnet und gelesen wurden. Brach man das Wachssiegel, so verriet man sich, da man gewöhnlicherweise nicht im Besitz des dazugehörigen Stempels war. Sie nahm den kleinen Gegenstand in die Hand. Die Initialien K.H waren filigran in den metallenen Fuß am unteren Teil des schlanken Holzgriffes eingraviert. Kainan Hawkins? Ihr kam plötzlich der Gedanke, dass sie sich wohlmöglich in einen persönlichen Bereich Kainans mitsamt dessen privaten Sammlungen und Schriften verirrt hatte. Diese Vermutung war leider recht weit hergeholt, doch könnte dies durchaus eine nachvollziehbare Schlussfolgerung sein. Ginge sie von dieser Annahme aus, war das demnach ein Teil des Anwesens, welchen sie vielleicht nicht ungefragt hätte betreten sollen, obwohl sie dies nicht einmal beabsichtigt hatte. Eigentlich ein reizender Umstand, wäre da nicht das leise Flüstern ihres schlechten Gewissens, welches ihr zuraunte, dass es in diesem Fall nicht rechtens wäre, keine Rücksicht auf die Privatsphäre des Lords zu nehmen. Andererseits hatte er dies bei ihr ebenso wenig getan und er hatte ihr schließlich höchstpersönlich erlaubt, sich frei innerhalb dieses Gemäuers bewegen zu dürfen. Folglich war er also selbst schuld, wenn er die Räume, zu denen er ihr den Zugang verweigern wollte, nicht abschloss. Wunschdenken, Hoffnung und Neugierde bestärkten sie in ihrer Überlegung, auch wenn sie wusste, dass es genauso gut möglich war, dass ihr, durch die letzten Geschehnisse ohnehin schon benebelter, Verstand sie Geister sehen ließ. Zögerlich schlich sie dennoch näher an die breiten, hohen Regale heran. Sollte sie mit ihrer Vorahnung tatsächlich richtig liegen, wäre Kainan bestimmt nicht glücklich darüber, dass sie ihre Neugier nicht zügeln konnte, doch brauchte er dies ja nicht zu erfahren. Der Kauz, welcher nun reglos dasaß und sie aus halbgeöffneten Augen beobachtete, würde sie wohl kaum verraten können. Und nachteilig war es sicherlich nicht, auch wenn sie sich etwas zusammensponn, wenn sie sich einen genaueren Eindruck der Bibliothek machte. Dies war außerdem der perfekte Vorwand, ein wenig zu stöbern. Bedachtsam strich sie mit ihren Fingerkuppen über die Bücherrücken, welche hauptsächlich uralt sein mussten, wie man an den abgewetzten Einbänden erkennen konnte. Die detailreichen, verschnörkelten Schnitzereien im Holz der Bücherwand unterstrichen die archaische, empirische Ausstrahlung der Werke, bei denen sich viele wertvoll anmutende Exemplare fanden. Die großzügige Auswahl hätte nicht unterschiedlicher sein können. Zwischen den urigen Schmökern fanden sich vereinzelte, neuere Bücher jeder Art. Bewundernd überflog sie die zumeist kalligrafisch geschriebenen Titel, dankbar dafür, dass sie als junges Mädchen lesen und schreiben gelernt hatte. Ein Luxus, welcher so gut wie niemandem ihren gesellschaftlichen Standes vergönnt war. Schon damals hatte sie die niedergeschriebenen Geschichten vergöttert, besonders nachdem sie ihre Eltern bei dem Brand verlor. Bücher hatten ihr geholfen, in eine heilere, schönere Welt zu fliehen, wo sie der Schmerz der Realität nicht einholte und die Wunden ihres Herzens vernarbten. Auch jetzt, Jahre später, war sie nicht weniger ein Bücherwurm als damals, wie sie feststellte. Sie verschaffte sich mit aufkeimender Freude einen knappen Überblick über das vorhandene Arsenal und brauchte nicht lange, um eine verworrene Ordnung hinter dem durcheinander wirkenden Chaos zu verstehen. Die Bücher waren zu ihrer Irritation abwechselnd nach dem Nachnamen des Autors oder dem Titel seines Werkes sortiert, was sie nicht ganz nachvollziehen konnte. Doch kümmerte sie dies herzlich wenig und vorsichtig zog sie ein Buch nach dem anderen aus den Fächern heraus. Ein zartes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, während der Bücherhaufen auf ihrem Arm stetig wuchs. All ihre vorherigen Bedenken waren kurzzeitig wie weggefegt. Kainans Sammlung war bemerkenswert. Sie kam nicht umhin, ihn dafür ein Stück weit zu bewundern und kurzzeitig vergaß sie sogar, dass sie auf ihn eigentlich nicht sonderlich gut zu sprechen war. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal Werke von William Shakespeare, Walter Releigh, John Milton, Thomas Grey oder Alexander Pope in den Händen halten würde. Derartiges hätte sie sich nie leisten denn. Sogar eine weibliche Schriftstellerin namens Aphra Behn zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Ohne dass sie es gemerkt hatte, war sie immer weiter in den hinteren Teil der Bibliothek gewandert und der Bücherstapel, den sie auf ihren Armen balancierte, war so schwer geworden, dass ihre Schultermuskeln schmerzten. Mit einem Schnaufen legte sie all die Schmöker auf einem Holzschemel ab, welcher an der Rückwand eines Bücherregals stand. In diesem Bereich der Räumlichkeit befanden sich schmale, große Fenster an der Wand zu ihrer rechten Seite und vier raumlange Regalreihen bildeten zwei Gänge, welche von herabhängenden Lampen beleuchtet wurden. Die Fächer waren wie auch die anderen prall gefüllt, doch erschienen ihr diese dicken Wälzer noch älter als die vorherigen. Manche waren bereits so ausgelesen und zerfleddert, dass vereinzelte Blätter herausfielen, sobald sie eines der Textstücke aufschlug. In der nächsten Reihe war das Gegenteil der Fall. Lediglich Spinnenweben und Staub waren auf den Brettern vorzufinden, was sie verwirrte. Nur in einem Regal ganz hinten entdeckte sie exakt drei Schriftwerke, von denen sie eines herausnahm. Diese Bücher mussten schon seit Ewigkeiten dort stehen, denn der Bucheinband war so verstaubt, dass sie leise niesen musste, als sie das Deckblatt begutachtete. Dort stand weder ein Titel noch ein Hinweis darauf, wer dieses Buch geschrieben hatte, was sie ziemlich verwirrte. Weshalb stand es nicht in einem der anderen Regale und wer hatte es verfasst? Ihr war klar, dass es einen Grund dafür geben musste, doch würde sie diesen vermutlich erst herausfinden, wenn sie den Inhalt des Werkes las. Ihr ursprüngliches Vorhaben, welches sie noch vor Minuten beschäftigt hatte, war vergessen, so sehr war sie inzwischen davon abgelenkt. Langsam ließ sie sich auf den Boden nieder, lehnte sich mit dem Rücken an die Regalwand und schlug die erste Seite auf. Im schummrigen Licht erkannte sie jedoch kaum etwas und sie rappelte sich wieder auf. Sie hatte das Gefühl, auf etwas recht interessantes gestoßen zu sein und mit beinahe augenblicklich waren auch ihre Beweggründe, weshalb sie sich hier eigentlich ursprünglich so genau umgesehen hatte, wieder präsent. Mit dem Schemel, welchen sie sich im Vorbeilaufen schnappte, in der einen und dem Buch in der anderen Hand tapste sie zu dem Schreibtisch zurück, was ihr einen gelangweilten Blick von dem Waldkauz einbrachte, der dort nach wie vor saß. Sie ließ sich der Sicherheit halber unter der Treppe nieder, wo sie selbst wenn jemand den Raum unerwartet betreten sollte nicht sofort zu sehen war. Erneut öffnete sie die erste Seite und begann zu lesen...

Ich hoffe, ihr hattet alle ein wunderschönes Osterfest und angenehme Feiertage. ^^

Was Miranda da wohl gefunden hat?
Lasst mir gerne ein Feedback oder ein Sternchen da, darüber freue ich mich immer :) (Entschuldigt eventuelle Fehler, hab das Kapitel größtenteils am Handy geschrieben ^^)

Eure Jody

Witches Soul *vorübergehend pausiert* #iceSplinters19 #WaveAward2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt