Kapitel 7.1

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Blackgate - vor zwei Wochen

Tage waren vergangen, und Deliah hatte sich kein einziges Mal mehr bei J gemeldet. Er zweifelte langsam, dass der Anruf tatsächlich etwas gebracht hat, und noch mehr bezweifelte er, dass Ariana jemals wieder aufwachen würde. Er wusste, es wäre nun am besten, sie einfach zu vergessen, sie endgültig aus seinem Leben zu verbannen. So könnte er mit Sicherheit wieder in Ruhe schlafen und seinen Frieden damit machen, hier nie wieder rauszukommen. Er müsste sich nicht mehr mit unnötigen Gedanken an sie quälen, sich nicht mehr mit lästigen Gefühlen herumschlagen und könnte endlich wieder zu seinem alten Selbst werden. Aber einfach würde sich dieses Unterfangen gewiss nicht gestalten. J hatte nicht viele gute Erinnerungen - die meisten waren entweder nur noch bruchstückhaft vorhanden oder wandelten sich mit den Jahren in schlechte. Der Rest der Erinnerungen, welche tief in seinem Unterbewusstsein verankert waren, waren böse und sollten, für ihn und alle Beteiligten, auch dort bleiben. Doch eine einzige gute besaß er; und er teilte sie mit Ariana: dieser anfangs unbedeutend zu scheinende Moment in seiner Zelle. Jener Moment, in welchem er schwach war und ihr sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Jener Moment, in welchem sie sein wahres Gesicht gesehen und akzeptiert hatte. Ja, das war wohl seine glücklichste Erinnerung. Und er hasste sich dafür, weil es nicht seinem üblichen Charakter entsprach. Das musste sich endlich ändern. Wenn er so gefühlsduselig verharrte, wie er jetzt war, dann würde er hier drinnen vor die Hunde gehen. Also, er wusste, dass er sie als Person vergessen musste. Er musste sie gedanklich für tot erklären. Das bedeutete auch, diese einzige glückliche Erinnerung zu löschen. Dann, und nur dann, könnte er wieder zum Joker werden.

Die Stirn runzelnd starrte er an die Decke ober seinem Bett. Das muss aufhören, dachte er. Er konnte nicht für alle Ewigkeit seine Nächte damit verbringen, über so etwas zu grübeln. Oder generell über etwas zu grübeln. Er war nicht der Typ "Grübler". Nein, J sah ein, dass sich einiges ändern musste. Es war an der Zeit, Taten folgen zu lassen. Das nervenaufreibende Geräusch des Gefängnisalarms holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Keine zehn Sekunden später schlugen die Wachen auch schon mit ihren Schlagstöcken gegen die Gitterstäbe. "Aufwachen, ihr faulen Säcke! Wir machen heute Visite, also stellt euch schön neben eure Betten"

Na toll, großartig. Das heißt also wieder Hosen runter, bücken und husten. J war schon aufgefallen, dass einige Wärter dieses peinliche Prozedere öfter betrieben, als vorgeschrieben war. Und er wurde das Gefühl nicht los, dass jene Insassen mit Sonderprivilegien wohl mit besagten Wärtern dafür ein Nümmerchen schieben mussten. Die Zellentüren sprangen auf und herein kam Wärter Roberts. Er war seit zwei Tagen hier und womöglich der schlimmste, den Blackgate je gesehen hat. Gerüchten zufolge hat er in dem Gefängnis, in welchem er vorher gearbeitet hat, einen Häftling zu Tode geprügelt. Den Mann fand man nackt am Boden seiner Zelle auf, einen Schlagstock in seinem Hintern. Mit dem Zu-Tode-Prügeln hätte J sich ja noch anfreunden können, aber der Schlagstock hätte nicht sein müssen. J beäugte ihn mit angewidertem Blick.
"Na los, Hackfresse. Du weißt ja wie's geht", drohte Roberts mit tiefer, rauer Stimme. J kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, dann drehte er sich um, ganz zum Gefallen seines Zellengenossen. "Worauf wartest du, hä!? Oder willst du, dass ich dir helfe?" Blitzschnell packte er J am Genick und drückte ihn mit voller Wucht gegen das Bett. "Hosen runter. Na los" Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber es reichte aus, um J einen eiskalten Schauer über den Rücken zu jagen. Doch J gab nicht nach. Diesmal würde er sich nicht so erniedrigen lassen. Zeit, dass sich etwas ändert.
"Was grinst du so blöd? Ich warne dich, Clown. Tust du bei drei immer noch nicht, was ich sage, dann helf' ich nach", und er klatschte J schmerzhaft auf den Hintern. "Zuckerpüppchen"
Und in diesem Moment, in dem der Gepeinigte gerade dabei war, Roberts zu zeigen, was Schmerzen sind, rief von außerhalb der Zelle jemand herein.

"H-hey Roberts! Hat dir eigentlich sch-schon mal jemand gesagt, dass du wie ein Schwanz auf B-beinen aussiehst!?"

Augenblicklich ließ er von dem höchst amüsierten J ab und stürmte bedrohlich auf, wie der Joker jetzt erst bemerkte, einen Jungen zu. "Hältst dich wohl für witzig ... Ich schwör dir, ich bring dich um!"
Der Junge versuchte wegzulaufen, doch zwei Wärter hielten ihn fest. Roberts blieb einen Meter entfernt vor ihm stehen, dann zückte er seinen Schlagstock. Langsam verringerte er den Abstand zwischen ihnen. J nutze die Gelegenheit und schlich sich aus seiner Zelle raus.
"Na Jungchen, wie hast du's am liebsten? Ich wette ... du magst es besonders ... hart"
Ein schmerzerfüllter Schrei durchdrang das Gefängnis; ein zweiter und dritter folgten sogleich, begleitet von leisem Wimmern und Roberts' selbstgefälligem Lachen. J blickte zurück und sah den Jungen in sich zusammensacken. Sein Gesicht war völlig entstellt und sein weißes T-Shirt färbte sich allmählich rot. Roberts holte zu einem weiteren Schlag aus, und in diesem Moment sah J nicht den Jungen, sondern Ariana, die damals im Lagerhaus einen Schlag nach dem anderen kassiert hatte. Ihre Schmerzen konnte er vielleicht nicht beenden, aber seine schon. Dann allerdings musste sich wirklich etwas ändern. J raste urplötzlich auf Roberts zu und entriss ihm mit aller Kraft die Waffe. Völlig überfordert damit, was gerade passiert war, starrte der Wärter J entgegen. Alles weitere geschah in Sekundenschnelle. J schlug Roberts den Stock ins Gesicht, packte ihn daraufhin am Hals und drückte so fest er nur konnte zu.
"Tolles Gefühl, nicht wahr? Zuckerpüppchen"
Roberts Augen spiegelten pure Furcht wider, und ehe er begriffen hatte, was passierte, knackte es und er fiel zu Boden. J betrachtete zuerst den leblosen Körper, dann die zwei Wärter, die perplex den armen Jungen hielten. Mit gelangweilter Mine schmatzte er ihnen entgegen. "Mit einem Messer wäre es noch lustiger gewesen"

Unexpected - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt