Kapitel 14

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Wie angewurzelt war sie in der Tür stehengeblieben. Der junge Arzt lächelte ihr freundlich zu, ganz subtil versuchend, sich langsam in die Praxis zu drängeln. Er war viel größer, als sie es in Erinnerung hatte. Ariana starrte ihm immer noch ungläubig entgegen, bis sie endlich begriff, dass er ja ins Wartezimmer wollte. Peinlich berührt räusperte sie sich, dann machte sie einen Schritt zur Seite. Er nickte ihr dankend zu, bevor er die Tür hinter sich schloss und sie noch einmal breit anlächelte. Plötzlich schnippte er mit dem Finger. "Black, Ariana, richtig?" Wahnsinn, er konnte sich tatsächlich noch an ihren Namen erinnern. Anerkennend blickte sie zu ihm nach oben. Seine grau-blauen Augen strahlten so eine Freundlichkeit aus, dass ihre gerade erworbene Toughness schlagartig verschwand. Er war damals im Krankenhaus der einzige Arzt gewesen, dem tatsächlich etwas an den Patienten lag. Und falls es nicht so war, hat er es wenigsten glaubwürdig verkauft. "H-hören, Sie", stammelte sie auf einmal darauf los. "Ich glaube, ich habe mich nie wirklich bei Ihnen bedankt"

"Bedankt? Wofür?" Sein unschuldiges Lachen war herzlich und warm, und in seinem Gesicht lag beinahe der gleiche Ausdruck wie in Arianas. "Naja, für alles. Sie waren so nett und fürsorglich, und Sie haben sich so für mich gefreut, als ich endlich nach Hause durfte. Wenn Sie die Visite gemacht haben, hatte ich nicht das Gefühl, eine Last zu sein" Seine Reaktion war wie erwartet. Das Lächeln verschwand und seine Mine wurde merklich ernst. Sie wusste es, sie benahm sich merkwürdig. Hätte sie doch die Klappe gehalten. Allerdings war das, was er dann zu ihr sagte, unerwarteter als alles, das hätte kommen können.

"Eine Last? Sie? Wenn ein Arzt seine Patienten als Last sieht, darf er kein Arzt werden. Vertrauen Sie mir, Sie waren der angenehmste Patient, den ich je hatte. Sie haben nie auch nur mit der Wimper gezuckt, wenn die Verbände gewechselt wurden. Sie haben nicht einmal geweint, als Sie in der letzten Woche diesen Schock hatten. Dabei hätte Ihnen das niemand übel genommen. Sie sind eine starke Frau, Ariana. Und sollte Sie jemand wie Ballast behandelt haben, dann entschuldige ich mich für ihn" Es lag so viel Aufrichtigkeit, so viel Wärme in seiner Stimme, genau wie damals. Und Ariana fragte sich, wie so ein Mensch Arzt geworden ist. Er war ein guter Arzt, keine Frage. Doch hatte er vermutlich mehr Empathie übrig, als in diesem Job gut war. Vermutlich war er sogar deshalb hier ... Aber das ging sie überhaupt nichts an. Bevor sie jetzt weiter darüber nachdachte, sollte sie besser etwas sagen. Sie wollte nicht noch merkwürdiger erscheinen, als sie es ohnehin schon tat. Aber seine Worte ließen sie schwer eine Antwort finden. Ihr Therapeut hatte ihr vor etwa zehn Minuten genau das gleiche gesagt, doch war es aus seinem Mund irgendwie von weniger Bedeutung. Womöglich lag es daran, dass man als Therapeut öfters seinen Patienten positiv zusprach, um sie zu bestärken. Ob man es tatsächlich so meinte, sei dann dahingestellt. Doch wenn nun Doktor Bellick dasselbe dachte, und es mit so einer Aufrichtigkeit sagen konnte, dann musste es wohl stimmen. Sie war wahrscheinlich wirklich stärker, als sie dachte und wusste.

"Doktor Bellick, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ..."

"Sie können damit anfangen, mich Tim zu nennen" Mit einem erneuten freundlichen Lächeln streckte er ihr seine Hand entgegen. Dankend nahm sie an, wissend, dass er ihre Unsicherheit bemerkt und sie davon befreit hatte. In just diesem Moment öffnete Dr. Howard-Bernham die Tür zu seinem Sprechzimmer. Er kam nicht umhin, Ariana ein leichtes Grinsen zuzuwerfen - was auch immer er damit zu sagen glaubte. "Ähm, ich fürchte, ich muss jetzt rein"

"Ja, ja klar. Lassen Sie den Doktor am besten nicht zu lange warten"

"Wieso, wird er dann sauer?", grinste Bellick verschmitzt.

"Sie beide haben doch hoffentlich bemerkt, dass ich Sie hören kann, oder?" Bernham warf Tim und Ariana einen gespielt strengen Blick zu, bevor er ihm mit dem Finger lockend deutete, endlich ins Sprechzimmer zu kommen. Ihrer beider Therapeut war schon ein spezieller Mann, dachte Ariana. Aber er verstand es eindeutig, etwas Lockerung in manche Situationen zu bringen. "Hey, ähm ... unsere kleinen Gespräche im Krankenhaus haben mir immer sehr gefallen, Ariana. Vielleicht haben Sie wieder mal Lust auf ein solches?"

Unexpected - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt