Warum bist du noch da? ÷10

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Er sah mich von der Seite aus an.
Ich sah auf den verschneiten Boden. Seine Augen musterten mich von oben bis unten, so als hätte er mich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Mir selbst war ein Blick auf ihn viel zu Riskant. Die Gefühle, die dann kamen, konnte ich nicht kontrollieren und das machte mich krank. Irgendwo musste ich es doch schaffen sie abzustellen. Dass dies nicht ging, machte mich noch viel unsicherer neben ihm, sodass ich ständig meinen Mantel zurecht zupfte, mir durch die Haare strich und mein Atem flach hielt. Dabei machte er sich gar keinen Kopf, um meine Kleidung oder mein Verhalten. Der einzige, der das tat, war ich.
Es was das erste Mal, dass in diesem Herbst Schnee fiel. Es war der 02. Dezember, das erste Mal, dass der Mann neben mir, mich so ansah, meine Hand so behutsam in seine nahm, mich behandelte, als könnte ich jeden Moment zerbrechen. Gleichzeitig war sein Lächeln so groß, wie noch nie. Sein einst besorgter Blick, sah mich nur mehr amüsiert an, während er versuchte, dass ich nicht auch noch ein weiteres Mal auf den Boden fiel, da meine Füße zu Hindernisse geworden waren.

Dabei lag es nicht einmal an meinem Kater, dass ich nun plötzlich nicht mehr laufen konnte. Ich war einfach recht ungeschickt und dass neben ihm meine Beine wacklig wurden, machte es nicht besser. Selbst seine Hand war keine Hilfestellung, sie ließ mein Herz nur noch schneller klopfen und ich hatte Angst, dass er bemerkte, wie verkrampft ich neben ihm war. Eigentlich hatte ich dies noch nie neben ihm gefühlt. Das war erst so, seitdem ich ihm gesagt hatte, was ich für ihn empfand. Nun machte mich seine Nähe unsicher. Irgendwas hatte sich verändert.

Vom heute auf morgen wusste er plötzlich was ich fühlte, ich hatte aber weiterhin keinen Plan von seine Gefühlen. Er war mein Rätsel und ich hasste und liebte Rätsel gleichzeitig. Wenn man die Lösung wusste, machten sie so viel Spaß, ansonsten waren sie wirklich anstrengend, wenn man nachsehen musste, wo man die Antworten finden konnte.

Der erste Kontakt mit den wunderschönen Flocken hatte ich heute morgen gehabt, nachdem er mich aus dem Haus getragen hatte. Leon, der auch auf Marks Geburtstag gekommen war , meinte wir bräuchten einen Krankenwagen, als ich nicht ansprechbar da lag. Vielleicht wäre es eine gute Idee gewesen. Aber sie passierte nicht. Warum war mir nie klar. Man hatte es mir nie gesagt. Ich hatte nie nachgefragt.

Wäre jemand von ihnen zusammengebrochen, ich hätte sie einweisen lassen, damit sie auch ja die beste Pflege bekommen hätten. Das sie eine andere Entscheidung zusammen trafen, wirkte für mich in diesem Zustand aber nichtig.
Der Alkohol ließ die Welt verschwommen wirken und hätte ich Leons Stimme nicht so gut gekannt, dann hätte ich nicht einmal dieses kleine Detail mitbekommen. Schlussendlich war dann alles schwarz und erst Stunden später erwachte ich in einem fremden Bett, neben einem fremden Mülleimer und mit den Kopfschmerzen meines Lebens. Der pochenden​ Schmerz hämmerte gegen meinen Schädel. Das Geräusch von einem heranfahrenden Auto, ließ mich meine Miene schmerzerfüllt verziehen. Der Vortag kam mir wie ein längst vergessener Traum vor. Und dann kam er in den Raum, sah mich verwundert an und fragte mich, während er sein Ausdruck sich nicht verändert, warum ich noch hier war. Es gab eine kurze Diskussion, ich beschwerte mich über meine Kopfschmerzen und wurde kurz darauf von ihm in seinem Wagen gehoben. Wir fuhren zu einem Wald. Ich bekam auf der Fahrt Schmerztabletten.

Und jetzt? Jetzt liefen wir einfach durch den Schnee und schwiegen uns an, als hätten wir uns rein gar nichts mehr zu sagen. Dabei hatten wir beide Fragen offen.

"Du bist mit Ben verwandt?"
"Woher kennst du meinen Bruder?"

Die Fragen verließen gleichzeitig unsere Münder und seine beantworte gleichzeitig meine. Seine braunen Augen sahen lange in die meinigen. Mein Mund bewegte sich leicht, das einzige was fehlte war für wenige Momente nur der Ton.

"Wir wohnen zusammen."

Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Den Ausdruck in seinem Gesicht konnte ich nicht deuten. Langsam flogen große Flocken auf uns herab. Tief holte er Luft, sprach dann.

Carlo, please stay tru. |Cro Ff|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt