Ein bisschen Unendlichkeit ÷ 3

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Man kannte die Geschichten in denen ein Mädchen einen Jungen traf, die Geschichte, in denen sie sich unsterblich ineinander verliebten und ohne Komplikationen ihr Leben lang zusammen blieben.

Es hätte unsere sein können, die Geschichte von der kleinen unscheinbaren Alaska, dessen Vater weder ein Unternehmen führte, noch ihre Mutter betrogen hatte, ein Mädchen, das außer einigen unwichtigen Fasen in ihrem Leben, nichts miterleben musste und von Carlo, den Typ, der nichts mehr als die Musik liebte.

Mit seinem Erscheinungsbild passte er genau zu diesem Chema. Er war groß, dünn, mit zwar wenig Muskeln aber dennoch Muskeln und einem Lächeln, das jeden zum dahinschmelzen brachte. Der Mann neben mir war ein Traumprinz, nur hatte er statt einem weißem Pferd einen Benz und seine Uniformen bestanden aus Oversize Pullovern, Jeans und mega teuren Schuhen. Dass seine Lieblingsfarbe in dieser Hinsicht weiß war, konnte nicht einmal er bestreiten.

Dazu musste man seinen Schuhschrank nur kurz ansehen, die ersten Kartons öffnen, in denen sie lagen.

Mein Atem blieb, als ich sie zum ersten Mal sah, aus.

Hätte ich auch nur eines dieser Paare besäßen, ich hätte es nie wieder ausgezogen. Dieser Mann hatte ein halbes Vermögen für Schuhe ausgegeben und ich stand in meinen durchgelaufenen Fake Schuhen von einem Billigschulade da, die bald mit seiner Unterschrift verziert waren.

Wie abgemacht trafen Carlo und ich uns um 16 Uhr vor dem noch leeren Club. Hier war keine Schlange, keine Menschen, nichts. Um Punkt 16 Uhr standen wir in dem Teil von Stuttgart, der erst in der Nacht wirklich erwachte. Dort wo man trank und sich von seinem Leben erholte und wir versuchten Stunden früher, genau das zu erreichen, ohne Alkohol.

Zusammen liefen wir also durch die einsam scheinende Stadt, hörten die Geschichten des anderen an und obwohl wir in diesem Moment nichts hatte, hatte ich alles, als er nach meiner Hand griff, ich hatte alles was ich wollte.

In meiner Bauchgegend verbreitete sich mit jeder weiteren Sekunde ein zerreißendes Gefühl. Mir war schlecht, ich wollte weg und gleichzeitig wollte ich diese Gefühl mich auffressen lassen, nur um nicht gehen zu müssen.

Dunkelheit umhüllte uns, die Stadt bekam wieder Leben und wir verschwanden davon, fuhren durch Stuttgart direkt zu seinem Haus.

Manchmal, meinte er, wäre die Einsamkeit sein bester Freund und manchmal sein einziger Feind.

Im Schein der Sterne erzählte er mir ein wenig mehr von sich selbst, fuhr sich dabei mehrmals durch die Haare, so als würde es ihm peinlich sein, obwohl er der interessanteste Mensch war, den ich kannte. Allein für ihn, hätte ich so vieles aufgeben.

Genau konnte man dieses Treffen nicht mit dem letzten Vergleichen. Dazu war er an diesem Tag viel offener, erzählte viel mehr von sich selbst, bezog sich auf Themen, von denen er beim letzten Mal ablenkte. Es war so, als hätte er auf einmal Vertrauen zu mir aufgebaut, als wäre das letzte Treffen nur da gewesen, um zu wissen, ob ich mehr wollte, als eine sorgenfreie Nacht.

Seine Einfahrt war lang, er hatte weiter unten geparkt, wollte noch mehr Zeit haben. Warum wir das Haus nicht gleich betraten, erfuhr ich später.

An genau diesem Tag war eine große Feier bei seiner Schwester, weshalb es mich mehr erstaunte, dass er hier war, hier bei mir und mich an seinem Leben teilhaben ließ.

Der Weg wurde von Laternen, die er einst an einem regnerischen Tag aufgestellt hatte, beleuchtet und während wir zwischen ihnen durch liefen, erzählte er mir keiner seiner Witze, hörte mir viel lieber zu und ich sah ihn viel lieber von der Seite aus an, sah zu wie der Wind seine Frisur zerstöre und er mit der Hand versuchte noch etwas zu retten. Vergeblich.

Das einzige was es bewirkte war, dass mir ein Lachen entfloh und er mich darauf lächelnd ansah, wissend, dass er es nicht mehr schaffen würde, den Wind abzustellen, seine Hand fallen ließ und langsam ausatmete.

"Warum machst du Musik", fragte ich leise und wendete meinen Blick nicht eine Sekunde von ihm ab. Grashüpfer zirpten, Carlo schlang seinen Arm um meine Schulter und mein Kopf wanderte auf die Seite, wo er auf Carlo liegen blieb. Wenn man mich heute fragen würde, nach was er roch, wüsste ich keine Antwort, keinen Namen. Es war einfach sein Duft 'Eau de Carlo'.

Vor seiner Türe waren wir bereits angelangt, betraten das Haus trotzdem nicht. Das Haus was unglaublich groß war, ebenso modern von außen wirkte und neben mir stand der Typ, dem es anscheinend gehörte, mir einfach nicht verraten wollte, wie er sich so etwas leisten konnte. Er sprach ja nur von der Musik, wer hätte wissen können, dass sie ihm das ermöglichte?

"Gegenfrage. Warum bekommt man Kinder?"

"Weil man nicht aufgepasst hat, nicht mehr alleine sein will, weil man seinen Partner an sich binden will oder sonst einfach nichts mehr hat. Vielleicht damit man jemand hat, der sich um dich sorgt, wenn man alt und grau ist", zählte ich die Dinge auf, die mir durch den Kopf schossen und plötzlich drehte sich der braunhaarige auf meine Seite, stand direkt vor mir, sah mir tief in die Augen und sein Zeigefinger fand den Weg unter mein Kinn. Alles in mir versteifte sich, nur meine Arme hingen nutzlos da, sie waren bewegungslos, gerade, nur noch zur Zierde da.

"Möglicherweise auch deswegen, aber ich will etwas anderes, ich will etwas was mich überlebt, etwas was die Menschen an mich erinnern wird, etwas wovon man noch in, naja, vielleicht 100 Jahren spricht. Der Tod soll nicht mein Ende sein, ich will weiterleben."

Tief, rau, traurig, kalt und trotzdem voller Hoffnung erklang seine Stimme in der Stille, seine Augen glänzten, er erzählte davon, als wäre es sein einziger Weg, genau das erreichen zu können.

Er hoffte daran, dass Musik das erreichen konnte. Der Gedanke an das Ende, ließ ihn trotzdem nicht kalt, man sah ihm genau an, wie es ihn mitnahm, wie er zitterte.

Der Blick auf das große Haus vor meiner Nase ließ mich verstummen, bis unsere Augen sich wieder trafen. "Und glaubst du, dass du den Menschen im Gedächtnis bleibst?"

Er nahm den Türgriff in die Hand, sagte nichts, drehte den Schlüssel links herum, und ließ mich endlich eintreten. Das Licht blieb aus, die Tür fiel ins Schloss, seine Hand fand meine und er zog mich durch den Flur. Seine Stimme ertönte neben meinem Ohr, ehe das Licht anging. "Sag du es mir."

Und dann war alles hell. Instrumente schossen mir ins Auge, ein großes Sofa, ein Mikrofon, ein Tisch, goldene Schallplatten, daneben so viel Krimskrams, dass es nicht mehr überschaubar war.

Vorsichtig bewegte ich mich zu den Platten hin, kniete mich zu ihnen hin, ließ meinen Fingen auf seinem Namen ruhen, sah das Foto an und führ der Schrift langsam nach, sah zu der weißen Maske, die daneben lag und zu den Preisen, die einfach nur auf den Boden herumstanden.

Ungläubig sah ich sie an, drehte mich zu Carlo und hielt die weiße Maske vor sein Gesicht, ließ sie wieder fallen und brachte außer einem ungläubigen Wort, nichts über meine Lippen.

"Cro?"

Carlo, please stay tru. |Cro Ff|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt