Neue Schule

730 22 3
                                    

Als das nervtötende Geräusch der Schulglocke den Beginn des Nachmittagsunterrichts erklärt, seufzt Atemu Amun zum wiederholten Male tief auf. Warum er so früh hier erscheinen sollte, bleibt ihm ein Rätsel.
Gelangweilt schlägt er seine Beine übereinander und tippt mit seiner rechten Hand auf seinem Bein herum. Es wäre Atemu viel lieber gewesen, wenn er erst später hier auftauchen hätte müssen. Doch nun sitzt er hier herum und langweilt sich, während der Direktor nicht einmal kurz fünf Minuten Zeit für ihn findet.

Gedankenverloren blickt er aus dem gegenüberliegen Fenster des Sekretariats und wartet ungeduldig, dass etwas geschieht. Nicht einmal die Sekretärin hatte Zeit für ihn gehabt und war nahezu direkt aus dem Raum gestürmt, als er eingetreten war und bisher noch nicht wieder aufgetaucht.

Der Sekundenzeiger der großen Wanduhr bewegt sich schleichend langsam und mit jeder verstreichenden Sekunde wird Atemu ungeduldiger. Er wäre schon beinahe aufgestanden und gegangen, wenn sich nicht plötzlich die Tür zum Sekretariat geöffnet hätte. Doch anders als erwartet, ist es nicht der Direktor, der ihn zu sich ins Büro holen will, sondern die Sekretärin, die einen Jungen am Arm gepackt hinter sich herzieht.

Dem wütenden Gesichtsausdruck der Sekretärin zu Folge, scheint der Junge in ziemlichen Ärger zu stecken. Nachdrücklich drückt sie den Jungen auf den freien Stuhl neben Atemu und gibt ihm im strengen Ton befehl, sitzen zu bleiben. Doch als der Junge nichts darauf zu erwidern scheint, wagt Atemu einen genaueren Seitenblick auf ihn. Sofort fallen ihm die amethystfarbenen Augen auf, welche die Sekretärin völlig unschuldig ansehen, als hätte er nie etwas getan. Seine schwarzgefärbten Haare stehen chaotisch zu allen Seiten, während ihm einige wenige blonde Strähnen ins Gesicht fallen.
Als Atemu seinen Blick wieder zu der Sekretärin wandern lässt, muss er sich ein kleines Grinsen unterdrücken. Erwidert diese den unschuldigen Blick doch völlig empört und mit hochrotem Kopf.

Der Größe des Jungen nach zu urteilen ist dieser vermutlich im ersten Jahr der Oberschule und da heute der erste Tag im neuen Schuljahr ist, ist es eher wenig verwunderlich, dass die Sekretärin so empört ist, wenn der Junge schon an seinem ersten Schultag Mist baut.
Nur schwer kann sich Atemu ein leises Kichern unterdrücken, als jedoch nun ein langer Vortrag über Respekt und Benimmregeln an der Schule folgt, beschließt Atemu die Sekretärin lieber nicht zu verärgern. Da er so einen Vortrag besser nicht am eigenem Leibe erfahren will.

Nach einem langen, einseitigen Vortrag, der sich schier unendlich lang erstreckt, wendet sich die Sekretärin wieder Atemu zu. „Atemu, Schätzchen. Hatte der Direktor etwa noch immer keine Zeit für dich? Warte mal einen Augenblick, ich gehe mal rüber und frage eben, was da so lange dauert." Ihre plötzlich sanften Worte stehen so im Kontrast zu ihrem eben sehr aufgebracht dargelegtem Vortrag, dass Atemu reflexartig scharf Luft einatmen muss.
Mit einem überraschten Gesichtsausdruck blickt er der Sekretärin nach, die sich wieder umgedreht und schon fast den Raum verlassen hat.

Als die Tür in Schloss fällt, hört Atemu ein leises Kichern neben sich. Noch immer völlig verwundert erhascht er einen Blick auf den kleinen Jungen neben sich. Als sich jedoch ihre Blicke für einen kurzen Moment treffen, wendet der Andere sich schnell wieder ab und blickt schüchtern zu Boden.
„Warum lachst du?" Schlagartig verstummt das leise Lachen, weshalb sich Atemu sichtlich irritiert fragt, ob er irgendeinen Witz verpasst hat. „E-Entschuldige! I-Ich wollte nicht lachen." Als er den beschämt gesenkten Blick des Anderen bemerkt, ist Atemu völlig verwirrt und überfordert. Wieso entschuldigt er sich denn jetzt? Und vor allem macht dieser Junge immer weniger den Eindruck, dass dieser direkt an seinem ersten Tag Unfug anstellen würde. Doch welchen Grund hätte die Sekretärin denn sonst, völlig außer sich zu sein?

Ohne den Blick von dem Jungen zu nehmen, bringt Atemu schließlich eine Antwort hervor.„Ich...uhm...Du musst dich doch nicht entschuldigen. Ich war nur neugierig.... und verwirrt muss ich zugeben." Es dauert eine Weile, doch dann hebt der Junge wieder seinen Blick und sieht ihm vollkommen verunsichert in die Augen. „D-Du bist mir nicht böse?" Schnell schüttelt Atemu zur Antwort seinen Kopf. „Nein, wieso denn auch?"
Als er das erleichterte schwache Lächeln auf den Lippen des Jungen sieht, seufzt Atemu innerlich ebenfalls erleichtert auf und lässt seine Stimme nun etwas sanfter klingen, will er den Jungen doch nicht noch weiter verunsichern. „Also, verrätst du mir denn, weshalb du lachen musstest?"
Möglichst freundlich blickt er dem Kleineren in die Augen und versucht Blickkontakt zu halten, was sich allerdings als äußerst schwierig erweist, wandern die Augen des Anderen doch nur wild durch die Gegend und bleiben maximal für eine Sekunde an den seinen hängen.

Zwischen Wahn und WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt