Kapitel 9

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“Schön, dass du vorbeigekommen bist.” Lächelnd nahm mich meine Mutter in den Arm. Ich musste einfach auf andere Gedanken kommen und wo ging es besser als bei meiner Familie.

“Dein Vater hat mir schon, dass…” Doch sie stoppte, als es an der Tür klingelte. Einen besseren Zeitpunkt hätte ein Postbote oder ein Nachbar nicht haben können. Meine Mutter stand auf, um nachzusehen wer geklingelt hatte.

Ich möchte heute einfach nicht über Erik reden. Ich möchte heute einfach einmal einen Erik freien Tag haben, aber ich glaube kaum, dass diese Wunschvorstellung auch in die Tat umgesetzt werden konnte. Schließlich ist Erik überall. In Zeitungen, im Fernsehen, in Bilderrahmen bei mir Zuhause und auch hier hing er an der Wand. Es war unser Abschlussfoto.

Ich griff nach dem Bilderrahmen und strich über das Foto. Erik hatte mir einen Arm um die Hüften gelegt und lächelte mich stolz an. Damals war noch alles so einfach. So unkompliziert.

Wir waren unzertrennlich. Erik und ich. Es gab eigentlich immer nur ein wir. Ich konnte mich immer auf mein verpeiltes Dürmchen verlassen. Er war immer für mich da. Doch unser Abschluss lag Jahre zurück und wir hatten uns in dieser Zeit verändert. Er hatte seinen Traum verwirklicht und war Fußballer geworden und ich. Ich war Krankenschwester geworden. Uns trennten Welten. Wir waren so unterschiedlich und so anders. Aber trotzdem brauchten wir immer den jeweils anderen. Wir hatten noch nie wirklich etwas alleine gemacht. Erik hatte mich sogar ein einziges Mal zum Shoppen begleitet. Er meinte damals: “Du musst irgendetwas tragen, dass zu meinem Anzug passt.” Das Kleid was ich damals getragen hatte, hatte er für mich ausgesucht. Es bedeutete mir heute immer noch sehr viel. Ich meine, wann bekommt man von einem Mann ein Kleid ausgewählt beziehungsweise geschenkt? Dieses Kleid erzählt einfach so viel Geschichte, genauso wie dieses Bild. Erik und ich unzertrennlich. Zumindest zu diesem Zeitpunkt.

Ich stellte das Bild zurück auf seinen Platz, bevor meine Mutter zurück ins Wohnzimmer kam.

“Wir haben unerwarteten Besuch.” Schulterzuckend und gleichzeitig unschuldig sah sie mich an. Irgendwie ahnte ich in diesem Augenblick, wer unverhofft bei meinen Eltern geklingelt hatte. Doch so wirklich wollte ich es nicht wahrhaben.

Damals war es Alltag gewesen, dass Erik jeden Tag bei mir Zuhause war. Für meine Eltern hatte er damals schon zur Familie gehört, vermutlich sahen sie ihn schon längst als Schwiegersohn an.

“Hey”, sagte mein bester Freund zu mir und sah mich lächelnd an. Es war komisch ihn hier zusehen, seitdem er mich vor einer Woche in meinem knappen Nachthemd gesehen hatte. Es war mir immer noch peinlich.

“Hey”, begrüßte ich ihn ebenfalls und stand immer noch an Ort und Stelle. Ich wusste nicht was ich tun geschweige denn wie ich reagieren sollte. Doch die Entscheidung wurde mir von Erik abgenommen. Mein bester Freund kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich zog seinen Duft ein, während ich meine Augen schloss und für einen Moment diesen Augenblick genoss. Ich wünschte Erik würde mich nie wieder loslassen, doch zu meinem Leidwesen tat er es.

“Wie geht's dir?” Fragend sah Dürmchen mich an, während ich ihn verwirrt musterte. Irgendetwas stimmte doch mit ihm nicht? Sein Verhalten ist sehr, sehr merkwürdig.

“Gut und dir?” Meine Mutter stand nur kopfschüttelnd und gleichzeitig lachend hinter meinem besten Freund. Ich zuckte nur mit den Schultern, was mein verpeiltes Dürmchen nicht mitbekam.

“Könnte besser sein.” Besorgt musterte ich ihn. Erik sah wirklich schlecht aus. Er hatte tiefe Augenringe und sah ziemlich blass um die Nase aus.

“Ich lass euch mal alleine, dann könnt ihr das in Ruhe besprechen.” Mit einem Zwinkern verschwand meine Mutter aus dem Wohnzimmer, während ich darüber nur mit dem Kopf schütteln konnte.

“Was ist denn los?” Fragend sah ich Erik an, während es mir das Herz brach ihn so zusehen. Ich wollte ihm unbedingt helfen, doch so wirklich glaubte ich bis jetzt noch nicht daran, dass ich es konnte.

“Jenny zickt ein bisschen rum, weil du mitkommst. Ich glaube langsam, dass ich mich in etwas verrannt habe.” Ich spitzte meine Ohren und sah ihn neugierig an. Er hatte sich also in irgendetwas verrannt, das heißt ja, dass Erik eventuell darauf anspielt sich von der Schnepfe sich wieder zu trennen.

“Das tut mir leid”, sagte ich mitfühlend, doch meine Stimme konnte seine Freude darüber nicht verstecken.

“Vielleicht haben die Jungs recht und ich sollte mich wieder trennen, aber ich kann das nicht.” Warum erzählte er mir davon, wenn er sich am Ende sowieso nicht von der Tusse trennte? Mir wäre es sowieso lieber, wenn ich nur mitkommen würde und ich Erik für mich ganz alleine hätte. Vielleicht war es ein bisschen egoistisch von mir, doch was könnte ich für meine Gefühle? Nämlich nichts.

“Du lagst die ganze Nacht wach oder?” Fragend sah ich ihn an, während mein bester Freund nur mit dem Kopf nickte. Ihm ging es wirklich scheiße.

“Tu’ das was du für richtig hältst. Ich bin immer für dich da”, sagte ich und nahm Erik in den Arm. Nur wenige Sekunden später zog er mich näher an sich und vergrub seinen Kopf in meinen Haaren. Es tat so weh ihn so zu sehen.

Wir standen einige Minuten stillschweigend in dieser Position, bevor eine Tür ins Schloss fiel und wir auseinander schreckten.

“Du siehst ja scheiße aus.” Mit diesen Worten betrat mein Vater das Wohnzimmer, während ich ihm mit einem bösen Blick bedachte. Er war auch schon einmal feinfühliger gewesen.

“Max”, sagte meine Mutter, die meinem Vater gefolgt war, und sah ihn tadelnd an. “Was? Es ist doch nur die Wahrheit”, versuchte er sich zu verteidigen, während ich nur die Augen verdrehte.

“Komm mit”, sagte ich zu meinem besten Freund und fasste nach seiner Hand, bevor wir das Wohnzimmer verließen. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in mein ehemaliges Zimmer, das ich hin und wieder benutzte, wenn eine Feier in meinem Elternhaus anstand und ich keine Lust mehr hatte nach Hause zufahren.

“Du legst dich jetzt hin und schläfst erst einmal eine Runde, bevor wir uns um deine Probleme kümmern.” Lächelnd sah ich zu ihm auf. “Was würde ich nur ohne dich tun”, sagte Erik zu mir, bevor er mich in den Arm nahm.

Warum musste er nur mit dieser Jenny zusammen sein?! Er war so ein lieber und netter Kerl und sie, zumindest nach Marcos langen und ausführlichen Vortrag, ein Monster. Mein armer Erik. Er tat mir so leid.

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