7. Türchen

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Es war in den frühen Morgenstunden, als Wanna die Hütte verließ

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Es war in den frühen Morgenstunden, als Wanna die Hütte verließ.Glacies lag noch im Dunkeln; nur der Schnee glitzerte im Mondlicht.Es herrschte eine Stille, die viele Lasins nur im Winter erlebten,mit der Wanna aber aufgewachsen war.

Dennoch genoss sie diesen Augenblick. Vor der Hütte hielt sieinne, atmete die eisige Luft tief ein, und ließ den Moment auf sichwirken.

All das hier kannte sie so gut. Die Häuser, die Straßen, dieSchneehaufen. Aber all das wirkte auf einmal wertlos, seit siewusste, wie hässlich ihre Stadt tatsächlich war.

Sie war so schockiert gewesen. Bei dem Gedanken daran spürte siedie Wut in sich abermals aufsteigen.

Nachdem Orvid und seine Kumpanen den kleinen Férox fast totgeprügelt und Fedwick aus Glacies vertrieben hatten, hatte siegeglaubt, irgendetwas würde sich ändern. Sie hatte erwartet, dieTäter würden bestraft werden.

Aber nichts geschah. Schon ein paar Tage später begegnete sieihnen wieder in der Schule, und sie alberten herum, schikaniertenkleinere Kinder, und taten so, als wäre nie etwas gewesen. Alshätten sie nicht beinahe das Leben eines Jungen auf dem Gewissengehabt und dafür gesorgt, dass Wanna den einzigen Freund verlor, densie hatte.

Doch was Wanna am meisten daran zu schaffen machte, war dieTatsache, dass niemand auch nur versuchte, Orvid und Co einesBesseren zu belehren. Niemand scherte sich darum, dass ihr Rassismusund engstirniges Denken aufhörte.

Niemand, außer sie.

Denn dieser Tatsache war sich Wanna sicher: Kampflos würde sienicht aufgeben.

Als Kind war immer vom Guten ausgegangen. Nie hatte siebezweifelt, dass jeder tief in seinem Herzen gut war. Je älter siewurde, desto bewusster wurde ihr natürlich die Tatsache, dass esimmer wieder Lasins gab, die schlimme Dinge tun würden. Aber einFehler bedeutete nicht, dass ein Wesen gänzlich schlecht war.

Orvid hatte sie eines besseren belehrt. Und nun war sie an derReihe, ihm zu zeigen, dass es anders eben auch ging.

Allerdings brauchte sie dafür den König. Und weil König Timurschon vor vielen Jahren offene Sprechzeiten im Schloss abgeschaffthatte, musste sich Wanna anders weiterhelfen.

So machte sie sich auf den Weg zum Eispalast; ihre Fußspuren dieersten im frischen Schnee.


Als sie am Palast ankam, ging gerade die Sonne im Osten auf. Ihroranges Licht strahlten von hinten gegen das majestätische Gebäudeund tauchte es in einen faszinierenden, magischen Glanz. Wanna hieltinne, reckte ihren Hals, und konnte sich nicht satt sehen.

Oft war sie noch nicht hier gewesen, nur einmal als Kind, als esein Fest gegeben hatte, bei dem die Kinder durch das Schloss tobenkonnten. Zumindest die der Reichen. Die Armen mussten draußenbleiben, aber das war ihr damals gar nicht so schlimm vorgekommen.Erst jetzt, wo ihr die Spanne zwischen reich und arm bitter bewusstgeworden war, musste sie bei dem Gedanken daran regelrecht aufstoßen.

Ihrer guten Erziehung hatte sie es zu verdanken, dass sie sichnoch zurückhalten konnte.
Ein Teil von ihr konnte nicht fassen,dass sie nun tatsächlich hier stand. Der Eispalast war nicht voneiner Mauer umgeben, sondern schloss sich nahtlos an das umliegendeStadtleben ein, aber in dieser Gegend gab es wahrscheinlich auchkeine Unruhestifter, die dem Gebäude aus Schnee und Eis etwasschaden konnten.

Mutig setzte Wanna einen Schritt vor den anderen und erklomm dieTreppe. Laut ihrem Vater war die Treppe vor Jahrhunderten noch viellänger gewesen, aber die Schneemassen hatten sie mehr und mehrverdeckt. In vielen Jahren würde von ihr nichts mehr übrig sein,aber es gab ja genug weiße Tiger, die Glacies retten konnten. DieStadt würde immer bestehen, da war sich Wanna sicher.

Oben angekommen, versuchte sie von ihrer kindlichen Naivitätgelenkt die Doppeltür zu öffnen, aber sie war verschlossen.

Wanna biss sich auf die Unterlippe und hob widerwillig die Faust,um zu klopfen.
Sie hörte, wie das Geräusch im Innenraumnachklang, konnte aber nicht sagen, ob jemand sie gehört hatte.

Minuten vergingen, während sie auf eine Reaktion wartete. Nichtsgeschah. Sie versuchte es ein zweites Mal, ein drittes Mal, wiederohne Erfolg.

Die Erkenntnis traf sie unverhofft, aber unterbewusst hatte siemit einem solchen Ergebnis gerechnet: Man würde sie nicht einlassen.

Und falls doch noch ein Wunder geschehen sollte, würde man siemit ziemlicher Sicherheit nicht zum König bringen.

Sie setzte zum Rückweg an, drehte sich nach halber Strecke aufder Treppe noch einmal um und blickte die Fassade des Eispalasteshinauf.

Das Gebäude bestand aus vielen einzelnen Türmen und Balkonen,wodurch es ein bisschen so aussah, als gäbe es hunderte Treppenstatt Dächer. Zumindest mit viel Fantasie.

Ihr kam eine Idee.

Sie war waghalsig, aber nichts, für das es sich zu kämpfenlohnte, war einfach zu haben.

Der Satz könnte von Fedwick stammen.

Und alleine die schmerzende Erinnerung an ihn und die Vorstellung,ihn nie wieder zu sehen, brachten Wanna dazu, ihre waghalsige Idee indie Tat umzusetzen.

Die letzte KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt