Sanfter Schnee rieselte herab. In den letzten Tagen hatte ein starker Schneesturm über Glacies gewütet. Viele Lasins trauten sich erst jetzt wieder vor die Tür.
All das hatte im Palast keine Rolle gespielt. Es war, als herrschte hier ein ganz anderes Klima; nein, eine ganze andere Dimension.
Alles war im Umbruch, und gleichzeitig konnte man überall den Stillstand spielen. Man wollte schnell weiter, und steckte doch noch fest zwischen dem, was geschehen war, und dem, was man nicht glauben konnte.
Walpyxas Auftauchen bei der königlichen Einführung hatte verheerende Folgen. Nicht nur für ihre Familie selbst – das war eine andere Geschichte – sondern für ganz Sempera. Während sie wütete, hatte sie das Königspaar ermordet. Und nicht nur sie, auch viele andere Lasins.
J'Khar wurde seitdem als Held gefeiert. Er hatte sie festgenommen und ins dunkelste Verlies des Palastes gesteckt.
Dort hockte sie nun in ihrer feuchten Zelle, während sich Wanna um die Scherben kümmern musste, die sie hinterlassen hatte.
Es war der fünfte Tag nach Walpyxas Attentat, und die Sonne war soeben aufgegangen.
Wanna wurde in den Thronsaal bestellt, wo man bereits den größten Schaden beseitigt hatte. Ein Diener führte sie dorthin, und als sie den Saal betrat, stand Vasaris in der Mitte. Er wandte sich zu ihr um, als er sie hörte. Noch immer trug er seine schwarze Trauerkleidung. Sein Gesicht wirkte ausgemergelt, und der fehlende Schlaf zeichnete sich deutlich unter seinen Augen ab.
Er bedeutete ihr, zu ihm heranzutreten.
Als sie vor ihm stand, versuchte er zu lächeln, brachte aber nur eine traurige Fratze zustande.
Wannas Herz schlug schneller. In den vergangenen Tagen hatte sie ihn kaum gesehen. Zu groß war ihre Furcht vor seinem Urteil gewesen. Sie wusste nicht, wie er ihretwegen entscheiden würde; jetzt, wo Walpyxa ihr großes Familiengeheimnis gelüftet hatte.
„Einmal habe ich meinen Vater gefragt, woran man merkt, dass man so weit ist", murmelte Vasaris, ohne sie direkt dabei anzusehen. „König zu sein, meine ich. Und er sagte, dass man nie so weit ist. Irgendwann kommt nur der Tag, an dem man König sein muss."
„Es tut mir so leid, Vasaris", hauchte sie, und sie spielte mit dem Gedanken, ihn zu umarmen, ließ es dann aber doch bleiben. Noch immer war nicht klar, wie die Sache für sie ausgehen würde.
Er schluckte schwer, dann hob er mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Blick und sah sie an.
Ihre Furcht erlosch. Es war egal, was passieren würde. Ob er sie und ihre Familie zum Tode verurteilen würde.
Denn in seinem Blick, zwischen all seiner Trauer und dem Schmerz, konnte sie noch immer seine Liebe zu ihr erkennen.
Und solange dies der Fall war, so wusste sie, würde er sie nicht verurteilen.
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Die letzte Königin
FantastikEin Palast, gebaut aus Schnee und Eis. Eine Stadt um ihn herum erbaut, so pompös, dass sie alles in Schatten stellt, was du je gesehen hast. Und ein junges Mädchen, die im armen Stadtrand aufwächst und ihre ganz besondere Gabe erkennt.