Die 1000 Nacht

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ᴘʀᴏʟᴏɢ

Istanbul
{Üsküdar}

23:45 Uhr

𝕯as leichte Wellenrauschen, welches beim aufmerksamen Lauschen, einen Eintritt in die Sinne gewährt bekam, setzte sanftvolle Musiknoten an das Heranbrechen der Nacht an. Feinfühlig, beinahe sinnlich, rauschte es im gleichmäßigen Takt umher, steigerte sich seinem Maximum zu und zerfiel, nur, um ein weiteres Mal wieder aufzuerstehen und sich zu einer neuen Welle zu bilden. Hoch über der Stadt, der geschmückt war von lauter unzähligen Sternen, die wie Diamanten glänzten, gewährten diese dem Hauptprotagonisten, dem hell aufleuchtenden Halbmond, der durch die Halbphase des Mondzyklus gekennzeichnet wurde, den erwünschten Stammplatz. Damit hatten sich die Vorhänge des Tages endgültig geschlossen und es wurde dem Abendhimmel vornehm der rechtmäßige Thronplatz angeboten.

Inmitten dieses harmonischen Gebildes, ragte hingegen ein Hindernis auf. Ein tiefer Schnitt, welcher dieses wundersame Werk genau in der Mitte zerriss, den Zutritt der Wellen in die freien Meere verhinderte, sie gar unruhig werden ließ. Denn genau im Zentrum dieser Gewässer nämlich ragte ein Turm auf. Eine Wegspeere und doch ein Verbindungspunkt gleichermaßen, der Asien mit Europa verband, und zwar das Schwarze Meer mit dem Marmarameer, auch bekannt als der Bosporus. Denn inmitten dieses idyllischen Kunstwerkes, der den Bosporus als Ausgangsmittelpunkt für sein Schauspiel berufen hatte, fand jäh eine Zäsur statt. Eine Zäsur, die dem in einem Sonett gleichgestellt werden konnte. Ein Bruch.

Die finstere harmonisierende Farbe der Nacht wurde bekleckert durch das aufdringliche Aufleuchten kontrastreicher Farben eines einmaligen Konstrukts, das 180 Meter von Üsküdar entfernt in der Meerenge des Bosporus auf einer kleinen Insel vorlag: Der Leanderturm, auch bekannt in der Originalsprache als der Mädchenturm- Kız kulesi.

Trotz dieser antiken Vielfältigkeit, die dieser Turm vorzuweisen hatte und den bemerkenswerten Farbübergängen, zog sich der Mond urplötzlich erschrocken von diesem Farbtupfer zurück, versteckte sich hinter den sich im Hintergrund aufhaltenden Wolken und die Wellen verloren ihre zuvor dargelegte Bodenständigkeit. Das Metrum sackte zusammen und aus der Symphonie entstand ein pures Chaos, wie als würde die Mutternatur, die herannahende Katastrophe tief in seinen Verwurzelungen unter der Erde zu spüren bekommen. Und als würde es den Schmerz dieser zwei Seelen, die sich nur wenige Kilometer von dieser Insel entfernt befanden, damit ein für alle Mal ein Ende setzen wollen.

In dem Augenblick, als die Wolken nun vollkommen das Mondlicht verdeckten, fiel der Schatten nicht einzig und allein auf den Turm, wie ein grausamer dunkler Fluch herab, sondern es besprühte auch die zierliche Gestalt, die verträumt den Blick darauf gerichtet hatte. Der zauberhafte Glanz in ihren Augen wurde überwuchert von einer dunklen Spur...

Das fast schon elfenhaft zarte Geschöpf hatte sich in einer Penthouse Suite hoch oben in einem Gebäude auf einer Chaiselongue niedergelassen, den Rücken dabei gerade ausgestreckt und den Blick von der Suite abgewandt, indem sie aus den bodentiefen Fenstern blickte. Ihre Augen fokussierten sich ausschließlich nur auf dieses nächtliche Panorama aus dem Fenster, von dort aus sie einen perfekten Blick auf den Leanderturm hatte. Sie spürte, wie sie sich einen Moment aus ihren Ketten befreite, sich dem Flüstern der Wellen hingab, die ihre tiefsten nächtlichen Geheimnisse zu entlocken bestrebten, unwissend darüber, dass dieses Vorhaben die innerliche Sehnsucht nach der gewünschten Freiheit heraufbeschwören und sie für immer brandmarken würde.

»Woran denken Sie gerade ?«, erklang eine tiefe raue Stimme hinter ihr und das junge Mädchen brauchte nicht einmal den Wellen den Rücken zuzukehren, um zu wissen, wem sie diese wohlklingende ausdrucksstarke Stimme zuzuordnen hatte. Das urplötzliche Aufflattern ihres Herzens hatte den Übeltäter schon längst entlarvt und den Klang schmerzlich in sich einziehend, schloss sie unruhig ausatmend, die Augen. Ihre Finger auf dem Sitz, gruben sich dabei Druck ausüben in den edlen Polster unter ihr.

ℬinbir Gece🌙Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt