10➳ Ich liebe sie nicht

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Emran

»𝕯er Marktanteil ist wie in den letzten Jahren äußerst stabil und noch weiter ausbaufähig. Zudem haben sich die Nachfragen, im Vergleich zum letzten Jahr zu 15 % erhöht. Das Weinsortiment findet insbesondere in den provinzielleren Regionen einen guten Einklang, sodass ich vorschlagen würde, dass wir weiterhin dort anknüpfen sollten«, sprach Grigorios, der für die Finanzen zuständig war, aus und blickte durch die Runde. Wir hatten uns wie zuvor festgelegt in meinem Konferenzsaal mit sechs Mann eingefunden und besprachen neue Taktiken und den Aufbau von stabilen Vertragsbindungen, die uns noch mehr Gewinn, als auch Sicherheit für dieses Unternehmen einbringen würden.

Derweilen ich ganz vorne am Tisch saß und den kleinen helläugigen Finanzchef aussprechen ließ, der meinem Vater seit Jahren gut diente, bekam ich aus dem Augenwinkel mit, wie neben mir, Egzon, der Filialleiter unseres Konzerns mit seiner alten rauen Stimme in Dauerschleife diktierte, was in den nächsten Tagen für Termine anstehen würden und worauf wir den Fokus zu legen hatten.

Derweilen sich dies in meiner Umgebung abspielte, starrte ich in meiner eigenen kleinen Kapsel gefangen, die funkelnde zarte Kette in meiner Handinnenfläche an.

Ihre Kette.

Das dünne schimmernde silberne Band, das mit einer leichten Drehung versehen war, blinzelte hier und da auf, sodass das Silber kristallartig glänzte. Meine ganze Aufmerksamkeit lag jedoch nicht auf diesem winzigen Detail des Schmuckstücks, sondern auf den zwei silbernen Ringen, die an der Mitte, wie Anhänger herunterbaumelten. Inmitten dieser fast identischen Ringe war ein weiterer kleiner Anhänger befestigt, der die Form einer kleinen Geige vorwies.

Vorsichtig nahm ich es in die Hand und betrachtete die quadratischen Silbersteine drumherum, die mich in ihren Bann zogen. Ich wusste, dass der Blick des alten Mannes neben mir auf mir lag, während er von seinen Unterlagen aufblickend, all die Termine selbstsicher aufsagte. Doch meine Gedanken glitten just in ein ganz anderes Universum, verharrten dort, genossen das Alleinsein, als dass ich im Augenblick wert auf meine vorgelegte Verhaltensweise legen würde. Nachdem ich eine ganze Weile schweigend die Form der Violine nachgefahren war, nahm ich die beiden Ringe wieder näher in Augenschein. Ein Blitz durchzuckte meinen Körper, als ich mit dem kleineren der beiden Ringe im Nu in Berührung kam.

Es musste ihr Ring sein.

Ihres, das an ihrem zarten Ringfinger geruht hatte. Indem ich es in meiner viel zu großen Handinnenfläche hielt, spürte ich, wie die Energie des Ringes auf mich abstrahlte, mich zunehmend mit Lebendigkeit und Adrenalin umhüllte.

Es war, als würden unsichtbare Finger, ihre Finger sachte über den Ring streichen und dabei mit meiner Haut in Kontakt kommen, jeder dieser Stellen zum Kribbeln bringen und ein unglaubliches Inferno in mir entfachten.

Ganz langsam drehte ich es zwischen meinen Daumen und Zeigefinger rum, viel zu vorsichtig, um es nicht zu beschädigen, ehe plötzlich wieder ihr Gesicht vor meinen Augen auftauchte und damit auch die Erinnerungen von gestern Morgen.

Ich konnte es nicht fassen.

Während ich aufgewühlt und völlig neben der Spur in meinen kleinen Büro hin und her gelaufen war, hatte ich es nicht glauben können, dass sie nun bei mir war. Ich konnte den steigenden Drang zu ihr zu gehen in mir nicht unterdrücken, der immer weiter wuchs, je länger ich mir bewusst wurde, dass sie nur wenige Türen weiter entfernt im Bett lag.

In meinem Bett lag und schlief.

Ich hatte keine klaren Gedanken mehr gehabt, wie das eine zum anderen geführt hatte. Als sie in das Wasser gefallen war, hatte ich keine Zeit verschwendet, hatte meine Jacke ausgezogen und sie aus der schrecklichen Kälte rausgeholt.

ℬinbir Gece🌙Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt