15➳ Der Psarianos-Clan

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Arzu

𝕭unte Neonlichter flackerten über mir, schweiften wie ein Regenbogen über den ganzen Raum wie auch die große Menschenmasse, die im dämmrigen Licht beinahe komplett in schwarz gehüllt war. Eine gewaltige Tsunamiewelle entstand, indem sich die Meute immer gerissener zum Takt der Musik bewegte, während die Boxen an jeder Ecke energievolle, durchtriebene Töne in den Raum warfen.

Eine aufgelockerte Atmosphäre, Sorglosigkeit und eine Nacht voller Ereignisse versprach sie denjenigen, die diesen Club in der Nähe des Ufers in einer kleinen abgelegenen Gasse aufsuchten. Und trotz dass sich der Club nicht wirklich im Zentrum der Stadt befand, hatte das 'Yesim' einen guten Ruf und eine beachtliche Popularität im Inland sowie bei ausländischen Besuchern erlangt. Demnach war es nicht unüblich, dass sich an Tagen wie diesen vor dem Eingang eine Menschenschlange gebildet hatte, um hereingelassen zu werden.

Aufmerksam ließ ich den Blick über die Menschen wandern, welche laut jubelnd um den DJ herum am angehobenen Podest standen. In einer Sommernacht wie dieser machte mir die Arbeit mehr denn je Spaß, da ich es zum einen genoß von glücklichen Menschen umzingelt zu sein, zum anderen die Musikauswahl des DJs liebte aus dem er seinen persönlichen Remix kreierte. Heute hingegen schienen all die genannten Punkte  keine Wirkung aufzuzeigen, denn meine schlechte Laune blieb immun dagegen. Schlimmer noch, sie nahm von Minute zu Minute zu.

Die aufdringlichen Laute aus den zwei Boxen, welche unmittelbar an beiden Seiten über mir angebracht waren, kurbelten meine vorhandenen Kopfschmerzen noch weiter an. Außerdem war die Kundschaft bereits vor der Rush Hour unübersichtlich geworden, weshalb meine Arbeitskolleginnen und Kollegen regelrecht von einem Posten zum anderen flitzten. Mal mussten die Bestellungen an die reservierten VIP Plätze gebracht werden und im nächsten Moment befanden sie sich hinter der Bar, um dann den aufdringlichen Kunden ein nach ihren Wünschen gefordertes alkoholisches Getränk einzuschütten - wie auch jetzt der Fall war.

Ich bückte mich über den Tresen um zwischen einer der vielen unterschiedlich großen und breiten Flaschen nach einer bestimmten Marke einer Wodkaflasche zu suchen, die für den ungeduldigen Mann vor mir gedacht war. Instinktiv huschte dabei meine Hand an mein kurzes Oberteil mit dem gewagten Ausschnitt, das vorne lediglich mit Schnürsenkeln verbunden war, sich ansonsten fest an mein Körper schmiegte.

Dies war einer der wenigen Schattenseiten dieses Jobs an so einem Ort, dachte ich, bekam aber sofort ein schlechtes Gewissen bei diesem Gedanken. Ich wollte und sollte mich eigentlich nicht beklagen. Bei meiner Ankunft hatte mir schließlich einer nach dem anderen wegen meiner mageren Referenzen und Erfahrungen eine Absage erteilt. Diese Stelle war neben dem Kellnerjob im Restaurant die einzige gewesen, die ich ergattert hatte. Erst dadurch hatte ich überhaupt die Chance bekommen hier in diesem fremden Land ein neues Leben zu beginnen.

Dennoch lenkte das darüber nicht hinweg dass das Diensttop der weiblichen Angestellten an der Grenze der Freizügigkeit balancierte. Ich hatte zwar die Kürze des Oberteils mit einer Highwaisthose kaschieren können, aber der Ausschnitt blieb zu meiner Missgunst bestehen. Und einigen Abenden, wie auch heute, konnte ich nicht anders, als mir zu wünschen, dass ich dieses Oberteil verbrannt  und meinen strengen Chef angelogen hätte es verloren zu haben; auch wenn ich wusste, dass er meine Lüge in derselben Sekunde durchschauen würde.

Die Stimme von Hande Yener drang zu mir durch zeitgleich ich das ungeduldige Klopfen vor mir wahrnahm. Erleichtert atmete ich auf, als ich den gesuchten Schriftzug auf einer der Flachen fand, sie eilig zu mir zog und die Flüssigkeit in das große Glas vor mir kippte.
Anschließend stellte ich es mit einem freundlichen Lächeln auf die Anrichte, ehe ich dem bärtigen Mann vor mir mit dem Palmenhemd einen schönen Abend wünschte und mich entschuldigte, dass ich so lange gebraucht hatte. Mein Satz blieb auf halber strecke jedoch stehen, als mein Blick über die Schulter des Mannes huschte und mein Lächeln erstarb.
Ein Anzugsträger rückte sich in mein Blickfeld und als ich hellen Augen begegnete, fasste ich instinktiv die Platte des Tresens fester. Das Holz bohrte sich schmerzhaft in meine Handinnenfläche, doch vergessen waren all die Empfindungen. Selbst der merkwürdige Blick meines Kunden am Tresen, der sich kurz darauf davonstahl, glitt an mir vorbei. Denn meine Augen machten sich wie selbstverständlich erneut auf die Suche nach dem Anzugträger.

ℬinbir Gece🌙Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt