1 Berlin

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Eines wusste Viktor ganz sicher: Das, was Frauen am meisten in dieser gottverdammten Welt liebten, war Geld.

Während digitale Zahlen ihre Bedeutung für Vampire behielten, änderte sich die Währung der verbliebenden Menschen schlagartig auf Silber. Silber war das Einzige, das so etwas wie Sicherheit nahe kam – die Möglichkeit zu fliehen und sich in eine vermeintlich vampirfreie Stadt einkaufen zu können. Denn Silber verdeckte den Eigengeruch eines Menschen und verbrannte das Virus des Vampirismus.

Doch wenn man sein Leben lang chronisch blank war, mussten Muskeln den Anschein von Sicherheit erwecken. Also rollte sich Viktor in seinen bunt gepunkteten Boxern vom Bett und machte die Liegestütze im Takt des Liedes aus seinem Radiowecker. Dabei stemmte er sich mit den Fingern vom Boden ab, die sich seiner Meinung nach am besten zum Augenauspiksen eigneten. Dann rappelte er sich auf und kritzelte eine Notiz, bevor er sie wieder vergessen würde. 'Sowas wie eine Halskrause erfinden wegen empfindlichste Stelle' Sein Schreibtisch war übersäet mit mehr oder weniger ordentlich sortierten Plänen. Er hatte sich bereits einige Monate nach dem Ausbruch damit abgefunden, dass niemand der Stadt helfen würde. Also würden sie sich selbst helfen müssen.

Dann schlurfte er über das verblassende Holzlaminatmuster des Linoleums den Flur entlang. Vorbei an der geschlossenen Tür seines älteren Bruders, der sich über die noch immer laut laufende Musik beschwerte, und der offenen Tür seiner Eltern, auf deren Bett die schwieligen Füße seines Vaters unter der blumigen Decke hervor ragten. Dieser würde sich erst von der Stelle bewegen, wenn er nüchtern wurde und dann auch nur um diesen unerträglichen Zustand wieder zu ändern.

Quer im vergilbten Rahmen der Badezimmertür steckte eine schwarze Reckstange. Während Viktor dieses Hindernis mit einigen aufwärmenden Zügen überwand, um sich die Zähne putzen zu dürfen, stellte er sich vor, dass er nur auf diesem Wege den Drachen erschlagen und die junge Frau retten konnte. Jungfrauen im heiratsfähigen Alter waren schließlich noch vor den Drachen ausgestorben, woran auch er wohl nicht ganz unschuldig war. Die Vorstellung von fliegenden Feuerspeiern machte ihm außerdem weniger Schokolade in der Buxe als die von Vampiren.

Auf dem Boden lag ein weißer BH mit Kirschen drauf, den er auffischte und in den Wäschekorb warf. Sein Deo musste er sich zwischen unzähligen Pflege- und Schminkartikeln heraussuchen. Die Haare, die ihm vorne bis an die Augenbrauen hingen, kämmte er sich mit etwas Wasser auf den Händen zurück.

Im Wohnzimmer saßen wie jeden Samstagmorgen seine zwei jüngeren Schwestern, aßen Cornflakes und sahen sich Trickfilme an. Auf dem Couchtisch stand auch eine angefangene Dose Sguschonka, die beiden schlürften an einem morgen schon mal eine halbe Dose von dem süßen Zeug weg, während ihm spätestens nach zwei Löffeln übel wurde. Die Fenster waren weit zum Lüften geöffnet.

Er wuschelte beiden kurz durch die Haare, wobei er ihren Schlägen lässig auswich und ging dann zum Kühlschrank. Dort holte er sich zwei Scheiben Mortadella heraus und parkte sie auf einem Stück Brot. Der Generator steckte noch im Gurkenglas mit destilliertem Wasser, also war das heutige Silberwasser noch nicht fertig. Er nahm das Glas von Gestern aus dem Regal und trank den Rest aus. Dann stellte er es zu den anderen benutzten Würstchen- und Erbsengläsern und den Deckel zu den Deckeln.

Ein zögerliches Stimmchen ertönte hinter ihm. „Vik?" Katharina war die mutigere der beiden Schwestern.

„Nein." Er biss in sein Brot, drehte sich zu ihnen um und lehnte sich kauend an die Küchentheke.

„Ach komm schon, bitte!" Swetlana setzte ihren Hundeblick auf.

Viktor gefiel es ganz und gar nicht, dass die beiden langsam in die Pubertät kamen. Sie waren zweieiige Zwillinge und von den vier Geschwistern war Katja die einzige, die nach Mutter kam. Die anderen drei waren hellhaarig und kantig wie der Vater. Während sie dunkelbraune Locken und weiche Gesichtszüge hatte.

Blutbeutel einer VampirinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt