2 - Minho

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Die nächsten Monate bestanden aus Schmerzen. Jeden Tag waren es dieselben Fragen. Und jeden Tag dieselben Versuche, mich zu verändern. Sie dachten, ich merkte es nicht. Jeden Tag schrieb ich mehr an meine Wände. Jeden Abend wiederholte ich ihre Namen. Denn langsam begann ich zu vergessen. Anfangs nur Details, aber mittlerweile veränderten sie meine gesamten Erinnerungen. Ich konnte mich an das Labyrinth erinnern, aber danach war alles verschwommen. Es schien, als wären alle guten Erinnerungen weggewischt worden. Mir blieb nur das schlechte. Wie Shay fast gestorben wäre, wie Winston fast gestorben wäre, wie Shay mich vergessen und dann weggestoßen hatte. Wie sie ohne mich gegangen war. Sie hatte mich bei WICKED zurückgelassen, wo mein Tag nur aus Schmerzen bestand. Angst. Obwohl ich es nicht glauben wollte, brannten sich neue Erinnerungen in mein Gehirn ein. Meine Freunde hatten mich zurückgelassen. Meine Wand verriet mir, dass ich sie darum gebeten hatte. Aber hätte ich sie zurückgelassen? Ich hätte für sie gekämpft. Für alle von ihnen.
Meine Freunde wurden von Tag zu Tag mehr zu Feinden. Man nahm mir alles Gute und ließ mir nur die schlechten Erinnerungen, die mich auffraßen. Ich wusste nicht, was WICKED mit meinem Gehirn anstellte, doch es funktionierte. Was zuvor noch Liebe zu meinen Freunden war, wurde zu Feindseligkeit. Wie hatte ich diese Verräter meine Familie nennen können?
Newt, Winston, Thomas, Shay, Chuck, Alby, Ben, Gally, ... Ich wiederholte ihre Namen Tag für Tag, doch sie wurden immer wertloser für mich. Mir fehlten die Details ihrer Gesichter, ihrer Persönlichkeiten. Ich wusste nur, dass ich wütend war und dass ich sie momentan hasste. Warum hatte ich all das an die Wand geschrieben? Was hatte es zu bedeuten? Warum sollte ich mich selbst belügen?
Ich wurde mal wieder von Dr. Paige abgeholt. Inzwischen wehrte ich mich nicht mehr, sie tat immerhin alles, um die Menschheit zu retten. Was sie mir hier antaten, musste also richtig sein.
"Wie geht es dir?", sagte sie, als wir eine Metalltür erreichten. Zu meiner Erleichterung lag dahinter nur ein weißer Tisch mit Stühlen auf gegenüberliegenden Seiten. Ich atmete auf und setzte mich ihr gegenüber.
"Es geht mir ganz okay", sagte ich schulterzuckend.
"Sehr schön", erwiderte sie lächelnd. "Vermisst du deine Freunde?"
"Nein", sagte ich. "Ich bin ohne sie besser dran."
Sie grinste, als ob sie genau das erwartet hatte. "Wieso?"
"Sie haben mich hier zurückgelassen, um sich selbst zu retten. Sie fliehen vor dem, was richtig ist. Wir müssen ein Heilmittel finden. Es war egoistisch, wegzulaufen. Es ist unsere Verantwortung."
"Wenn ich dir jetzt also sagen würde, dass deine Freunde tot sind, wie würdest du reagieren?"
"Das haben sie wohl verdient."
Ava Paige kritzelte etwas auf ihrem Klemmbrett und sah mich an. "Du willst also nichts mehr mit ihnen zu tun haben?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Okay, letzte Frage: wie heißen deine Freunde?"
"Newt, Winston, Pfanne, Shay,-"
Schmerzen. Der elektrisierende Schmerz durchzuckte meinen Körpet erneut.
"Wie heißen sie?"
"Newt", fing ich an, doch wurde von Schmerzen unterbrochen. "Das ist nicht wichtig. Ich will sie nie mehr wiedersehen."
"Solltest du sie jemals wiedersehen, würdest du dann mit uns kooperieren?", hakte sie nach, worauf ich nickte. "Na gut. Wir werden morgen noch einen letzten Test machen, dann darfst du aus der Zelle raus."
"Wie meinen Sie das?"
"Du darfst mit Teresa für uns arbeiten. Natürlich werden wir dir ab und zu Blut abnehmen, um das Heilmittel zu finden, aber du kannst uns helfen. Sobald wir deine ehemaligen Freunde gefunden haben, nehmen wir sie gefangen und dann werden wir sie wieder für unsere Tests brauchen."
"Sie sind schlau. Sie werden sie nicht finden", sagte ich. "Wenn Sie sie anlocken wollen, nehmen Sie mich als Köder. Sobald die sehen, wie schlecht es mir anscheinend geht, werden sie von alleine kommen."
"Mir gefällt deine Einstellung, Minho", lobte Ava Paige. "So soll es sein."

Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, fiel mir auf, dass meine Wand nicht mehr beschrieben war. Die Schrift war verschwunden, alles was ich notiert hatte. Vielleicht war es besser so. Ich hatte mich verändert und diese Notizen hatten mich lediglich verwirrt. Meine sogenannten Freunde hatten mich zurückgelassen. Ich war für sie wertlos. Es war besser, nicht mehr daran zu denken. Es war besser, wenn die Wand leer war.
WICKED wollte nur das beste. Wenn Teresa ihnen half, wie schlimm konnten sie dann sein? Ich musste mich auf das wichtige konzentrieren, nicht auf mein altes Leben. Hier stand mir ein Leben in Sicherheit und Freiheit zur Verfügung. Das konnte ich nicht ablehnen.

Später wurde ich von Dr. Shepherd abgeholt. Wir hatten uns das letzte Mal vor einem halben Jahr gesehen und er wollte ein paar Tests durchführen. Als wir sein Untersuchungszimmer erreichten, setzte ich mich hin, während er vorsichtig die Tür schloss.
"Deine Freunde sind beim rechten Arm", flüsterte er.
"Was ist das?", hakte ich nach.
"Eine Rebellenorganisation. Sie kämpfen gegen WICKED. Deine Freunde leben und sind auf dem Weg hierher."
"Sie sind nicht meine Freunde", korrigierte ich ihn.
"Was redest du denn da?", fragte Shepherd verwirrt. "Haben die dir eine Gehirnwäsche verpasst?"
Ich schwieg. Wenn er es so sagte, klang es komisch. Es fühlte sich jedoch befreiend an.
Er schüttelte den Kopf und hob mein Kinn etwas an. Er blickte auf die Narbe, die sich dort befand. "Verdammt!"
"Warum regen Sie sich auf?", fragte ich. "WICKED hat mir geholfen."
"Ja, so würden sie es nennen. Das was sie mit dir gemacht haben, nennt man Schmerzkonditionierung."
"Ist mir scheißegal", murmelte ich. "Durch WICKED habe ich erst erkannt, dass die Leute, die ich meine Freunde nenne, Verräter sind", zischte ich.
Shepherd seufzte. "Was ist mit Shay? Sagt der Name dir noch irgendwas?"
"Vage", gab ich zurück. "Sie ist nicht wichtig. Keiner von ihnen."
"Du liebst sie", fügte Shepherd hinzu.
"Davon weiß ich nichts. Wenn Shay mich je geliebt hätte, dann wäre sie nicht gegangen", erwiderte ich, was mir einen winzigen Stich ins Herzen versetzte.
"Du hast sie darum gebeten", erklärte Derek. "Du hast sie alle darum gebeten. Was haben die nur mit dir gemacht? Du weißt garnichts mehr."
"Ich weiß, dass das Heilmittel wichtig ist. Das ist alles, was ich wissen muss. Wenn ich diese Verräter also alle für das Allgemeinwohl opfern muss, dann soll es so sein", erwiderte ich. Derek seufzte und setzte eine Nadel an meinen Arm. Er entnahm etwas Blut und klebte ein Pflaster darüber.
"Du kannst gehen", sagte Shepherd, doch hielt mich am Handgelenk fest, als ich gehen wollte. "Wenn du WICKED hilfst und deine Freunde foltern musst, verlierst du alles. Vergiss nicht, wer der wahre Feind ist, Minho."

Lost [Maze Runner - Minho - Run Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt