3 - Shay

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"Wie lange noch?", fragte ich Newt, der neben mir im Sand saß. 
"Etwa 5 Minuten", murmelte er und fuhr sich durch die Haare. Acht Monate lang hatten wir diesen Tag herbeigesehnt. Ständig hatten wir nach Möglichkeiten gesucht, WICKEDs Labore aufzuspüren und unsere Freunde zu befreien. Bei unserem ersten Versuch wurden Sonya und Aris aus Gruppe von WICKED festgenommen. Unsere Mission galt ab dann ihnen und Minho. Außerdem hatte WICKED noch hunderte von Kindern und Jugendlichen gefangen, die sie als Testsubjekte benutzten. Vor einem Monat hatten wir herausgefunden, dass ein paar Stunden entfernt eine Stadt lag. Es waren nur Gerüchte, aber Hoffnung war unsere einzige Chance. Ein Deserteur von WICKED hatte uns erzählt, dass sie alle Subjekte aus dem Labor in der Brandwüste in die Stadt verlegen würden. Die letzte Stadt.
"Denkst du, wir schaffen das?", fragte ich nervös.
"Wir haben uns monatelang vorbereitet", sagte Newt, obwohl ich seinem Gesichtsausdruck auch Nervosität entnehmen konnte.
"Ich weiß, aber wir haben es hier mit WICKED zu tun", erwiderte ich  "Zwar konnten wir vor ihnen fliehen, aber vielleicht wissen sie schon, dass wir hier sind. Wenn du uns jetzt kriegen, was meinst du, was die mit uns anstellen?"
Newt schluckte und schüttelte den Kopf. "Die kriegen uns nicht. Wir holen Minho, Sonya und Aris. Die anderen Kids kommen beim Rechten Arm auch unter. Das ist der Plan und dem folgen wir."
"Du hast Recht. Wir ergreifen eine Chance und die nächste."
"Bis keine Chancen mehr übrig sind", murmelte Newt.
"Wir schaffen das, oder?"
"Vertraust du mir?", fragte Newt.
"Du weißt, dass ich dir vertraue."
"Dann glaub mir, wenn ich sage, dass heute alles gut geht. Heute Abend ist Minho wieder bei uns."
"Versprichst du es mir?"
Newt nickte. "Wir haben uns so lange darauf vorbereitet, Shay. Wir schaffen das."
"Ich vermisse ihn", sagte ich, worauf Newt nach meiner Hand griff und sie kurz drückte.
"Ich auch", murmelte er. "Und er vermisst dich wahrscheinlich auch."
"Ich hätte nicht gehen sollen", sagte ich, als mir eine Träne die Wange hinab lief.
"Er hat dich gebeten zu gehen, weil er dich liebt und weil er dich beschützen wollte", erwiderte Newt. "Ich kenne Minho jetzt schon solange ich denken kann und ich habe ihn noch nie so gesehen wie mit dir. Er würde alles für dich tun."
"Wenn er überhaupt noch am Leben ist", murmelte ich und brach voll in Tränen aus. "Tut mir leid, dass ich hier schon wieder rumheule."
"Ist doch in Ordnung", sagte Newt, als der Boden zu vibrieren anfing.
"Spürst du das?", flüsterte ich.
Newt nickte. Ich drehte mich um, wischte die Tränen weg und blickte über den Fels, hinter dem wir saßen. Ein Zug kam aus der Ferne an und brachte den Boden zum Wackeln.
Newt nahm das Funkgerät aus seinem Rucksack. "Thomas, seid ihr bereit?"
"Vince und ich sind bereit", erwiderte Thomas. Vince war der Anführer des Rechten Arms.
"Ist gut", erwiderte Newt. "Wir halten uns bereit."
WICKED transportierte Container auf den Zügen. In diesen Containern befanden sich die immunen Kinder, die sie entführt hatten und hoffentlich auch Minho. Vince und Thomas würden auf den Gleisen den Zug verfolgen, um so auf das Dach des Containers zu kommen. Brenda und Jorge saßen im zweiten Wagen, um mögliche Berks von WICKED abzulenken. Newt und ich mussten an beiden Seiten des Containers mit Schweißgeräten arbeiten, um ihn vom Zug zu lösen. Wenn alles nach Plan lief, würden Jorge, Brenda und Pfanne uns dann mit dem Berk abholen.
Meine Herzfrequenz überschlug sich, kalter Schweiß lief mir den Rücken hinunter, als Vince und Thomas dem Zug hinterherfuhren.
Innerhalb von Minuten sahen wir die beiden auf dem Zug. Ich betete in meinem Kopf, dass alles gut ging. Ich konnte erst wieder aufatmen, als der Zug zum Halt kam.
"Newt, Shay, los geht's!"
Newt und ich rannten zum Container. Vince und Thomas mussten uns den Rücken freihalten, denn WICKED Mitarbeiter stürmten aus dem Zug, um uns anzugreifen und Verstärkung war vermutlich schon auf dem Weg. Ich setzte meine Schutzbrille auf und begann zu schweißen. Thomas stand vor mir und hielt seine Waffe bereit. Schon nach einigen Sekunden fielen Schüsse. "Das muss schneller gehen."
"Hetz mich nicht, Vince", grummelte Newt von der anderen Seite des Containers.
Plötzlich verspürte ich einen stechenden Schmerz an meinem Arm und entdeckte einen bewaffneten Mann, der die Waffe in meine Richtung hielt. "Thomas!"
Bevor der Mann einen weiteren Schuss abfeuern konnte, fiel er zu Boden.
"Alle erledigt!", rief Thomas. "Minho?"
Er klopfte gegen den Container. "Minho!"
Schreie kamen aus dem Container. Ich versuchte Minhos Stimme auszumachen, als plötzlich ein tiefer Schrei von innen kam. Das musste er sein. So schnell wie möglich versuchte ich die Verbindung zwischen Container und Zug zu trennen. Ich musste ihn wiedersehen. Erleichtert atmete ich auf, als der Container sich löste. "Ich bin fertig!"
Mit einem Surren tauchte ein Berk im Himmel auf. Genau aufs Stichwort tauchte ein weiterer Wagen auf, in dem sich Jorge und Brenda befanden. Das Berk folgte ihnen, doch nicht ohne weitere Verstärkung am Boden abzulassen.
"Hier, nimm die", sagte Thomas und drückte mir eine Waffe in die Hand. Etwas ungeschickt stellte ich mich damit schon an, aber es musste gehen. Ich war Minho nun so nahe wie seit einem halben Jahr nicht mehr und ich würde weiterhin für ihn kämpfen. "Sie sind auf dem Dach."
Ich nickte Thomas zu und folgte ihm. Er stieg die Leiter am Container nach oben und ich folgte ihm. Als wir auf dem Container standen, sah ich WICKED-Soldaten auf den Dächern der anderen Wagons.
Ich zielte und schoss daneben. "Verdammt!"
"Versuch's nochmal", sagte Thomas.
Ich atmete tief durch und zielte erneut. Dieses Mal traf ich einen der Soldaten an der Schulter, worauf er auf die Knie fiel. Das laute Geräusch von Turbinen ertönte. Im Himmel erschien das Berk und ich hoffte, dass unser Plan aufgegangen war und Brenda, Jorge und Pfanne in diesem Berk saßen. Wie erhofft hielt das Berk in der Luft über uns an. Sie ließen vier Haken hinunter.
"Newt, Shay, befestigt die Haken. Wir halten sie auf!", befahl Vince. Sofort rannte ich los und machte den ersten Haken fest, dann den zweiten. Ich traf mich mit Newt in der Mitte und fiel zu Boden, als der Container mit einem Rüttler abhob.
"Shay, alles in Ordnung?", fragte Newt.
"Ja", murmelte ich.
"Du blutest", erwiderte Newt und sah mich besorgt an.
"Halb so schlimm, wir kümmern uns gleich darum."

"Dann sehen wir mal nach", sagte Thomas, als wir vor dem Container standen.
Er öffnete die Tür an der Seite und ein Lichtstrahl fiel auf eine Reihe von Jugendlichen, die an Stühle festgekettet waren. Thomas trat hinein.
"Ihr seid jetzt in Sicherheit", verkündete er. Ich lief die Reihen entlang und blickte in alle Gesichter. Etwa sechzig Jugendliche saßen in unzähligen Reihen. Alle hatten dunkle Ränder unter den Augen und blickten uns ungläubig an.
"Newt", murmelte ich schweratmend. Newt tauchte hinter mir auf.
"Er ist nicht hier", sagte ich und fiel auf die Knie. Meine Atmung wurde immer schneller und meine Umgebung drehte sich. "Er ist nicht hier."

"Shay."
Ich schreckte plötzlich hoch und erblickte Newt vor mir. "Was...?"
"Du bist umgefallen. Du hattest eine Schusswunde am Arm. Harriet hat die Kugel entfernt und deinen Arm verbunden", erklärte er.
"Wo ist Minho?", fragte ich, worauf Newt zu Boden blickte.
"Er war nicht im Container", sagte er.
"Aber... ich hätte schwören können, dass ich ihn gehört habe", erwiderte ich mit Tränen in den Augen.
"Hey, wir holen ihn, okay? Egal wie lange es dauert."
"Sind Sonya und Aris frei?", fragte ich, worauf Newt nickte. "Ich muss mit ihnen reden."
Ich folgte Newt zu einem kleinen Haus, aus dem schon Stimmen ertönten.
Aris und Sonya saßen auf einer Couch in der Ecke. Sie hatten Verletzungen im Gesicht. "Was ist mit euch passiert?"
"Wir haben uns gewehrt", antwortete Aris. "Das war ein Fehler."
"Habt ihr Minho mal gesehen?", hakte ich nach.
"Er wurde vor einer Weile weggebracht. Wir haben ihn nicht oft gesehen, aber er sah nicht gut aus. Ich glaube, sie haben ihn schon länger vor uns abtransportiert", erklärte Sonya.
"Okay, dann holen wir ihn. Wir können in einer Woche wieder da sein", sagte ich und wollte zur Tür hinaus, als Vince mich aufhielt.
"Hast du sie noch alle?! Eine Woche? Wir haben sechs Monate für diese Mission gebraucht. Wir gehen nirgendwo hin!", sagte er wütend. "Wir werden nicht wegen einem Immunen unsere Leben riskieren."
"Wir müssen es tun", bettelte ich. "Wir können ihn nicht im Stich lassen."
"Shay", murmelte Newt.
"Bitte, Newt. Wir müssen das tun", sagte ich.
"Shay, es ist zu gefährlich."
"Ihr seid solche Feiglinge!", rief ich. "Ich bin so enttäuscht von euch. Ihr lasst Minho im Stich, als hätte er euch nie etwas bedeutet."
Ich stürmte wütend hinaus und ließ alle hinter mir.

Lost [Maze Runner - Minho - Run Band 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt