Kapitel 4

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Lian

Natürlich hatte ich meinen Wecker heute morgen mal wieder nicht rechtzeitig gehört, also musste alles schnell gehen. Ich sprintete zur Schule und rannte natürlich prompt in jemanden rein und meine ganzen Sachen verteilten sich auf dem Boden, zu allem Überfluss ging natürlich auch noch meine Tasche kaputt. So etwas konnte auch immer nur mir passieren. Natürlich musste ich dann auch noch in einen echt heißen Kerl rein rennen, wenigstens war er so nett und half mir hoch, der Hautkontakt löste ein seltsames Kribbeln in meinem Körper aus. Schnell entzog er seine Hand. Ob er es auch gemerkt hatte? Ich beobachtete ihn, er kam mir so seltsam vertraut vor, konnte es mir aber nicht erklären. „Kennen wir uns?", fragte ich ihn, doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Seltsam." Das war es wirklich, mit einem letzten Wink verschwand ich um die Ecke und stürzte ins Klassenzimmer. Natürlich war Miss Bell schon anwesend, blickte mich an und dann auf die Uhr. „Du bist schon wieder zu spät dran, das heißt wieder Nachsitzen für dich." Sie schreib etwas in ihr Buch und machte dann mit dem Kunstunterricht weiter, ich flitzte schnell auf meinen Platz ganz hinten und atmete auf. Wenn ich Glück hatte würde es nur eine Stunde werden und das alles nur dank dieses Typen. Ich grummelte vor mich hin.
Dann klopfte es leise an unsere Tür, sie öffnete sich und zum Vorschein kam der Typ vom Flur. Das durfte doch nicht wahr sein, blieb mir den nichts erspart? „Noel und der Neue in der Klasse." Seine Stimme war angenehm und jagte mir eine Gänsehaut auf den Körper.
Miss Bell sah sich den neuen Schüler genau an und errötete leicht, ich konnte sie verstehen. Mein Blick war so auf ihn fixiert, sodass ich erst im letzten Moment bemerkte wie er den Mittelgang auf mich zukam und sich neben Lion setzen wollte, der einzige leere Platz. Dabei stieß er mein Federmäppchen vom Tisch, hob es aber gleich wieder auf und legte es auf wieder zurück auf meinen Tisch, unsere Blicke kreuzten sich und seine Augen weiteten sich. Er hatte wohl genauso wenig damit gerechnet mich wieder zu sehen, wie ich ihn und jetzt saßen wir nur ein paar Zentimeter von mir entfernt. Ich blickte stur gerade aus, bekam aber aus dem Augenwinkel mit wie er mir immer wieder blicke zuwarf. Was war nur sein Problem?
Noel. Sein Name schoss mir die ganze Zeit durch den Kopf, er klang einzigartig und schön, so mysteriös. Genau wie er selbst, das passte ja. Seine Augen waren so dunkel, nicht richtig braun aber auch nicht richtig schwarz, so als ob sie sich nicht entscheiden konnten. Sein Haar war so schneeweiß und atemberaubend, sein Gesicht war einfach nur perfekt. Und er war groß, sehr groß sogar, ich mochte große Männer.
Was genau dachte ich da eigentlich? Das war mir doch vollkommen egal, der ganze Kerl war mir vollkommen egal.
Der Ärger durch ihn hielt mich die ganze Zeit über wach und ich nickte nicht mehr ein, Gott sei dank, zu irgendwas muss er ja gut sein.
Noel war in jedem meiner Kurse, ich würde ihn jetzt wohl jeden Tag ertragen müssen. Gott stehe mir bei. Ich war froh als die Schulglocke endlich zur Mittagspause klingelte, da hatte ich wenigstens etwas ruhe vor ihm. Dachte ich zumindest. Ich machte mich auf dem schnellsten Weg auf zur Mädchentoilette, dort verbrachte ich jede Mittagspause. Da das Geld nicht fürs Schulessen reichte, nahm ich trockenes Brot von zuhause mit und aß es hier alleine auf der Mädchentoilette. Ganz schön armselig ich weiß. Ich versteckte mich hier, damit niemand anderes mitbekam wie schlecht es mir wirklich ging, schließlich war es mir echt unangenehm. Doch heute war nichts so wie sonst.
Ein klopfen an der Tür ließ mich zusammen zucken und riss mich aus meinen Gedanken. Wer klopfte den bitteschön an die Tür der Mädchentoilette? Natürlich blieb ich mucksmäuschenstill auf dem Toilettendeckel sitzen und hielt den Atem an. Mein Herz wummerte gegen meine Brust. Eine Minute verging und dann noch eine, doch vor der Tür tat sich absolut nichts. Also zuckte ich mit den Schultern, atmete aus und wollte gerade in mein Brot beißen, als eine Stimme mich wieder zusammen zucken ließ. „Ich weiß da du da drinnen bist, ich habe dich reingehen sehen aber nicht raus." Vor lauter Schreck ließ ich mein Brot fallen, aus lauter Protest knurrte mein Magen laut auf. Mist! Was sollte ich denn jetzt nur essen?
Wütend stampfte ich zur Tür und riss sie mit solch einem Schwung auf, sodass ich durch den Schwung mit nach vorne gerissen wurde. Ich verlor das Gleichgewicht und knallte gegen eine harte Brust, ich machte mich schnell los und rutschte nach hinten aus. Ich wollte gerade zurück segeln als ich nach vorne griff und mich in das Shirt meines Gegenübers festkrallte, starke Hände packte meine Taille und hielten mich noch zusätzlich fest. Mein Herz machte einen mächtigen Salto in meiner Brust und hämmerte dann wie verrückt, wärme breitete sich in meinem ganzen Körper aus. „Alles okay?" Seine Stimme brummte durch meinen Körper, ich erzitterte. Sein Atem strich an meinem Ohr entlang, wenn ich mich nicht festhalten würde dann würden meine Beine jetzt nachgeben. Ich drückte mich noch enger an ihn und spürte seinen Herzschlag an meinem Ohr, der galoppierte genauso wie meiner. Auch sein Griff wurde fester. Ich atmete seinen unglaublichen Duft ein, der benebelte mich völlig und brachte mich ganz durcheinander. Halt! Was tat ich da nur? Was war heute nur mit mir los?
Schnell befreite ich mich aus der Umarmung und bereute es sofort. Fühlte sofort eine Leere in mir, vermisste seine Wärme und das Gefühl seiner Hände auf meinem Körper. Ich hob mein Gesicht an und blickte ihm in seine dunklen Augen, seine Pupillen waren stark geweitet und schaute mich mit einem intensiven Blick an, der mich erschaudern ließ. Nur mit ganz fiel mühe konnte ich mich gänzlich von ihm losreißen. „Was möchtest du von mir Noel?" Ich hauchte seinen Namen nur so dahin. Seine Hände lagen noch immer an meiner Taille, die Stellen brannten wie Feuer. Nervös löste er eine Hand und fuhr sich damit durch sein Haar, brachte es durcheinander. Warum war er nervös? „Ich wollte fragen ob du Lust hast mit mir zusammen Mittag zu essen? Und ob du mir vielleicht noch ein wenig die Schule zeigen könntest, ich bin ja neu und kenne mich hier noch nicht so aus." Überrascht weiteten sich meine Augen. Er wollte tatsächlich Hilfe von mir? Warum hatte er nicht die beliebte Sina gefragt, schließlich war sie unsere Klassensprecherin und übernahm so etwas mit Freuden. „Was die Führung angeht solltest du dich am besten an Sina wenden, sie ist dafür zuständig. Klassensprecherin und so. Was das mit dem Mittagessen angeht kann ich leider nicht, da ich mein Geld zuhause vergessen habe. Vielleicht ein anderes mal." Falls es jemals ein anderes mal geben sollte, rief ich mir ins Gedächtnis. Kurz flackerte Enttäuschung in seinem Blick auf, verschwand aber so schnell wieder wie es gekommen war, sodass ich fast dachte ich hätte es mir nur eingebildet.
Ich drehte mich um und wollte gerade gehen, als er nach meinem Handgelenk griff und mich wieder zu sich herum drehte. Seine Finger brannten sich in meine Haut, doch ich zog meine Hand nicht weg. Ich schaute wieder in seine Augen und strich vorsichtig mit meinen Fingerspitzen über seinen Handrücken, er keuchte auf und ich lief rot an. Peinlich berührt ließ ich meine Hand wieder sinken und starrte angestrengt auf meine Schuhe. „Ich wollte dich zum essen einladen, als Entschuldigung für heute morgen. Bitte sag ja." Ich wollte grade sein Angebot erneut ablehnen, als mir mein Magen einen Strich durch die Rechnung machte und laut knurrte. Verräter! Ein lächeln huschte über sein Gesicht. „Komm schon es ist nur ein Mittagessen, ich beiße auch nicht.", sagte er mit einem Zwinkern. „Na gut." Ich nickte und zusammen gingen wir zur Cafeteria, dort holte sich jeder von uns ein Tablett mit essen. Ich wartete bis Noel fertig war mit bezahlen, dann suchten wir uns zusammen einen Tisch, dabei sagte keiner etwas wir sahen uns einfach nur immer wieder an.
Vor mir stand ein großer, duftender Teller Spaghetti Bolognese und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Wie lange hatte ich so etwas gutes schon nicht mehr gegessen? Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Ich stürzte mich sofort drauf und schlang alles in wenigen Minuten herunter, ich hatte schon lange nicht mehr so etwas leckeres gegessen, mein Magen dankte es mir auf jeden Fall. Noel schaute mir beim essen zu, mir war es jetzt schon ein wenig peinlich das ich mein Essen so herunter geschlungen hatte. „Tut mir leid, normalerweise esse ich nicht so schnell." Kommentarlos schob er mir auch noch seinen Teller hin. Meinte er das wirklich ernst? „Bist du dir sicher? Ich möchte dir nichts wegnehmen." Ich bis mir auf die Lippe und schaute zwischen dem Teller und Noel hin und her. „Iss ruhig, ich habe ja noch meinen Joghurt." Zu Demonstrationszwecken hielt er ihn in die Höhe. „Danke." Mehr brachte ich nicht heraus und stürzte mich wie eine verrückte auf den zweiten Teller Nudeln. Auch der Teller war in kürzester Zeit leer, erschöpft lehnte ich mich zurück. Das war echt lecker. „Und hat es geschmeckt?" Beschämt schaute ich auf, er lächelte leicht und ihn schien es nicht zu stören das ich gerade zwei volle Teller hinunter geschlungen hatte. Dafür wurde ich rot und mir wurde das ganze unglaublich unangenehm. „Danke für das Essen, aber...aber ich muss jetzt los." Ich schnappte mir meine Tasche und zum zweiten mal an einem Tag flüchtete ich vor ihm, das sollte echt nicht zur Gewohnheit werden. Ich wollte nicht das Noel schlecht von mir dachte, er war neu und wusste nichts von dem Unfall meiner Familie, vielleicht konnte ich mit ihm eine normale Freundschaft aufbauen und durfte es mir einfach nicht verbauen. Und doch genau das tat ich durch solche Aktionen.
Mit Tränen in den Augen rannte ich zurück zur Mädchentoilette und schloss mich in meine übliche Kabine ein und weinte die ganze Zeit. Es tat gut den ganzen Frust mal rauszulassen, es war als ob mir eine gewisse last von den Schultern genommen wurde. Durch Noel könnte ich vielleicht endlich den Neuanfang bekommen den ich solange brauchte, ich sollte diese Chance nutzen. Er hauchte mir wieder etwas Leben ein und das gefiel mir sehr, ich hatte zwar die Hälfte meiner Familie verloren, aber nicht meinen Lebenswillen. Ich würde mich nachher bei Noel entschuldigen, ich würde ihm einfach sagen das ich mich nicht so wohl gefühlt hatte und deswegen kurz zur Toilette gerannt bin. Genauso würde ich es machen und hoffen das er nicht böse auf mich war. Ich wischte mir meine Tränen weg und wusch mir mein Gesicht mit kalten Wasser, das half ein wenig und ich fühlte mich schon ein kleines bisschen besser.

Verwunschene LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt