Jump Until It Feels Like Flying

F O U R T E E N

Ich setzte an die Zacken ins Eis zu treiben um Abspringen zu können, doch im letzten Moment zog ich mein Bein etwas weiter hoch, sodass ich gerade aus weiterfuhr.
Die Angst, dass mein Knie wieder wegknicken würde, war einfach zu groß.

„Was war das denn?", fragte James mit hochgezogenen Augenbrauen, während er auf mich zukam.
Ich zuckte die Schultern.
„Hat sich nicht richtig angefühlt.", sagte ich einfach nur.
„Und was machst du, wenn es sich das nächste Mal nicht richtig anfühlt? Springst du dann auch einfach nicht? Versemmelst deine ganze Kür? Was wäre, wenn das eine Meisterschaft wäre, oder sogar die olympischen Spiele? Hm, was machst du dann?", redete er sich in Rage. James Augen schienen vor Wut zu lodern und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, dass wir gleich in einer riesigen Wasserlache stehen würden.

Etwas eingeschüchtert starrte ich auf den Boden. Sein Bruder hatte mich nie so fertig gemacht. Aber ich konnte eh nicht viel dagegen tun, also ließ ich die Standpauke wortlos über mich ergehen, bis er schließlich meinte, dass wir es nochmal versuchen würden.

Ich setzte mich wieder in Bewegung, ließ die Choreografie noch einmal in meinem Kopf Revue passieren, bevor ich mich in Position stellte. Zuerst riss ich meinen Kopf hoch, dann hob ich meine Arme - nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam. Dann drehte ich mich einmal am Stand bevor ich mich abstieß und einige Male anlief um genug Schwung zu haben. Diesmal machte ich es aber so, dass mein schmerzendes Bein geschont wurde. Der Absprung tat schon genug weh, die Landung ging aber halbwegs.

Doch der nächste Sprung hätte bereits mit dem anderen Fuß sein sollen, was ich mich aber nicht traute. Die Schmerzen, die ich so schon hatte, reichten mir vollkommen. Man musste es ja nicht übertreiben.

Die Musik wurde gestoppt und ich hörte ein tiefes Seufzen.
„Lassen wir das lieber für heute.", sagte Jem und klang dabei etwas niedergeschlagen. Von mir selbst enttäuscht stimmte ich ihm nickend zu.
„Wir können ja noch was anderes machen.", schlug ich leise vor um ihn nicht noch mehr zu reizen. Endlich hob er seinen Blick wieder und sah mir tief in die Augen.
Es war als würde er versuchen herauszufinden, was mit mir los war. Doch ich blieb ganz gelassen bis er den Blickkontakt abbrach und mir nickend bedeutete ihm zu folgen.

Wie selbstverständlich ging er auf die Tribüne, wo er Schützer über die scharf geschliffenen Kanten zog, damit diese nicht kaputt wurden. Während ich es ihm gleich tat entfernte er sich etwas und wartete auf mich. Als ich fertig war stellte ich mich neben meinen Trainer an das Geländer, das uns von der Eisbahn trennte.
„Und was genau machen wir jetzt?", fragte ich gespannt.
„Trockentraining.", meinte James kurz angebunden. Verwirrt sah ich ihn an. Das konnte so gut wie alles heißen. Aber bei dem fiesen Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, würde es mir sicher nicht gefallen.

„Aufgewärmt bist du ja schon also machen wir jetzt zuerst Dehnübungen."

Kurz weiteten sich meine Augen.
Verdammt!
Wann hatte ich denn das letzte Mal gedehnt?
Normalerweise machte ich es jeden Abend vor dem Schlafen gehen, aber seit mein Vater nicht mehr hier war um mich daran zu erinnern, hatte ich mich kein einziges Mal gedehnt und das war jetzt doch schon mehr als ein Monat. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Dehnen war eines der wichtigsten Dinge beim Eiskunstlauf, weil alle schwierigen Figuren von der Flexibilität abhingen und ich hatte es einfach vollkommen vernachlässigt. So etwas durfte mir in Zukunft nicht mehr passieren, sonst konnte ich mein Ziel gleich vergessen. Für die olympischen Spiele musste man perfekt sein! Denn die besten aus aller Welt kamen zusammen um gegeneinander zu laufen und wie um alles in der Welt sollte man da herausstechen, wenn man nicht besser als das beste - nicht perfekter als der perfekteste - war?