Jump Until It Feels Like Flying

F I F T E E N (Part II)

„Soll ich wirklich nicht mit hineingehen?", fragte Harry nun schon zum dritten Mal.
Ich nickte und stand auf. Mein Bruder blieb zwar brav sitzen, sah aber nicht sehr überzeugt aus.
„Wenn irgendwas ist, kannst du mich jederzeit holen.", murmelte er noch, bevor ich das Wartezimmer verließ. Ich war allerdings ganz froh alleine mit dem Arzt sprechen zu können, sonst müsste ich den vielleicht auch noch anlügen müssen und das würde auch nichts bringen.

Ich öffnete zögerlich die Türe und linste erstmal durch einen schmalen Spalt hinein, schließlich wollte ich verhindern irgendwo hineinzuplatzen.
Das erste was ich sah war ein gigantischer Schreibtisch, der vollkommen überquoll. Automatisch begann ich zu grinsen. Doch erst dann bemerkte ich ein Gesicht, das hinter den ganzen Zetteln und Ordnern hervorlugte. Ein älterer Mann mit bereits leicht gräulichen Haaren winkte mich zu sich.
„Immer hereinspaziert in das bescheidene Zimmerlein.", sagte er und schob sich mit dem Zeigefinger seine ziemlich fragil aussehende Brille wieder an die richtige Stelle.
„Du musst Kristie sein, richtig?"
Verwirrt blieb ich stehen. „Nein, mein Name ist Kelsea."
„Solange du Harrys Schwester bist."
„Seine Halbschwester.", verbesserte ich kleinlaut.
„Auch gut.", meinte er und schüttelte mir die Hand. Ich begann zu kichern. Dieser Arzt vermittelte den Eindruck eines verwirrten Professors. Woher kannte mein Bruder solche Leute?

„Also du hast Knieschmerzen?", fragte er und klang dabei auch wie ein richtiger Arzt.
Ich murmelte ein simples „Ja".
„Gut dann zieh am besten deine Jeans aus und setz dich mal auf die Liege."
Erst jetzt fiel mir die Pritsche auf, die neben dem monströsen Schreibtisch recht unscheinbar wirkte. Schnell schlüpfte ich aus meinen Winterschuhen, meine Hose legte ich einfach über einen der Sessel vor dem Schreibtisch. Da ich bereits erwartet hatte, dass der Doktor nicht viel mit meinem bekleideten Bein anfangen konnte und ich es nicht ausstehen konnte mich vor fremden Menschen zu entkleiden, hatte ich eine Short von Nike unter meiner normalen Hose angezogen. Elegant zog ich mich auf die Liege und ließ meine Beine herunterbaumeln.

„Beide Knie? Oder nur eines?"
„Eigentlich beide, aber links ist es viel schlimmer." Der Doktor nickte einmal während er konzentriert auf meine Knie und Füße starrte, dann nahm er sie vorsichtig hoch, sodass meine Beine ausgestreckt waren.
„Mhmm", murmelte er an und ab, sonst blieb er allerdings still.
Vorsichtig tastete er um meine Kniescheibe herum. Schmerzerfüllt verzog ich mein Gesicht und atmete zischend aus. Sofort hörte er damit auf.
„Du musst schon was sagen, wenn ich dir wehtue! Dann höre ich natürlich sofort auf." Schnell nickte ich und er begann wieder von vorne, diesmal aber vorsichtiger.

Schließlich seufzte er und schaute auf. Dabei schob er mal wieder seine Brille nach oben und rümpfte die Nase, damit sie auch so blieb.

Leicht drückte er seine Hände gegen meine Oberschenkel.
„Spann mal deine Muskeln an." Ich tat einfach was er verlangte und spannte meine ganzen Beine an. Überrascht weiteten sich seine Augen als er versuchte sie zusammenzudrücken, es ihm aber nicht gelang.
„Machst du viel Sport?", fragte er aus heiterem Himmel.
„Ja schon.", antwortete ich sofort.
„Wie viel?"
„Naja, mindestens fünf Mal in der Woche Training und dann gehe ich oft selbst noch joggen oder ins Fitnessstudio. Und Schulsport, aber das zählt nicht wirklich."

„Jetzt versteh' ich woher die Muskeln kommen.", murmelte er. Ich wusste nicht, ob das für meine Ohren bestimmt war, trotzdem konnte ich mir ein leises Lachen nicht verkneifen.
„Wenn man ein Ziel hat, tut man eben auch alles dafür.", erklärte ich schulterzuckend.
„Und was genau ist dieses so spezielle Ziel?"
„Weltbekannte Eiskunstläuferin werden und hoffentlich irgendwann einmal zur Olympiade."
Meine Antwort kam wie aus der Kanone geschossen, aber ich hatte mir das schon so oft selbst gesagt, als dass ich darüber hätte nachdenken müssen. Jetzt zog er geschockt die Augenbrauen hoch.