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So schön die Weihnachtsferien auch waren, desto stressiger wurde die Zeit danach. Den ganzen Januar verbrachte ich damit an meinem Schreibtisch zu sitzen und für die Klausuremphase Anfang Februar zu pauken. Zwischenzeitlich wusste ich schon nicht mehr welchen Tag wir hatten und langsam aber sicher hatte ich das Gefühl, dass ich untergehen würde. Ich pflegte kaum noch soziale Kontakte außer den seltenen Austausch mit Maja, die genauso wie ich in der Klausuremphase steckte. Außerdem rauchte ich noch mehr als sowieso schon. Auch das Livingroom musste den ganzen Januar auf uns verzichten. Doch es gab einen besonderen Lichtblick. Nach der Klausuremphase würde ich den Rest des Februars frei haben, um tun und lassen zu können was ich wollte. Und den März würde ich mein Praktikum in einem kleinen, familiären Kindergarten in Bochum absolvieren. Es war nicht unbedingt mein Traumpraktikum, aber verschuldet dessen, dass ich mich erst so spät darum gekümmert hatte, war es die einzige Stelle die noch zu haben war. Außerdem landete während meiner intensiven Schreibtischphase die Hochzeitseinladung meiner Schwester in den Briefkasten und ich konnte nicht verhindern, dass ich ein paar Tränen vergoss. Als ich die Karte aus dem Umschlag nahm, lächelten mich zwei strahlende Gesichter an. Also umrandete ich, mit einem dicken roten Stift, den 31. Juli in meinem Kalender und vergaß kurzfristig wie elendig langweilig mein Leben momentan war. Stattdessen dachte ich jede freie Minute darüber nach, was ich tragen würde. Kurz erwischte ich mich auch an den Gedanken einer Begleitung, doch warf den Gedanken auch schnell wieder beiseite. Über Weihnachten hat Ronja noch gefragt, wie es bei mir aussieht doch wie sollte man jemanden kennenlernen wenn man zwischen Uni und Arbeit gerade mal die nötigste Zeit hat für sich selbst.

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Es war der erste Montag im März und so stand ich, völlig abgehetzt, aber gerade noch pünktlich vor der Eingangstür des Kinderhorts Wirbelwind. Schnell zog ich noch einmal meinen Pferdeschwanz enger, als ich in der Eingangshalle stand und mir gerade eine ältere Dame, mit allerlei Zeugs auf der Hand, entgegenkam. "Oh hallo" strahlte sie mir freundlich und etwas überrascht entgegen. "Einen Moment" murmelte sie lachend als sie den Ballast zur Seite stellte und mir jetzt freundlich die Hand hinhielt, die ich ebenso freundlich schüttelte. "Du musst Liv sein, freut mich sehr. Ich bin Mareike wir haben telefoniert." Ich grinste erleichtert zurück. Etwas nervös war ich vorher schon, doch völlig zu unrecht, da ich super herzlich empfangen wurde. "Genau die bin ich. Schön dich kennen zu lernen." Mareikes Lächeln wurde von Sekunde zu Sekunde größer und irgendwie war es ansteckend. "Dann stell ich dich mal dem Rest der Gruppe vor" sagte sie und winkte mich mit in die Küche, wo zwei weitere Damen Kaffee tranken und gerade ein Brötchen aßen. Wir stellten uns gegenseitig vor und ich erzählte kurz von meinem Studium und auch sie erzählten mir im Kurzumbruch, was sie dazu gebracht hat in dem Kindergarten zu arbeiten. Anschließend gab es eine kleine Führung durch die verschiedenen Bereiche, wie den Sportraum, den Ruheraum oder die zwei Gruppenräume der Raupen und der Schmetterlinge, wobei die Raupengruppe aus den jüngeren Kindern bestand und in der Schmetterlingsgruppe die etwas älteren Kinder waren. Der ganze Kindergarten war hell und bunt eingerichtet und lud zum spielen für die Kinder ein.

Es dauerte nicht mehr lange da stürmten die ersten Kinder zur Tür herein, kickten ihre Schuhe aus, zogen ihre Hausschuhe dafür an und begrüßten kurz die Erzieher. Ich wurde mit großen, verwunderten Augen angesehen, weswegen ich mich kurz vorstellte und erzählte wie lange und wieso ich hier war. So offen wie Kinder eben sind wurde ich also schnell in die Gruppe mit eingebunden und sofort wollten mir alle ihren Lieblingsort zeigen oder was sie in der letzten Zeit alles gebastelt hätten. Und auch wenn es vielleicht nicht das Praktikum war, was ich mir aus allen ausgesucht hätte, war ich super froh dass ich hier gelandet war. Es war der erste Tag und schon wurde ich super von allen aufgenommen und nicht wie eine typische Praktikantin behandelt. Und genauso positiv ging es auch die nächsten zwei Tage weiter. Ich tobte mit den Kindern, malte mit ihnen oder auf ihren Gesichter die wildesten Motive mit Wasserfarbe oder las ihnen im Ruheraum, oder von den Kindern auch liebevoll Bärenhöhle genannt, etwas vor. So war es auch heute. Also saß ich nach der Mittagspause mit drei Mädels: Matilda, Lucia und Isabell, den wohl liebsten Kindern dieser Welt auf dem Sofa in der Bärenhöhle und las ihnen die Geschichte von Pippi Langstrumpf vor. Ich bemerkte nicht wie die Zeit raste, bis auf einmal Mareike sanft an der Tür klopfte und ihren Kopf hineinsteckte. "So ihr lieben, so leid es mir tut aber ihr werdet abgeholt." Sie sah die drei Mädels an die ihre Schnute verzogen und sich an meine Arme klammerten. "Sag Mama ich bleib noch ein bisschen bei Liv" sagte Matilda überzeugend und ich musste unwillkürlich anfangen zu lachen. "Ich glaube das geht leider nicht - aber wir können ja morgen weiter lesen. Ich merke mir wo wir waren" sicherte ich den dreien zu, die widerwillig zustimmten. "Außerdem Mati holt dich heute dein Lieblingspatenonkel ab" erzählte Mareike mit großen Augen. Sie hatte die Worte nicht mal zu Ende gesprochen da stürmte sie schon aus dem Raum. "Leon. Leon." Ich hörte sie aufgeregt rufen und für einen kurzen Moment hielt ich die Luft an. Ich wusste wie gering die Wahrscheinlichkeit war und trotzdem war ich kurz etwas nervös. Ich stand auf und begleitete Isabell und Lucia mit nach draußen als ich tatsächlich Leon - den Leon - sah, wie er lässig an der Kommode lehnte. Es dauerte keine zwei Sekunden bis sich unsere Blicke trafen und sie sich auch erstmal nicht mehr lösten. Er sah so gut aus wie in meiner Erinnerung. Ich hatte nach unserem Gespräch oft an ihn gedacht. Zu oft, doch mit der Zeit ist er wieder aus meinem Kopf verschwunden. "Leon das ist Liv von der ich erzählt habe - mit ihr spiele ich momentan am liebsten." Matilda brach die Stille zwischen uns und Leon fing an zu grinsen. "Ich habe schon viel von dir gehört. Matilda redet ziemlich viel und da musste ich mich mal selbst von dir überzeugen." Ich konnte seinen Worten kaum folgen und trotzdem schaffte ich es gelassen zu klingen. "Ist das so ja?" hakte ich lachend nach und beide nickten mit ihren Köpfen. Während die Kinder, einschließlich Matilda, ihre Sachen zusammen suchten und die Rucksäcke packten wandte Leon sich wieder an mich. Ich wusste nicht ob ich ihn vermisst hatte, aber irgendetwas löste er schon wieder in mir aus. "Wie ist es dir über Weihnachten so ergangen?" Ich sah ihn etwas erstaunt über die Frage an und erzählte trotzdem die Kurzfassung meines Festes. Auch er erzählte von seinen Tagen und dem harten Training was anschließend folgte. "Arbeitest du eigentlich noch irgendwo oder war es das dann mit den Jobs?" Leon sah mich belustigt an doch ich schüttelte nur grinsend den Kopf. "Das wars dann - fürs erste." Er nickte lächelnd und sah dann zu Matilda runter die fertig angezogen vor ihm stand. "Fertig" grinste sie und sah ihren Patenonkel an. "Dann wollen wir mal. War schön dich wiederzusehen Liv." "Ja hat mich gefreut." Ich winkte den beiden zu, als sie aus der Tür gingen. Ich wollte mich gerade umdrehen da kam Leon nochmal auf mich zu gejoggt. "Ehm hör mal hast du vielleicht Lust mit mir mal einen Kaffee trinken zu gehen - oder so?" Diese haselnussbraunen Augen sahen mich an während er beide Hände tief in den Hosentaschen vergrub.

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