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Ich wache auf. In meiner Kniekehle ist eine offene Wunde, die sich die komplette Wade herunterzieht. Schwarze Raben hacken in dieser Wunde mit ihren spitzen Schnäbeln herum, weil sie glauben, darin Würmer finden zu können. Sie treffen ein paar meiner Nerven und Sehnen, sodass ich mein Bein nicht mehr bewegen kann und mehrere Minuten einfach nur noch die schmerzenden Stellen mit meinen Daumen reibe.
Ich gucke auf die Uhr und bemerke wie spät es ist. 6:12. Raus 6:20. Bus 6:32. Mein Kopf rechnet und kommt auf das Ergebnis, dass ich wohl einen Bus später nehmen muss. Leise stöhnend schwinge ich mich auf und warte, bis die Flecken vor meinen Augen zu einem ganzen Bild werden.
Dann die morgendliche Routine. Umziehen, waschen, Kontaktlinsen, Zähneputzen. Und natürlich das Wichtigste. Das wovon meine Gedanken für den ganzen Tag abhängen. Das worauf ich jeden Tag hinarbeite. Diese eine Zahl. Ich hoffe sie ist niedriger als gestern.

Ich steige auf die Waage. In Unterwäsche, nach dem Klo. 50. Rund. Klar. Deutlich.

Ich hab es verdient. Ich habe diese schreckliche Zahl verdient, diesen Schlag in die Fresse, denn ich habe viel zu viel gegessen. Heute muss ich es besser machen. Bei der Arbeit werde ich etwas essen, damit ich nicht auffalle. Ich esse aber nicht auf und schmeiße den Rest weg, auch wenn ich Lebensmittelverschwendung hasse wie die Pest. Zuhause behaupte ich, auf dem Rückweg in der Stadt gegessen zu haben, aber dann esse ich noch eine Kleinigkeit, weil ich Essen ja so sehr liebe!

I want to see my bones • TWWo Geschichten leben. Entdecke jetzt