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„Was siehst du?"

„Einen Körper."

„Kannst du mir den Körper beschreiben?"

„Er ist zu dünn."

„Woran siehst du das?"

„Zum Beispiel daran, dass der Oberarm dünner ist als der Unterarm."

„Wieso ist das so?"

„Der Unterarm hat zwei Knochen. Der Oberarm nur einen. Man kann so viel abnehmen wie man will... irgendwann ist da nur noch der Knochen."

„Richtig, richtig... und findest du diesen Körper schön?"

„Nein. Man sieht, dass er nicht gesund ist. Das Foto zeigt mir etwas anderes als der Spiegel. Es zeigt mir, wie krank ich wirklich bin."

„Mhm... Weißt du woran das liegt?"

„Ich habe ein verzerrtes Bild von mir selbst. Meine Selbstwahrnehmung wurde durch meine Krankheit gestört."

Da sitze ich nun, teile das alte, nach Holz riechende Sofa mit der Psychologin, und rattere die altbekannten Zeilen zu einem Foto, das sie vor 10 Minuten von mir gemacht hat, runter, wie ein Lied das man als Kind so oft gesungen hat, dass man den Text ohne nachzudenken mitsingen konnte und ohne dabei über den Inhalt nachzudenken. Nichts von dem, was ich meiner Psychologin antworte, meine ich so. Es ist bloß das, was sie hören möchte. Und ich weiß, wenn ich diese alte Leier oft genug wiederhole und ich die Ärzte wirklich glauben lasse, ich sei geheilt, würden sie mich schneller nach Hause lassen. Und das möchte ich wirklich. Nicht, dass ich Heimweh hätte. Ich möchte nur nicht hier sein. Hier muss ich seit 5 Wochen mein Schauspiel meistern. Am Anfang bekam ich das Fett noch durch Schläuche in mich reingepumpt, weil ich es nicht geschafft habe, Essen in Stückchen zu mir zu nehmen wie ein normaler Mensch. Ich habe schnell gemerkt, dass ich es schaffen musste mehr Kontrolle über meinen Körper zu kriegen, wenn ich nicht als fettleibiges Walross aus der Klinik rauskommen will. Ich habe die Schläuche besiegt, indem ich nur das Nötigste gegessen habe, sodass sie alle zufrieden mit mir waren. Nach und nach habe ich mir die Rolle der Geheilten angeeignet. Mein Schauspiel hatte begonnen. Bald werde ich ihnen endlich fett genug sein, um aus diesem Drecksloch auszubrechen. Ich bin selber schuld. Wie konnte ich so sehr die Beherrschung verlieren, dass ich beim Sportfest vor all den Leuten zusammengeklappt bin? Wie konnte ich zulassen, schon zum zweiten Mal hier zu landen?

42 Kilo bei einer Größe von 165cm in einem Alter von 19 Jahren. ,,Starkes Untergewicht, mangelernährt, dehydriert.", lautete die Diagnose der Ärzte im Krankenhaus.

Verbesserungswürdig nannte ich es.

I want to see my bones • TWWo Geschichten leben. Entdecke jetzt