I want to see my bones • TW

#5

Ich stelle mir einen neuen Plan auf:
0 Kalorien. Nichts essen. Wenn mir schwindelig wird, esse ich einen Apfel oder Gemüsebrühe. Wenn ich essen will, putze ich mir die Zähne. Wenn es zu sozialen Muss-Essen-Situationen kommt, esse ich ein bisschen mit, aber nicht über 100 Kalorien. Wenn ich doch darüber komme, gehe ich abends noch Joggen.
Aber viel Trinken. Wasser und Tee, nichts anderes, keine Ausnahmen.

Am Freitag, also in drei Tagen, schmeißt ein Kumpel eine Abschiedsfeier, weil er 2 Jahre lang auf Weltreise geht. Bis dahin will ich noch 1-2 Kilo abnehmen. Ich weiß, dass das ein hohes Ziel ist, aber es ist möglich. Und wenn ich dann auf die Party komme, werden alle sehen, dass ich stark bin und schön und leicht. Alle werden Hüftpolster haben, außer mir. Ich will die nicht, ich krieg sie nicht. Ich bin stark genug um Nein zu sagen!

Ich muss heute in die Stadt, weil ich eine neue Jacke brauche. Bei meiner alten Lieblingsjacke ist der Reißverschluss kaputt und geht immer wieder von unten auf, obwohl er zu ist. An der Bahnstation zu der Shopping-Meile, muss man erst an der Fress-Meile vorbei, um nach oben zu kommen. Die Essensläden reihen sich hintereinander. Asia-Box zum Mitnehmen. Bäcker Krüger, Happy Hour ab 19 Uhr. 1€-Shop, Tankstellen-Feeling. Eine Riesenschlange von geiernden Happy Meal Suchtis vorm MC's. Jetzt im Angebot: 3 Donuts zum Preis von 2.

Ich gehe in der Mitte der Fressmeile und versuche die größtmögliche Distanz zu den Ladeneingängen zu behalten und gleichzeitig den vorbeieilenden Menschen auszuweichen. Aktenmongos flitzen mit ihren Aktentaschen nach Hause, um wenigstens noch 1 Stunde mit der Familie am Esstisch zu sitzen, bevor das Kind so alt ist, dass es das selbst nicht mehr will. Fette Kühe poltern über den von Assischweinen vollgerotzten Boden und versuchen so schnell wie möglich zum nächsten Netto zu kommen, bevor die Mitarbeiter die Backwaren aus dem Regal nehmen und schließen. Die üblichen Penner schlurfen runter zur Bahnstation, bevor der Sicherheitsdienst der Bahnstation sie wieder raus in die Kälte schickt.

Hier in der Mitte der Läden mischt sich der Geruch von dem ganzen Essen und den Menschen. Essensgeruch ist ein nervöser, unsicherer Geruch. Er macht die Luft feucht und eklig. Ich will hier so schnell wie möglich weg und am liebsten auch nicht wiederkommen. Essen duftet nicht, es stinkt! Ich möchte meinem Körper so etwas nicht antun.