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Es ist 8 Monate her, dass meine Fressattacken wieder angefangen haben. Inzwischen bin ich wieder übergewichtig. Aber nicht ein paar Kilo, wie letztes Mal. Diesmal wiege ich einfach ganze 70kg. Bei einer Körpergröße von 1,65m. Ich muss das dringend in den Griff kriegen. Ich merke, dass meine Mutter sogar leicht enttäuscht von mir ist, weil sie mir ständig Diättipps gibt. Früher wäre sie froh gewesen zu wissen, dass ihre Tochter nicht verhungert. Und jetzt? Jetzt bin ich fett. Am meisten bin ich von mir selbst enttäuscht. Jedes Mal wenn ich in den Spiegel gucke, sehe ich ein fettes, schwabbeliges Schwein! Ich muss das dringend ändern.

Meine kleine Schwester ist 1 Jahr jünger als ich. In den letzten 2-3 Wochen hat sie abgenommen. Sie hat es verstanden. Sie hat es in den Griff gekriegt. Und jetzt ist sie dünn. Insgeheim hoffe ich, dass das nicht lange anhält, aber ich bin mir noch nicht sicher. Bisher scheint sie wirklich viel Kontrolle über sich zu haben, sie isst fast nichts und ihr Bauch ist durchgehend flach. Sie zählt jede einzelne Kalorie und prahlt ständig damit, wieviel sie jeden Tag abgenommen hat. Ich muss sie unbedingt einholen.

Ich treffe mich in letzter Zeit öfter mit alten Freunden. Sie erschrecken, wenn sie mich sehen. Aber dieses Mal nicht, weil ich so dünn und knochig aussehe, dass ich bei dem nächsten Windhauch davongeweht werden könnte, sondern weil ich ein fettes schwabbeliges Walross geworden bin. Ich schäme mich jedes Mal, wenn ich vor die Tür gehe, jemanden treffe, meine Beine beim Gehen aneinander reiben und wenn ich meine lockerste Hose nur noch mit Mühe über meine Hüfte bekomme.

Die eine Stimme redet mir gut zu. Sie sagt mir, dass es in Ordnung ist zu essen und dass ich noch mehr essen soll, viel viel mehr. Es ist nicht genug, nie genug. Die andere Stimme sagt nichts mehr. Sie ist vermutlich zu geschockt.

Nicht genug./nie genug.

Wenn ich rausgehe und soziale Kontakte mir widerspiegeln, was mit meinem schön dünnen Körper passiert ist, was daraus geworden ist, dann möchte ich einfach nur noch meine Haut aufschneiden und das ganze Fett rausquetschen. Aber weil mich das töten würde, muss ich einen anderen Weg finden, mich gut zu fühlen. Ich fühle mich unwohl unter Menschen, ich muss alleine sein und essen, nur für mich. Ich kaufe alles, was ich auf meinem Weg nach Hause finde und bewege mich zurück in meine Futter-comfort-zone. Wie jeden Abend. Wie konnte ich das zulassen?

Die Stimme sagt mir noch während der Fressattacke, dass es nicht reicht, das ist nicht genug. Ich starre auf die Überreste meines dritten Abendessens mit mehreren tausend Kalorien und merke etwas.

Nicht genug./ Essen.

Nicht genug./Komfort.

Nicht genug./ Kalorien.

Nicht genug./ Allein sein.

Nicht genug./ Einfach nicht genug.

Ich kannte diesen Ausdruck. Nicht genug, niemals genug. Die Stimme sagt es immer wieder. Aber es ist nicht nur die eine Stimme, die ich in letzter Zeit gewohnt war. Eine ganz altbekannte Stimme meldet sich auf einmal wieder.

Nicht genug./ Ich. Liv. Nicht. Genug!

Es wird Zeit, dass ich wieder weniger werde und endlich wieder nicht genug bin.

I want to see my bones • TWWo Geschichten leben. Entdecke jetzt