3. Was hast du mir angetan?

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Die anderen Saltaten saßen gemütlich am Bus. Sie hatten ihre Liegen und Stühle herausgeholt und einen kleinen Tisch mit allerlei alkoholischen Getränken aufgestellt. Die Stimmung war mehr oder weniger ausgelassen, nur vereinzelt machte man sich doch Sorgen um das kleinste Mitglied, der seit dem Auftritt spurlos verschwunden war. Auch die Tatsachen, dass Alea ihn nicht erreichen konnte und das nun auch Lasterbalk schon einige Zeit weg war, halfen nicht, die Stimmung zu verbessern.

„Jetzt zieht mal nicht so lange Gesichter, Leute", versuchte Jean die Stimmung aufzuheitern. „Es wird sich schon alles klären."

„Da kommen sie!" rief Frank plötzlich aufgeregt. Er war der erste gewesen, der das ungleiche Paar erblickt hatte und es konnte sich nur um die fehlenden Spielleute handeln. Alleine die Körpergröße der sich Nähernden ließ darauf schließen.

„Wurde auch Zeit", murmelte der Quotenadlige in seinen Bart hinein. Er mochte es nicht, wenn so eine betrübte Stimmung herrschte.

Luzi war sich der Aufmerksamkeit der anderen Spielleute durchaus bewusst. Zumal ja auch alle Augenpaare auf ihn und Lasterbalk gerichtete waren. Er selbst, schaute betreten zu Boden und vermied es, mit Irgendjemandem Augenkontakt aufzubauen.

„Da seid ihr ja", grüßte Jean.

Ein bestätigendes Summen entwich dem Bandpapa. „Ja, dem Kleinen L ging es nicht so gut. Wir haben schon geredet." Damit hatte er jegliche Fragen abgeblockt und Luzi war ihm von Neuem überaus dankbar.

„Hey, willst du vielleicht was trinken?" fragte Elsi zaghaft. Er war am Nächsten an Luzi und hielt diesem seinen Becher mit Havanna Cola entgegen. Alkohol half ja bekanntlich bei allen Problemen, jedenfalls bei Spielleuten.

Das Kleine L schenkte dem Bandjüngsten ein kleines Lächeln, verneinte doch. „Danke, aber ich würde mich jetzt lieber hinlegen."

Etwas zögerlich erwiderte Elsi das zaghafte Lächeln und er klopfte dem Kleineren aufmunternd auf den Arm. „Na dann, gute Nacht."

Auch die anderen Saltaten wünschten dem Rotschopf eine angenehme Nacht. Jeder von ihnen hatte mal einen oder zwei schlechte Tage, das war nichts Außergewöhnliches und so verstanden sie auch, dass Luzi seine Ruhe haben wollte. Und da Lasterbalk keine Anzeichen gab, dass etwas Schlimmes vorgefallen war, war die Stimmung auch wieder deutlich ruhiger.

Einzig Alea sah nachdenklich zu seinem L. Er merkte doch, dass hier ein falsches Spiel gespielt wurde. Warum sonst sollte Luzi alle seine Antworten und Nachrichten ignorieren? Er blickte finster drein und wollte seinem Freund schon hinterher, doch da traf sein Blick den von Lasterbalk. Der Langhaarige blickte ihn durchdringend an und in seinen Augen lag eine stumme Warnung. Deutlich eingeschüchtert ließ Alea sich wieder auf seinen Stuhl sinken, von dem er sich bereits halb erhoben hatte. Hier war definitiv etwas gewaltig faul und er wollte der Sache auf den Grund gehen. Zumal er das Gefühl bekam, dass er in irgendeiner Weise daran beteiligt war, auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie.

Aber unter dem wachsamen Blick von Lasterbalk, konnte er sich nicht davon schleichen und zu Luzi gehen. Wütend wandte er den Blick vom Lästerlichen ab. Er würde warten müssen, auch wenn ihm das überhaupt nicht passte.

Währenddessen hatte Luzi sich umgezogen und schnell gewaschen. So gut es eben ging in einem Bus den sich acht Spielmänner teilten.

Er war froh, dass Lasterbalk ihm den Rücken frei hielt, wie sonst konnte man erklären, dass Alea noch nicht angestürmt gekommen war? Schließlich war Luzi nicht blind, er hatte den Blick der dunklen, braunen Augen doch gesehen.

Er zog den Vorhang zu seiner Koje auf Seite. Sie war noch unbenutzt, er hatte die vergangenen Nächte nämlich in Aleas Koje gelegen und sich an seinen Lieblingssaltaten angekuschelt. Die Anderen waren das schon gewöhnt und nachdem sie einige dumme Kommentare und Sprüche abgelassen hatten, hatte das Paar auch mehr oder weniger seine Ruhe.

Nur heute, hatte er genug von Alea und legte sich deswegen in sein eigenes Schlafgemach. Etwas forscher als nötig gewesen wäre, zog er den Vorhang wieder zu. Von draußen drang gedämpft das Lachen der Anderen an seine Ohren, aber selbst wenn vollkommene Stille geherrscht hätte, wäre Luzi nicht eingeschlafen. Sein Geist war noch zu aktiv, auch wenn es seinen Körper nach Ruhe dürstete. Seine Gedanken kreisten immer noch wild in seinem Kopf und wollten einfach nicht verstummen. Auch fehlte ihm - so sehr er sich das auch nicht eingestehen wollte - die vertraute Wärme eines ganz bestimmten, anderen Körpers. Es war schließlich schon verdammt lange her, dass die Beiden ohne einander geschlafen hatten, umso ungewohnter war es, nun alleine im kühlen Bett zu liegen.

Der Dudelsackspieler wusste nicht, wie lange er wach dagelegen hatte, als er Schritte auf dem Gang hörte. Wer auch immer es war, er schritt an Luzis Koje vorbei und öffnete dann etwas weiter hinten einen der Vorhänge.

Luzis seufzte, er wusste doch wer da umherstreifte und so drehte er sich leise auf die Seite - so, dass er mit den Rücken zum Gang lag - und schloss die Augen. Vielleicht würde seine kleine Täuschung ja funktionieren, auch wenn er sich eigentlich keine großen Hoffnungen machte.

Die Schritte ertönten wieder und kamen direkt vor Luzis Koje zum Stehen. Keine Sekunde später, wurde der Vorhang auch schon zur Seite geschoben.

„Luzi", sagte die vertraute Tenorstimme Aleas. „Ich weiß, dass du nicht schläfst."

„Hm", erwiderte Luzi. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Außerdem blieben seine Augen geschlossen.

„Was ist los, Kleiner? Sag es mir", umständlich nahm Alea in der Koje Platz.

„Ich will nicht reden." Das stimmte so nicht, eigentlich wollte er nur nicht mit Alea reden.

„Aber ich bin doch deine Nachtigall", versuchte Alea es weiter und seine Hand machte Kontakt mit Luzis hochstehenden Haaren. Dieser zuckte auch sofort weg.

„Lass das", fauchte er und schlug leicht nach der Hand, die erneut durch seine Haare streichen wollten. Er hatte sich leicht gedreht und deswegen sah er den verletzten Gesichtsausdruck auf dem Gesicht des Ziegenbärtigen. Geschah ihm Recht, fand Luzi, der ja gesehen hatte, wo die Hand vorher gewesen war.

„Was ist denn?" die Sanftheit und Wärme war aus der Tenorstimme gewichen. „Habe ich dir irgendwas getan?"

Luzi konnte nicht fassen, dass er das gerade gefragt hatte. „Lass mich einfach in Ruhe!" Er hatte seine Stimme leicht erhoben.

„Schön!" Alea war beleidigt. „Wenn du es so willst", er erhob sich und verschwand dann ohne ein weiteres Wort.

Luzi ließ einen verärgerten Aufschrei erklingen, leise genug, dass Niemand ihn hören würde, aber dennoch laut genug, um sein Gemüt ein wenig zu beschwichtigen. Er konnte nicht fassen, dass sein sogenannter ‚Freund' so tat, als wäre nichts gewesen und er obendrein auch noch den Unschuldigen spielte. Was bildete er sich eigentlich ein?

Nur eins war dem Rotschopf in diesem Moment klar, er würde sobald definitiv kein Auge mehr zu machen.

Gemeinsam EinsamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt