8. Auf der Flucht nach vorn

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„Luzi!" erschrocken hob der Angesprochene seinen Kopf von dem Buch, in das er vertieft gewesen war. Was war nur los, dass Alea so schrie? Er war schon von dem Stuhl aufgesprungen in der Absicht, nach dem Größeren zu sehen, als dieser auch schon mit einem panischen Blick im Türrahmen stand. „Luzi, bitte sag mir, dass du das Geschenk für Jenny irgendwo gesehen hast."

Der Dudelsackspieler konnte erleichtert aufatmen und ließ sich wieder auf das Möbelstück fallen. Er hatte gedacht, irgendetwas Schlimmes sei passiert. „Ja, hab ich. Ist in der Tüte, die an der Garderobe hängt." Er hatte sie vor seinen Katzen in Sicherheit bringen müssen. Die Beiden waren aber auch viel zu neugierig und zu zerstörerisch.

„Ein Glück! Ich dachte schon, ich hätte es verlegt."

„Mhm." Genau deswegen, hatte sich ja auch Luzi darum gekümmert. Alea verlor beziehungsweise verlegte gerne schon mal ein paar Sachen und geriet dann in Panik, weil er sie nicht mehr finden konnte. Grundsätzlich legte er alles was er in der Hand hatte und nicht mehr brauchte, genau dorthin, wo er gerade stand oder ging.

„Hast du es schon eingepackt?" er klang schon viel ruhiger und trat nun vollständig in die Küche, um sich Luzi gegenüber zu setzten, dieser hatte seine Augen schon wieder auf die offene Seite des Romans gerichtet. Falk hatte ihm das Buch empfohlen und dann auch prompt ausgeliehen, er selbst hatte es nämlich schon durch.

„Natürlich. Warum glaubst du, war ich gestern nochmal einkaufen?"

„Eh... keine Ahnung?" er legte seinen Kopf schief.

Luzi konnte sich gerade so davon abhalten, seine Augen zu verdrehen. Manchmal war Alea nicht der Hellste. Vielleicht lag es an seinem Hobby, er war wahrscheinlich zu oft auf die Matte geworfen worden. „Denkst du ich habe Geschenkpapier für Kinder hier rumliegen?" fragte er mit hochgezogener Augenbraue.

Kam es ihm nur so vor, oder errötete der Sänger leicht? „Nein, natürlich nicht... Danke, dass du dich darum gekümmert hast." Er griff nach Luzis Hand, die auf dem Tisch lag, doch sie wurde ihm entzogen. Ein stechender Schmerz durchzog seine Brust und betreten legte er seine Hand in seinen Schoß und starrte auf diese. Es war so verwirrend, mal erlaubte der Rotschopf den Kontakt, mal nicht. Es schien fast so, als könnte er sich selber nicht so richtig entscheiden.

„Wann wolltest du fahren?" durchbrach Luzi die Stille.

Alea blickte auf die Uhr die über der Tür hing. „In ungefähr 'ner halben Stunde."

„Na hoffentlich springt dieses Mal das Auto an", kommentierte das L. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, als sie zu Aleas Familientreffen gefahren waren. Oder es zumindest gewollt hatten, denn es war tatsächlich Alles schief gegangen, was hätte schief gehen können. Abgesehen von der Tatsache, dass Alea ihm seine Liebe während eben jenes Treffens gestanden hatte. Aber nochmal hatte Luzi keine Lust darauf, Bahn zu fahren.

„Oh ja, das hoffe ich auch. Jenny wäre am Boden zerstört, wenn ihre Tante nicht kommen würde."

Luzi schnitt eine Grimasse. „Lass das", sagte er, doch es fehlte der gewisse Biss. „Schon schlimm genug, wenn sie das sagt."

Alea lachte. „Sie wird es schon zu gegebener Zeit verstehen."

„Ja... aber wenn sie nur ansatzweise etwas von ihrem Onkel hat, wird sie es trotzdem nicht lassen", er musste schmunzeln. Irgendwie war es ja schon süß, trotzdem auch furchtbar peinlich. Der Preis dafür, in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu sein.

„Sie hat meine Spielmannsader geerbt", stolz schwellte sich seine Brust.

„Und ihre Eltern werden dich dafür noch irgendwann verfluchen", prophezeite der Kleinere. „Sie werden schon damit zurecht kommen", lachte er. „Wir sollten dann los." Er erhob sich und durchquerte die Küche.

„Ja." Das konnte ja was werden. Er hoffte nur, dass Luzi bessere Laune haben würde, wenn sie dann da waren. „Nimmst du deinen Dudelsack mit? Ich meine, Jenny will bestimmt was hören."

„Kann ich machen", kam die Antwort aus dem Wohnzimmer. Das musste man nämlich durchqueren, wenn man irgendwo anders in der Wohnung hin wollte, es war sozusagen der Mittelpunkt und obendrein auch der größte Raum.

Das Kleine L kam erst an der Haustür an, als Alea seine Jacke schon genommen und angezogen hatte. Deswegen stand der Braunhaarige jetzt mit Luzis Jacke in der Hand und hielt sie ihm hoch. Zu seiner Überraschung, ließ der Rotschopf sich helfen.

„Hast du deine Schlüssel?" wollte der Dudelsackspieler wissen, als er sich streckte um die Tüte mit dem Geschenk vom Haken zu holen.

„Natürlich", er grinste. Er würde fahren, immerhin war es ja auch SEIN Auto, was sie nutzten. Luzi hatte Keins mehr, seins hatte nämlich vor ein paar Tagen den Geist komplett aufgegeben und er hatte bisher weder die Zeit noch die Lust gehabt, sich ein Neues anzuschaffen. Davon mal abgesehen spielte das Geld und somit der Preis ja auch immer eine Rolle.

„Dann auf", scheuchte das L, drückte dem Größeren noch die Tüte und seinen Dudelsack in die Hand und schloss dann die Tür ab. Währenddessen hatte Alea sich schon nach unten begeben und die beiden Sachen sorgfältig im Kofferraum verstaut. Dann hatte er den Motor angemacht, die Heizung angedreht – heute war es doch noch recht frisch zu der frühen Uhrzeit – und angefangen die Scheiben ein wenig von dem gröbsten Dreck zu befreien. Er hätte seine Karre nicht unter die pollenreichsten Bäume stellen sollen, selbst schuld.

„Da hilft nur noch ordentlich Schrubben, fürchte ich", murmelte er zu sich selber.

„Guten Morgen!" grüßte eine männliche Stimme und das Kleine L, dass gerade etwas hatte erwidern wollen, drehte sich überrascht um.

Ein freundliches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Morgen, Herr Hoffmann", grüßte er den älteren Mann, der in der Wohnung unter ihm wohnte. Er war eine gute Seele und passte ab und an auf die beiden Katzen auf. Er war auch so ziemlich der Einzige, den Luzi aus dem Mietshaus mochte.

„So früh schon unterwegs?" er hob eine buschige Augenbraue.

Der Rotschopf nickte. „Geburtstag in der Familie und ein langer Anfahrtsweg", er zuckte mit den Schultern. So war das eben.

„Was muss, das muss"; erwiderte der ältere Herr.

„So ist das", stimme Luzi ihm zu.

„Na dann, gute Fahrt." Er wandte sich zu Alea. „Und pass du gut auf den da auf, der hat den Schalk im Nacken."

Alea, der die Unterhaltung bisher schweigend verfolgt hatte, prustete los. Das war EINE Art, seinen Freund zu beschreiben. Klein, aber oho. „Keine Sorge, ich mach das schon."

Ein zufriedenes Brummen kam von dem Grauhaarigen, der langsam und mit einer kleinen Brötchentüte in der Hand, zum Mietshaus schlurfte.

Insgeheim fragte er sich, ob Herr Hoffmann wusste, dass Alea und er mehr waren als nur gute Freunde. Laut genug waren sie zwischendurch immer mal wieder gewesen.

„Luzi?" der Sänger war schon halb eingestiegen und sah fragend zu ihm hinüber.

„War nur in Gedanken", wimmelte er ihn ab und stieg ebenfalls auf der Beifahrerseite ein. Drinnen war es bereits muckelig warm und er lehnte seinen Kopf an die Lehne, während sein Freund losfuhr. Die Stille im Auto wurde nur durch das laufende Radio durchbrochen.

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