6. Kapitel

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Sekundenlang herrschte Stille.

Schmerz pulsierte durch meinen Körper, von den Spitzen meiner Ohren durch meine Schultern bis in meine Pfoten hinein. Ein leises Stöhnen entwich meiner Kehle. Wie oft hatte ich schon bewusstlos auf dem Boden dieser Höhle gelegen? Ich konnte mich nur noch daran erinnern, dass es sehr häufig gewesen war. Aber ich hatte eigentlich gedacht, dieser Abschnitt meines Lebens wäre vorbei. 

"Kaito...?", hörte ich die gequälte Stimme von Shrewy durch die Dunkelheit. "Kaito bist...bist du okay?"

"Mehr oder weniger", ächzte ich zurück. "Und du?"

"Nein." Leidend, wie er klang, war sämtliche Arroganz aus seiner Stimme verschwunden. "Ich glaube, ich kann weder aufstehen, noch die Augen aufmachen." Es folgte eine kurze Pause. Dann hörte ich ihn erneut, er klang gedemütigt. "Könntest du...mir helfen?"

Ich mobilisierte meine letzte Kraft und raffte mich auf die Pfoten. Mein Körper fühlte sich unendlich schwer an, wie als bestünde mein Bauch aus Steinen. Schlurfend schleppte ich mich in die Richtung, aus der Shrewys Stimme gekommen war. Schließlich stieß ich mit meinen Pfoten gegen seinen Körper. 

"Ich stehe neben dir", informierte ich ihn, "Kann ich dir beim Aufstehen helfen?"

Ich spürte, wie er seinen Arm hob und nach mir tastete. Scheinbar stand ich direkt neben seiner Schulter. Ich konnte durch den Schein der Blüten an den Wänden nichts sehen, aber ich spürte das Pulsieren in seinem Körper. Seine Krallen streiften über meinen Hinterkopf, als er nach meiner Schulter tastete, seinen Arm darauf ablegte und sich schließlich nach oben drückte.

Ich unterdrückte einen schmerzhaften Aufschrei, presste meine Pfoten gegen das Gestein und kniff die Augen zusammen, als Shrewy sich auf mir abstützte.

"Geht", keuchte er. Wieder folgte eine kurze Pause. "Danke, Kaito."

"Kein Problem", japste ich und öffnete die Augen wieder. Entlang des Pfades, den wir entlang gekommen waren, fiel ein leichter schimmer von dunkelrotem Abendlicht. 

Wir arbeiteten uns Schritt für Schritt vor, Shrewy schlaff an meiner Schulter und eigentlich trug ich ihn mehr, als dass er selbst lief. 

Wie genau ich es geschafft hatte, mit Shrewy den Ausgang der Höhle zu erreichen, wusste ich selbst nicht genau. Aber als wir aus dem steinernen Durchgang in das Licht de Abends traten, verstand ich schlagartig, warum ich das junge Pokémon beinahe hatte tragen müssen.

Während ich selbst an mir nur ein paar oberflächliche Kratzer an Schultern, Brust und Ohren, gepaart mit einigen Prellungen, aber alles in allem nichts Erschreckendes, sah Shrewy schlimm zugerichtet aus. 

Tiefe, blutende Kratzer zogen sich über seine Arme und Beine, an seinem linken Fuß schien ihm sogar eine Kralle ausgerissen worden sein. Seine Ohren waren brutal zerfetzt und die Teile seiner Gliedmaßen, die nicht blutend, waren gerötet und geschwollen. Ein schmales Rinnsal einer roten Flüssigkeit lief aus seinem Maul heraus seinen Hals hinunter, scheinbar hatten auch seine Zähne unter dem Angriff gelitten, aber das Schlimmste war sein Gesicht: Dunkelrote Schrammen, gezeichnet von schmalen, messerscharfen Krallen, zogen sich über seine Augen und teilweise auch über seine Nase. Wie es schien, hatte sein Angreifer nicht gezielt, sondern einfach wild mit seinen Krallen auf sein Gesicht, konkreter Gesagt auf seine Augen, eingeschlagen. Trotzdem musste er genau gewusst haben, was er da tat, denn sonst hätte ein einzelnes Pokémon jemanden wie Shrewy nicht binnen Sekunden auf einen schmalen Grad zwischen lebendig und tot prügeln können. 

Keuchend legte ich Shrewy auf dem von Moos und verrotteten Blättern bedeckten Boden ab und blickte den Schacht nach oben. Alleine hatte ich keine Chance, Shrewy nach dort oben zu befördern. Ich konnte ihm im Grunde nur hier zurück lassen, wenn ich Hilfe holen wollten. Oder aber ich hoffte darauf, dass mich jemand hörte.

Rise of Darkness (Pokémon FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt