13. Kapitel

76 9 27
                                    

Wie viel Zeit vergangen war, wusste ich nicht, aber als ich meine Augen wieder aufschlug, war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich wieder bei Bewusstsein war, denn im ersten Moment sah ich nur Schwarz. Eine Sekunde später konnte ich einzelne Konturen ausmachen und mir wurde klar, dass die komplette Höhle von einem dichten, schwarzen Nebel erfüllt war, der es unmöglich machte, mehr als zwei Meter weit zu sehen. 
Gedämpft drangen die Rufe verschiedener Pokémon zu mir hindurch, aber sie wirkten nicht wie verzweifelte Hilfeschreie. Mehr erschienen sie mir als Hintergrundgeräusche, so natürlich, so belanglos, als gäbe es hier in der nebligen Dunkelheit nur mich und meinen eigenen Herzschlag. Dieser war dafür schnell, intensiv und laut, sehr laut, fast hatte ich das Gefühl, alle anderen müssten das dumpfe Pochen auch wahrnehmen. 
Erst auf den zweiten Blick erkannte ich die dunkle Gestalt, die dort schwebte, wo zuvor noch der Beschwörstein gestanden haben musste. Es war vermutlich ein Pokémon, aber es erschien so dunkel, geistartig, ja, so böse, dass ich keine Worte fand, um es zu beschreiben. Alleine bei seinem Anblick wurde mir schlecht, das Blut schien in meinen Adern zu gefrieren und mein Fell stellte sich auf, mein Zittern lief dennoch nicht nach. Es schien mir unmöglich, wegzugucken, obwohl mich der Anblick dieses Wesens so sehr verstörte, dass es mich noch jahrelang in meine tiefsten Alpträume verfolgen würde. 
Das Pokémon war komplett in ein Schwarz getaucht, was mir das Gefühl gab, alleine beim Anschauen in die grausamsten Tiefen der Hölle hineingezogen zu werden. Lediglich eine rote Krempe um den Hals und der obere Teil des Kopfes, welcher weiß war, zeichneten sich farblich ab. Der Kragen war gezackt, er wirkte wie ein gigantisches Maul voller brutaler Zähne, aus dem der vergleichsweise kleine Kopf der Kreatur hervorragte. Der weiße, haarähnliche Fortsatz kompensierte das allerdings. 
Seine Arme waren relativ dünn, endeten aber in verhältnismäßig großen und somit noch grotesker wirkenden Klauen, drei an jeder Hand. Aus beiden Ellbogen waberte Nebel in der Körperfarbe des Pokémon hervor und kleine Zacken zierten seine Unterarme. Sein Unterleib endete weder in Beinen noch in Füßen, sondern in einem gezackten Kreis, gleich einem Rock. Der Bereich zwischen diesem Ende und der Brust war erstaunlich schmal, was es nicht klobig, sondern beinahe schon fragil wirken ließ, doch das machte nichts besser. Viel eher verstärkte es die grausame Aura, die dieses Pokémon ausstrahlte. Abgerundet wurde sein Erscheinungsbild durch ein zackenartiges Gebilde, das einem Schweif sehr nahe kam. 
Mein Zittern wurde stärker, als die Kreatur nun ihr Auge aufschlug, das eisige Blau blitzte durch die Dunkelheit und ich hatte das Gefühl, es würde sich direkt auf mich fixieren.
Das musste es sein.
Eine andere Wahl gab es nicht.
Das war Darkrai.
"Wie hell es ist", waren die ersten Worte, die das Pokémon sprach, und auf der Stelle fuhr ich erschrocken zusammen.
Ich hatte mir legendäre Pokémon immer als groß und grausam vorgestellt, mit so tiefen, rauen Stimmen, dass jedes Wort einem grausige Schauer durch den Körper jagte. Aber das war bei Darkrai nicht der Fall. 
Außerdem hatte ich es immer selbstverständlich, was auch durch die Anrede "Meister" verstärkt worden war, für ein männliches Pokémon gehalten, aber die Stimme der dunklen Kreatur sprach wortwörtlich eine andere Sprache.
Sie war nicht tief und rau und schon gar nicht maskulin.
Darkrais Stimme war sanft und zart, irgendwie einlullend, sie erinnerte mich an die Stimme meiner Mutter, wenn sie mir Gutenachtgeschichten erzählt hatte. 
Aber das machte sie nicht schön. Schon nach dem ersten Wort war mir speiübel und ich brach in kalten Angstschweiß aus. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass ein Pokémon so grausam klingen konnte. 
"Wie hell es ist", wiederholte Darkrai noch einmal, sie verschränkte ihre Finger miteinander und streckte die Arme über den Kopf, wie als sei sie gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht, "Das bin ich anders gewohnt, aber kein Problem, das kriegen wir hin. Welches liebe Schätzchen hat mich denn aufgeweckt?"
Schweigen kehrte ein. Ich konnte nicht sagen, ob ich es mir nur einbildete, oder ob der dunkle Nebel sich wirklich ein Stückchen lichtete, aber ich erkannte, wie das fuchsartige Pokémon von Vorhin nach vorne trat, die Arme verschränkte und tapfer das Kinn nach oben streckte. 
"Ich war das", erklärte er fest, "Mein Name ist Braix, Meister Darkrai."
"Braix. Ich danke dir, mein Lieber. Schön, schön, wenn man von so einem hübschen Gesellen befreit wird..." Darkrai brach in ein leises Kichern aus, als Braix unsicher ein Stück zurückzuckte. 
"Ich... ähm, ich habe schon einen Gefährten", stammelte er nervös, "A-aber um mich soll es gar nicht gehen. Meister Darkrai..."
"Oh, bitte. Das ist so ein ungewöhnliches Gefühl, so angeredet zu werden." Es klang fast so, als würde Darkrai lächeln. "Braix, mein Lieber, nenn mich doch bei meinem Namen. Lilith, das ist mein Name. Nenn mich doch bitte so."
"Ähm, ja. Also... Meister... Meisterin Lilith, ich bitte euch, hört mich an. Ich und meine edlen Untertanen..."
Eine leichte Regung unter meinem Kinn erinnerte mich an Samira. Ich konnte ihr weißes Fell durch die Dunkelheit schimmern sehen und ein leichtes Wimmern entwich ihrer Kehle, als sie sich unter mir wand. In der nächsten Sekunde vernahm ich auch einen warmen Atem an meinem Ohr. 
"Kaito", murmelte Doom mir ins Ohr, "Lass uns die Gelegenheit nutzten und mit Samira fliehen. Wer weiß, was die mit uns tun werden, wenn sie uns erwischen. Du hattest das Glück, es nie zu erleben aber... du willst dich Darkrai nicht in den Weg stellen. Lass uns abhauen, schnell."
Seine Zähne gruben sich in meinen Nacken, als er mich zurück auf meine Füße zog.
"Lauf, verdammt noch mal!"
Die Erkenntnis, dass dies vermutlich das einzig Richtige war, traf mich wie ein Sprungkick in den Magen. Ohne weiter darüber nachzudenken schnappte ich mir Samira, die reglos unter mir lag, und setzte Doom hinterher, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Wir stießen auf unserer Flucht ein paar Pokémon zur Seite, aber die schienen daran gar nicht interessiert zu sein. Wie gebannt starrten sie alle nach vorne, wo Braix und Lilith miteinander sprachen. Ihre Worte verschwammen ineinander, als ich hinter dem Hundemon den Weg zum Ausgang nach oben sprang und in der Dunkelheit verschwand. Mir war so schlecht, dass ich mich vermutlich übergeben hätte, hätte ich Samira nicht getragen. Ihre Muskeln fühlten sich unter ihrem weichen Fell so schlaff an, dass mir die Tränen kamen. Ich weinte den ganzen Weg lang stumm vor mich hin. 

Rise of Darkness (Pokémon FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt