11. Kapitel

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Das dumpfe Brummen in meinen Kopf, das durch meine Verwirrung entstanden war, flachte ab, je weiter ich in Begleitung von Espasa in den Wald hineinstürmte.
Da war etwas, das in mir rumorte. Irgendeine Gewissheit, die definitiv existierte, aber ich brachte es einfach nicht zustande, sie aus den hintersten Tiefen meiner Gedankenwelt hervorzuholen. Aber es reichte aus, um mir instinktiv zu vermitteln, dass wir in Schwierigkeiten waren, in großen Schwierigkeiten, und das nicht nur, weil Samira von Jolt entführt worden war.
Da war etwas, das darüber hinausging. Was sollte das Blitza schon für Gründe haben, ein dahergelaufenes Evoli zu entführen, von dem er nicht einmal wusste, dass sie seine leibliche Tochter war - auch, wenn er es ahnen konnte, wenn ich die Aussagen von Espasa richtig gedeutet hatte?

Unser Lauf führte uns durch den dunklen Wald, und ich hatte keine Wahl, als dem Psiana blind zu vertrauen und ihr einfach zu folgen, ohne eine wirkliche Ahnung zu haben, wohin sie mich eigentlich führte. Doch als sich die Bäume lichteten und das fade Mondlicht auf dem Boden gelangte, erkannte ich das ausgetrocknete Flussbett, das uns zur Höhle von Doom führen würde. 

"Wir sollten lieber leise sein", durchbrach Espasa schließlich das drückende Schweigen, das zwischen uns herrschte, "Es ist immer noch früh, wahrscheinlich ist der größte Teil von ihnen noch nicht wach und wir wollen nicht für einen Aufruhr noch vor Sonnenaufgang sorgen."
Ich stimmte ihr nur stumm nickend zu. Die Idee klang plausibel - vor lauter neuer Erkenntnisse hatte ich vollkommen vergessen, über die aktuelle Uhrzeit nachzudenken. Gerade nach all den schlimmen Vermutungen, über die Doom mich informiert hatte, war es nicht die beste Idee, im Dunkeln mitten in das Versteck seiner Gruppe zu spazieren. 
Doch je näher wir an die Höhle herankamen, desto intensiver wurde das ungute Gefühl in meiner Magengegend. Es musste irgendwas in der stillen Morgenluft liegen, das meine Inneren Alarmglocken lauthals losklingeln ließ. 
"Espa...", fing ich langsam an, doch das Psiana brachte mich mit einem Zucken ihrer Ohren zum Schweigen.
"Ich weiß, was du meinst", erwiderte sie gedämpft, ohne, dass ich auch nur ansatzweise irgendetwas erklärt hatte, "Irgendetwas stimmt hier nicht."

Ich hatte fest damit gerechnet, allerhöchstens auf einen oder auch mehrere Wächter zu treffen, aber als wir schließlich die Höhle von Dooms Rudel erreicht hatten, wurde ich in meiner bösen Vorahnung bestätigt. Das erkannte ich daran, dass trotz der frühen Morgenstunde wahrscheinlich sämtliche Pokémon, die diese verwinkelte Höhle beherbergen konnte, auf den Beinen waren, und das, obwohl nicht einmal das Feuer in der Mitte des Hohlraums richtig brannte. Nur ein paar wenige Glutreste ließen merkwürdige Lichtflecken über den Boden huschen.
Die Pokémon, größtenteils hatte ich sie noch nie gesehen, hockten in kleinen Gruppen zusammen und tuschelten nervös, kuschelten zitternd miteinander oder hockten irgendwo in den Schatten und blickten verstört in der Gegend umher. Simia, das Pokémon, das auch Shrewy vor kurzem geholfen hatte, huschte von Gestalt zu Gestalt und schien die Gesundheit von jedem einzelnen zu überprüfen. Wenn ich das richtig verstanden hatte, dann stellte sie so etwas wie die Verantwortliche für Verletzte dar. 
Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich Doom. Er befand sich am anderen Ende der Höhle, wo er mit unruhigen Schritten im Kreis tigerte. Ein Stück neben ihm lag Lyca auf dem Boden, hatte den Kopf auf ihren Vorderpfoten gebettet und folgte seinen Bewegungen mit den Pupillen.
"Doom!"
Espasa hastete eilig zu den Hundemon, der daraufhin beinahe erschrocken den Kopf nach oben riss und in unsere Richtung wirbelte. Sein verspannter Gesichtsausdruck löste sich erst nach ein paar Sekunden, als er mich und Espasa erkannte.
"Kaito, Espasa, ich bin froh, dass ihr hier seid." Er schüttelte kurz den Kopf, dann setzte er seinen Kreislauf fort. 
"Was ist hier passiert?" Störrisch scharrte Espasa mit ihren Pfoten über den Boden und sah sich um. "Warum sind alle so... aufgebracht?"
"Wir sind überfallen worden." Doom knallte eine seiner Pranken donnernd auf den Boden. "Ich weiß nicht, wie sie uns gefunden haben, aber sie sind gekommen, während wir alle geschlafen haben. Sie haben unsere Wache überwältigt und uns gnadenlos attackiert. Dass es keine Toten gibt, grenzt schon an ein Wunder." Eine schmale Flammenzunge schnellte zwischen seinen Zähnen hervor. "Diese ehrenlosen Drecksviecher!" Sein Schweif peitschte auf den Boden und seine Krallen schabten lautstark über das Gestein. Man sah Doom an, dass er sich beherrschen musste, um nicht endgültig auszuticken. 
"Was?" Espasa erblasste und ihre Augen weiteten sich schlagartig. "W-was?! Von wem?"
"Ich habe nicht alle erkannt." Nun auf einmal nachdenklich zeigte Doom seine Zähne. "Aber genug, um zu wissen, dass es ehemalige Anhänger von Samantha und Salazandora waren."
"Wie bitte?" Schockiert weitete das Psiana die Augen. "Ehemalige Anhänger von...bist du sicher?"
"Hunderprozentig." Doom wirkte nicht so, als ließe er irgendwelche Zweifel zu, als er ruckartig stehen blieb. "Und wisst ihr, was sie wollten? Wisst ihr zwei, was sie wollten?" Er erwartete eigentlich gar keine Antwort, da er sofort fortfuhr. "Sie haben den Kristallsplitter gestohlen! Erinnert ihr euch? Den einen Splitter, den ich verwendet habe, um euch zu zeigen, wonach wir suchen! Ich habe es gewusst, Kaito, ich habe es gewusst!" Fast schon ein bisschen frustriert zischte das Hundemon auf. "Sie planen irgendwas, und das tun sie mit den Splittern des Beschwörsteins, und was auch immer es ist, wir müssen sie aufhalten!"
"Warte mal..." Espasa Stimme war gequält und langsam, während sie sich zögerlich mir zu wandte. "Ehemalige Anhänger von Salazandora und Samantha haben einen Splitter des Beschwörsteins geklaut und zufällig wird in der gleichen Nacht Samira entführt, und das obendrein noch von Jolt..." Ihre Ohren zuckte. "...Kaito, hier geht irgendwas gewaltig schief. Und was auch immer die damit bezwecken wollen..." Sie schluckte heftig. "Ich habe das Gefühl, dass wir vielleicht schon zu spät sind."
"Moment mal bitte." Mit schockiert geweiteten Augen sah Doom mich an. "Samira wurde entführt? Deine kleine Tochter Samira?"
"Ähm..." Die spontane Erinnerung an die Offenbarung, die man mir vorhin dargelegt hatte, traf mich wie ein Sprungkick in den Magen. "Also...ja. Ja, kann man so sagen. Strenggenommen ist sie nicht...ach, das spielt jetzt keine Rolle." Ich schüttelte mir die Tränen aus den Augen. "Jolt hat sie entführt und das bedeutet, wir müssen sie ganz schnell befreien!" 
"Kaito, beruhig dich." Doom trat nahe an mich heran. "Ich weiß, du bist in Sorge", murmelte er beruhigend, "Aber es ist jetzt besonders wichtig, dass wir alle Informationen sammeln, die wir kriegen können. Also: Was genau ist strenggenommen nicht der Fall?" 
Schwer ließ ich den Kopf hängen und die Ohren gleich mit.
"Strenggenommen ist Samira nicht...nicht", er fiel mir schwer, die Worte hervorzubringen, "...nicht meine Tochter."
Schlagartige Stille. Als ich vorsichtig nach oben blickte, erkannte ich, wie Dooms Kinnlade nach unten klappte und seine Pupillen unsicher über mich streiften, wie als überlege er, ob die Gefahr bestünde, dass ich gerade log, oder ob ich einfach nur wahnsinnig geworden war.
Doch dann auf einmal schnappte er entgeistert nach Luft, stieß sie röchelnd wieder auf und taumelte nach hinten.
"Verdammt", stieß er aus, als sei ihm die schlimmste Erkenntnis aller Zeiten gekommen, "Verdammt, Kaito, wir haben ein gewaltiges Problem... wir müssen handeln, sofort, wenn wir nicht wollen, dass sich die Geschichte auf die grausamste und düsterte Art und Weise wiederholt, die überhaupt möglich wäre."
"Was?" Verwirrt blinzelnd tauschte ich einen Blick mit Espasa, während die grausame Vorahnung in meinem Inneren verrückt spielte. Ich wusste, was er meinte, ich wusste es eigentlich, das hatte ich schon gewusst, bevor wir die Höhle betreten hatten. Aber ich kam nicht drauf, und das machte mich fast so wahnsinnig wie die Angst, die in Dooms Augen schimmerte. 
"Devoira." Doom keuchte. "Devoira. Weißt du noch, was sie zu uns gesagt hat? Als sie davon sprach, dass Samira nichts mit der Wiedererweckung von Darkrai zu tun hätte, hat sie doch noch so dolle betont, dass dein Blut nicht für diesen Kampf bestimmt ist. Dein Blut, Kaito. Wenn das, was du erzählst aber wahr ist, wovon ich einfach mal ausgehe, du müsstest wahnsinnig sein, um mich jetzt anzulügen...dann geht das nicht auf. Dann hat Samira nicht dein Blut...und auch keinen damit einhergehenden Schutz."
Schlagartig wusste ich, warum ich schon die ganze Zeit so ein schlechtes Gefühl gehabt hatte. Devoiras Worte hallten durch meinen Kopf.
Du sprachst von deiner Tochter, deiner Nachfolgerin, deinem Blut. Und dein Blut war noch nie dafür bestimmt, in diesem Kampf vergossen zu werden.
Mir wurde schlecht und heiße Tränen bahnten sich den Weg in meine Augen.
Nein. Nein, das konnte nicht sein. Samira hatte nichts an sich, was sie irgendwie von Wert für diese Pokémon machen könnte. Nichts, was irgendwie mit der Wiedererweckung von Darkrai zu tun hatte. Zumindest gelang es mir erfolgreich, mir das einzureden.
Ich klappte den Mund auf, wollte etwas sagen, doch meine Kehle war viel zu trocken und Doom gab mir auch keine Chance mehr. Er wetzte augenblicklich an mir vorbei, hüpfte auf eine kleine Erhöhung im Boden und stieß ein ohrenbetäubendes Jaulen aus.
"Alle einmal herhören!" Seine Stimme hallte durch die Höhle. "Jeder, der noch in der Lage ist, zu laufen und zu kämpfen, macht sich bitte umgehend auf eine Suchaktion gefasst. Kaito hier...", er sah hastig zu mir, "...hat eine kleine Tochter namens Samira. Die wurde von einem ehemaligen Anhänger von Salazandora und Samantha entführt und wir sind uns nun ziemlich sicher, dass dahinter genau diese Gruppe steht, die uns eben überfallen hat. Und wenn wir uns nicht beeilen, dann hat das ganz schlimme Folgen. Hinterfragt es nicht." Entschlossenheit flackerte in seinen Augen. "Vertraut mir einfach. Wir suchen nun nach Samira, Kaito, erklär doch bitte, wie die kleine aussieht!"
Er sah mich auffordernd an und ich schluckte, als ich vortreten musste. Dutzende Augenpaare waren fest auf mich gerichtet und ich spürte die Spannung in der Luft. "Ähm... ja." Ich schluckte. "Also... sie ist ein relativ großes Evoli, weißes Fell, große, dunkelgraue Augen." Ich zuckte mit den Ohren. Schweigen. Niemand zeigte eine Reaktion auf meine Worte, als ich den Schweif hängen ließ und vorsichtig zurücktrat.
"Ihr habt ihn gehört!" Dooms Stimme wirkte wie ein Weckruf und ließ mich zusammenfahren. "Wir suchen nach einem relativ großen Evoli mit weißem Fell! Findet sie, um jeden Preis!" Sein Schweif peitschte auf den Boden. "Jetzt! Kaito", er fuhr zu mir herum, "führ uns zu dem Ort, an dem du sie verloren hast!"
Ich brachte nicht mehr als ein stummes Nicken zustande und stolperte in Richtung des Höhlenausgangs, allerdings erst, nachdem Doom mich mit der Schnauze angestoßen hatte. Etwa ein Drittel der anwesenden Pokémon rappelte sich auf, um mir zu folgen, und Espasa beeilte sich, um sich neben mich zu bringen.
"Shine?" Ich fuhr zusammen, als sie mich bei meinem Spitznamen rief. 
"Verzeih mir die Störung, aber könntest du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?"
"Doom geht davon aus, dass sich ehemalige Verbündete von ihm wieder zusammengetan haben und noch einmal versuchen, Darkrai zu befreien." Meine Stimme überschlug sich. "Deswegen sind wir zu Devoira gegangen und haben sie um Rat gefragt. Sie hat und prophezeit, dass... irgendwas über Schneeweiß, was das Licht verraten wird und... so. Als ich sie dann auf Samira angesprochen habe, hat sie nur gesagt, dass ich mir keine Sorgen um meine Tochter machen muss, weil mein Blut sie irgendwie schützt. Jetzt.... da es nun aber so ist, dass sie halt nicht meine Tochter ist, s-sondern deine... gilt das nicht mehr für sie."
Ruckartig blieb das Psiana stehen.
"Verdammt", keuchte sie entsetzt, so wie Doom es zuvor getan hatte. "Verdammt. Licht wird immer auf Dunkelheit folgen."
"Wie bitte?"
"Licht wird immer auf Dunkelheit folgen." Sie atmete schwer. "Das hat Devoira vor vielen Jahren einmal zu mir gesagt. Licht wird immer auf Dunkelheit folgen. Pass auf, mein Gedanke war der: Wenn ich die Dunkelheit bin, und auf Dunkelheit immer Licht folgen wird... meine... meine Mutter, Espoir, wurde als Licht bezeichnet, ich als Dunkelheit, demnach muss Samira wieder Licht sein." Espasa zitterte und ihre Augen schimmerten betrübt, als sie über ihre Familie sprach. "Und ich weiß ja echt nicht, wie es dir geht, aber... Anhänger von Salazandora und Samantha stehen einen Beschwörsteinsplitter, Samira wird entführt und Devoira erwähnt verratenes Licht und Schneeweiß in einem Atemzug... das macht mich nervös."
Ich blieb ebenfalls stehen, für eine Sekunde war es mir egal, dass gerade alle darauf warteten, dass ich sie führen würde, und blicke Espasa in die trüben Augen. Sie untertrieb mächtig, das erkannte ich an ihrem Blick. Hinter ihren beschönigenden Worten lag noch viel mehr, als sie vermutlich selbst sagen wollte.
"Sprich es doch einfach aus", bat ich sie leise. Verleumdungen machte das Ganze auch nicht besser.
Das Psiana schnaubte, ihr Schweif schlang sich um ihren Hinterbeine und ein leichter Nebel bildete sich in dem gesplitterten Stein auf ihrer Stirn. Ihr missfiel meine Aufforderung, doch sie kam ihr nach. 
"Wenn es sein muss", murmelte sie, "Nach allem, was wir wissen, gehe ich endgültig davon aus, dass sie nun Samira dazu brauchen, um Darkrai wieder zu erwecken."

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Guten Abend^^" 
Tatsächlich lebe ich noch und mir ist auch bewusst, dass das hier nicht die beste Stelle für einen Cut ist, aber ich wollte es nicht noch weiter hinauszögern.
Ich bedanke mich bei allen, die immer geduldig auf ein neues Kapitel warten^^" und ich versuche auch, diesen Monat noch ein Kapitel zu bringen, vermutlich nächstes Wochenende.
Dann wünsche ich noch einen schönen Abend :D



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