Kapitel 4

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~Herzschlag~

Irgendwann nach stundenlangem Anstarren der weißen Wand musste ich wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen öffnete war eine weiche Decke über mir ausgebreitet und draußen war es stockdunkel. Ich seufzte leise, als ich zitterte und die Decke fester um meinen Körper zog. Ich spürte überhaupt keine Müdigkeit, aber ich fühlte mich auch nicht ausgeruht fast so als hätte ich nicht geschlafen sondern einfach nur kurz gezwinkert.

Ich seufzte. Es war schwer einfach so weiter zu machen. Mir fiel erst jetzt auf in wie vielen Aspekten meines Lebens er Teil gehabt hatte. Schaudernd bei dem Gedanken daran, dass dies niemals wieder so sein würde wickelte ich die Decke fester um mich und tapste langsam die Treppen hinauf bis in mein Zimmer. Nicht wirklich klar darüber, was ich tat änderte ich meine Meinung auf der Hälfte des Weges und schlug den Weg zum Badezimmer ein.

Dort stellte ich mich vor den Spiegel und atmete tief durch, bevor ich das Licht anknipste. Es dauerte einige Sekunden, bis sich meine Pupillen schmerzhaft an das grelle Licht gewöhnt hatten, doch dann schafften sie es doch. Ich brauchte ein paar weitere Momente um zu realisieren, dass die Person, die mir da entgegenblickte niemand anderes als ich war. 

Meine sonst eigentlich glatten, braunen Haare standen wirr von meinem Kopf ab und gaben mir ein verrücktes Aussehen, das von der um meine Schultern gewickelten Decke nur noch unterstrichen wurde. Meine Augen starrten mich groß und leer an, keine Gefühlsregung spiegelte sich in ihnen, was mich noch mehr wie ein Geist wirken ließ. 

Und das war es auch, was ich in diesem Moment war: Ein Geist. Ein Schatten, ein schwacher Abklatsch von meinem früheren Selbst. Ich wusste, dass ein wichtiger Teil von mir fehlte und mein übermüdetes Gehirn schien das auch zu realisieren. Für einen kurzen Moment starrte er an meiner Stelle mit kalten, toten Augen zurück aus dem Spiegel.

Ich wusste nicht mehr, wie ich es in dieser Nacht geschafft hatte heil ins Bett zu kommen, aber irgendwie musste ich es geschafft haben, denn als ich das nächste Mal zu Bewusstsein kam lag ich in meinem warmen Bett, mit der Hand auf meinem Wecker und bereit ihn zu überraschen. Ich schlief normalerweise immer bis zur allerletzen Sekunde und länger, doch heute wachte ich viel zu früh auf. Ich wartete nur noch auf das Signal, das mir zeigen würde, es wäre okay jetzt mit meinem Tag zu beginnen.

Wie aufs Stickwort begann der Wecker unter meinen Fingern zu piepen. Schnell stellte ich ihn ruhig und schwang meine Beine über die Bettkante. Ich wusste nicht, wie ich diesen Tag überstehen sollte. Mechanisch machte ich meinen Weg bis zum Badezimmer und zog dort ohne viel darüber nachzudenken meine Morgenroutine durch. Als ich während des Zähneputzens in den Spiegel starrte, kam mir das Gesicht in den Sinn, das ich gestern dort gesehen hatte.

Ich schauderte und spuckte die Zahnpaste schnell ins Waschbecken, bevor ich noch mehr Zeit hatte zu denken. Meine Haare waren wie am Tag zuvor eine einzige Katastrophe. Ich zupfte lediglich ein Haarband aus meiner Sammlung und fasste alle meine Haare zu einem Dutt zusammen, der halbwegs stabil war. Die dunklen Ringe unter meinen Augen interessierten mich ebenso wenig wie meine krankhaft graue und matte Haut oder die anderen Zeichen purer Erschöpfung in meinem Gesicht.

Warum um alles in der Welt sollte ich auch nur das kleinste Bisschen Energie darin investieren schön auszusehen? Allein der Gedanke kam mir total abartig vor, denn ich hatte im Moment so viele Dinge mit denen ich klarkommen musste, dass mein Aussehen auf dieser Liste an einer der letzten Stellen stand. Der Gedanke, dass meine Klassenkameraden darum natürlich einen Aufstand machen würden füllte mich mit Wut. Ich würde ihnen stark davon abraten mich heute auf irgendetwas anzusprechen.

Während ich noch mit meinen Gedanken beschäftigt war, hörte ich meine Mutter die Treppe heraufkommen. Die Tür zu meinem Zimmer wurde aufgemacht und sie rief mich verwirrt, als sie mich dort nicht fand. Ich schloss die Augen.

HerzschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt