Kapitel 5

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~Herzschlag~

Der Tag schleppte sich unglaublich langsam dahin. Ich sah nur einen langen Gesichterstrom an mir vorbeiziehen, der ausnahmslos mitleidigen Minen zeigte, die Übelkeit in mir auslösten. Ich wusste, Nate hätte es nicht gewollt, wenn ihn alle bemitleiden würden. Ich wusste, er würde das nicht wollen. Ich konnte praktisch sehen, wie wütend er werden würde, wenn er gewusst hätte, wie viele Leute mir mit Mitleid entgegenkamen. Ich wusste nicht, wann sie alle starben. Ich wusste nur, dass die meisten von ihnen ein langes, manchmal glückliches Leben führten und bis zu dessen Ende nur selten einen Gedanken an Nathan Troy verschwendeten. 

Er wollte auch zu Lebzeiten nie bemitleidet werden. So kitschig das klang, aber er war ein Kämpfer. Und Mitleid passte ihm nicht, genauso wenig wie mir. Obwohl Kämpfer war wohl nicht der richtige Ausdruck. Kämpfer waren stark und litten lautlos. Nate tat das nicht. Er war eher einer, der die Tatsachen verdrängte jedoch aber nicht daran dachte aufzugeben.

Er war jemand, der seine gute Laune behielt, wenn auch von starkem Sarkasmus überzogen. Er war jemand der von Zeit zu Zeit bitter war und sich gerne über die Grausamkeit ausschimpfte. Aber er hätte niemals anderen das Herz schwer gemacht damit. Niemals würde er einem ins Gesicht schreien, dass er sterben würde und damit seine verbliebene Zeit noch schwerer zu machen.

Er würde eher vortäuschen. Vor den meisten bewahrte er seinen Schein und das wussten wir beide. Meistens gab er lahme Ausreden dafür, warum er nicht schneller ging und wir alle gaben vor es ihm zu glauben. Vor anderen ließ er diesen Schein nie fallen und sollte ihn doch einmal jemand auf die Krankheit hinweisen, dann würde er sarkastisch werden, fast sogar bissig. Er spielte es herunter und versuchte normal zu sein.

Nur wenn wir alleine waren ließ er den Schein fallen, ich hörte ihn keuchen, sah wie er seine Hand gegen die Brust presste und lag stundenlang mit ihm an den Klippen, darüber redend, wie dämlich sein Herz war. Ich seufzte.

Auch wenn es mir unendlich lange vorkam, schien der Schultag schließlich doch ein Ende zu finden und ich entschloss mich nicht den Bus zu nehmen, ich würde Gesellschaft jetzt nicht ertragen. Also schlich ich langsam und ich Gedanken versunken nach Hause. Ich achtete darauf nicht an ihn zu denken, denn jedes Mal wenn meine Gedanken in diese Richtung gingen, spürte ich wie das schwarze Loch sich öffnete. 

Monoton zogen die Häuser an mir vorbei, ich nahm nichts mehr richtig wahr. Mein Zuhause tauchte vor mir auf, bevor ich es realisierte und bevor ich meinen Blick abwenden konnte, lag sein Haus vor mir. Ich zitterte bei dem Anblick und die Erinnerungen, die ich damit verband. Ganz kurz glaubte ich ein Gesicht am Fenster zu sehen, das dann jedoch schnell wieder verschwand. 

Keine Minute später wurde die Haustür aufgestoßen. Nates Mutter stürmte heraus. Ich sah, dass sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Mein Körper war wie erstarrt. Ihre Augen, die Nates so ähnlich waren, waren nun so viel härter, sie waren von Schmerz durchzogen und glänzten mit neuen Tränen. Ihre Züge waren erschöpfter, es schien als sei sie um Jahre gealtert, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, seit dem Begräbnis. 

Dann wurde mir klar, dass ich das nicht konnte. Ich war noch nicht bereit mit ihr zu sprechen, auch wenn ich ihr Verlangen mit mir zu sprechen deutlich in ihren Augen erkennen konnte. Augenblicklich löste ich mich aus meiner Starre und sprintete davon. Ich ließ ihre verzweifelten Rufe, die mir das Herz zerrissen hinter mir zurück und rannte geradewegs an meinem Haus vorbei auf die Klippen zu.

Ich musste jetzt alleine sein.

Obwohl meine Lungen brannten und meine Muskeln schmerzhaft pulsierten, konnte ich nur an eines denken. Das unglaublich starke Pumpen meines Herzens gegen meinen Brustkorb. Es arbeitete so stark, dass ich glaubte es würde explodieren. Dieses eklige, lebendige Schlagen in mir widerte mich irgendwann so an, dass ich es aufgab weiter zu rennen. 

HerzschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt