Kapitel 9

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~ Herzschlag ~

Nates Brief:

Ich weiß, dass meine Mutter dir das hier geben wird. Ich weiß zwar nicht wann, aber irgendwann ganz sicher, denn ich weiß, dass mich diese Arschlöcher sicher nicht an die Spitze der Leute setzen, die ein Spenderherz brauchen. Irgendwo ganz unten werde ich wahrscheinlich angehängt, die Hoffnung haben sie ja doch schon alle aufgegeben. Ich merke es, da die Termine langsam seltener werden, ich weiß, dass man mich aufgibt. Aber noch lebe ich.

Und ich solchen Momente wünsche ich mir oft, dass Menschen nicht so durchschaubar wären, dann hätte ich nicht die Schuld in den Augen der Ärzte gesehen, die sie sonst nur zum Ausdruck bringen, wenn sie einen Patienten verloren, dann hätte ich wahrscheinlich in Frieden weiterleben können. Ich hätte meine Stunden damit verbracht Hoffnung zu haben und nicht in meiner dunklen Gewissheit weiter dahin zu treiben.

Weißt du, wenn man das hier so liest, dann mag man vielleicht denken all das sei schrecklich. Doch niemand, der nicht selbst am eigenen Leib erfährt wie es ist langsam und innerlich zu sterben, der wird es nie vollends verstehen. Es ist eine Sache zu wissen, dass einem der Tod naht, vielleicht in den wenigen Sekunden vor einem Autounfall, in denen sich die Pupillen noch ein letztes Mal vor Schreck erweitern und das Herz noch einen letzten Adrenalinstoß von sich gibt, sich die Muskeln krampfhaft verspannen und einem der Schrei im Hals stecken bleibt, weil der Aufprall zu schnell kommt. Vielleicht weiß man dann ansatzweiße, wie es sich anfühlt bald zu sterben, der mörderische Schreck und die Angst, die einem im Nacken sitzt und einem schläfrig einflüstert, dass es bald alles vorbei ist. Vielleicht kennt man sie dann.

Vielleicht kommt aber auch das Gefühl näher, das man verspürt, wenn man während eines Falles den Boden immer näher auf sich zukommen sieht, wenn man weiß es wird nur noch einen Bruchteil von Sekunden dauern, bis man auf dem harten Untergrund aufprallt und mit zerschmetterten Gliedmaßen liegen bleibt und fühlen wird, wie das Leben den eigenen Körper verlässt. Vielleicht kommen diese Sekunden an das Gefühl heran, das ich verspüre.

Vielleicht ist es auch das Gefühl, das man verspüren würde, wenn man sich langsam die Pulsadern aufschneiden würde. Vielleicht würde das langsame Herauslaufen des Blutes aus den Adern dem Gefühl des langsamen Sterbens nahekommen, das ich gerade fühle.

Obwohl, der wie ich finde passendste Vergleich wäre Gift. Wenn man die Angst durchleiden muss, die einen lähmt, während man die tödliche Substanz irgendwie verabreicht bekommt. Den puren Terror, wenn man es kommen sieht, weiß, dass es passieren wird. Es gibt keine Worte, um die Panik zu beschreiben, die einen durchlaufen würde, wenn man langsam spüren würde, wie das Gift überhandnimmt, wenn man langsam spüren würde, wie es einen kriechend innerlich umbringt.

Doch all das sind nur schwache Vergleiche zu dem, was ich durchmache, nicht einmal das volle Maß an Angst, die man zum Beispiel beim Abdrücken einer Pistole gegen den Kopf oder beim Sprung oder bei einem Messerstich, einem Einnehmen von Schlaftabletten, was auch immer fühlen würde wäre genug, um auch nur einen Bruchteil dessen zu beschreiben, was ich gerade durchmache.

Ich hoffe, das hat geholfen mich etwas besser zu verstehen. Das Wissen, das da etwas in mir ist, das mich am Leben erhalten sollte, dessen Schlag mir Sicherheit geben sollte und das in Wirklichkeit nur eine tickende Zeitbombe ist, die darauf wartet zu explodiere, dieses Wissen bringt mich um. Oder nein, mein Herz ist keine Zeitbombe, es wird auch nicht explodieren. Es wird stoppen. Irgendwann, vielleicht in drei Jahren, vielleicht in dieser Sekunde wird es aufhören zu schlagen und mich hilflos zurücklassen. Jeden Tag kann ich seinen Verrat fühlen, ich spüre die Unregelmäßigkeiten, den schwachen, flatterhaften Schlag, der mich immer wieder aufs Neue in die Knie zwingt.

HerzschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt