Kapitel 7

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~Herzschlag~

Der Morgen verging wie in einem verschwommenen Farbstreifen, der viel zu schnell an mir vorbeizog. So sehr ich mich bemühen wollte, ich fand einfach nicht die Kraft dazu zur Schule zu gehen. Stattdessen verließ ich das Haus einfach zur selben Zeit, damit meine Mama sich nicht unnötig Sorgen machte. Allerdings ging ich anstatt den Weg zur Schule einzuschlagen in eine ganz andere Richtung. Ich vermied es am Haus von Nates Familie vorbei zu gehen, denn ich wollte unter keinen Umständen dem lebenden Beweis begegnen, dass er gelebt hatte, niemals hätte ich es verkraftet in dieselben funkelnd grünen Augen zu blicken, aus denen er mich einst angeblickt hatte. 

Deshalb ging ich stattdessen ein paar Straßen weiter in Richtung Innenstadt. Es war kalt geworden hier, man spürte dass der Winter bald anbrechen würde und es schien mir passend. Ewiger Winter schien mir nun passend, denn als er ging hatte er alle Wärme aus meiner Welt mit in sein Grab genommen. Schade, dass er sie nicht mehr fühlen konnte. 

Meine Füße liefen von alleine und bevor ich überhaupt wusste, wo ich hin wollte hatte ich schon fast einen gewissen Ort erreicht, der mir sehr gut bekannt war. Erst als ich direkt vor dem Zaun des städtischen Schwimmbads angekommen war, blieb ich stehen. Normalerweise war hier alles voller Leben, doch nun schien alles ausgestorben.

Die sonst so grünen Wiesen lagen braun da, an manchen Halmen haftete noch der kalte Frost der Nacht und ließ sie weißlich glänzen. Die Bäume wirkten ebenso welk und auch wenn sie ihre Nadeln im Winter nicht verlieren würden, schienen sie unglaublich trostlos. Bevor ich mir überlegte, was ich tat hatte ich schon ein Bein über den Zaun geschwungen und ging wie in Trance über die graue Wiese bis zu den vertrauten Becken.

Träge ließ ich meine Augen über den Ort wandern und nahm den Anblick der leeren, silbernen Becken eingebettet in dem toten Rasen und beschmückt mit geisterhaft leeren Rutschen sowie Springböcken wahr. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich vergrub meine Hände fester in den Jackentaschen. Langsam wanderte ich den ganzen Weg bis hinunter zu den kalten, eisernen Stufen die in das leere Becken führten. 

Bald stand ich in der Mitte des Beckens, dessen Wasser mir normalerweise bis über den Kopf ging. Nun überragten mich auch die silbernen Ränder des Schwimmbeckens und ließen mich an andere Zeiten denken. Meine Hand glitt gedankenverloren über die glatte, eiskalte Fläche und ich geriet wieder in den seichteren Teil des Beckens. Mit ein wenig Kraft hob ich mich nach oben und setzte mich auf den Rand, den Blick starr auf das leere Metallbecken gerichtet.

Erinnerungen wurden in mir geweckt, so oft hatte ich schon hier gesessen, doch niemals alleine. Langsam ersetzten die Bilder aus meinen Erinnerungen die Bilder aus der Realität und versetzten mich zurück in einer glücklichere Zeit.

Die Wiese war grün, gelegentlich mit Blumen beschmückt und man sah einige Bienen umhersurren. Die Bäume strahlten gesund und mit aufrechten Nadeln, sie spendeten denen Schatten, die ihre Handtücher unter den langen Ästen ausgebreitet hatten. Meine Füße baumelten plötzlich nicht mehr im Nichts, sondern wurden von einer in der Sonne glitzernden und kühlen Flüssigkeit umhüllt. 

Lachen war um mich herum zu hören und ich konnte überall Menschen sehen. Als ich einen Blick zu meiner Seite warf sah ich ein Gesicht, dass ich mehr vermisste als alles andere an dieser Erinnerung. In seinen Augen spiegelte sich der Widerschein der kleinen Wellen, die das Wasser warf und das Haar fiel ihm ins Gesicht. 

Anders als bei allen anderen saß auf seinem Gesicht jedoch kein Lächeln. Kein Funken Freude oder Fröhlichkeit war in seinen Augen zu entdecken, als er seinen Blick langsam auf mich richtete. Ich wusste wieso. Er war der Außenseiter. Das T-Shirt, das er trug verdeckte die lange, weiße Narbe die sich über einen Teil seiner Brust, genau den Teil, unter dem sein Herz lag zog. Niemals würde er es ausziehen. Genauso wie er niemals dazu in der Lage sein würde einfach ins Wasser zu springen und zusammen mit den anderen Spaß zu haben. Mit einem letzten Blick auf die Augen, die für einen fünfzehnjährigen viel zu alt schienen verschwamm dieses Bild.

HerzschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt