„Nun sieh dir doch einmal diese dummen Dinger an", zwitscherte die Amsel, die gerade auf dem Apfelbaum saß und über den Zaun des Geheges zu den Enten blickte. „Den ganzen Tag laufen sie rum und schnattern und quaken. Dann hüpfen sie in diesem kleinen Wasserbecken umher und ab und an fressen sie die Körner."
„Also ich würde meine Flügel nicht so verkümmern lassen", erwiderte ihr der Spatz. „Ich fliege lieber den ganzen Tag umher und genieße den Wind, der durch meine Federn strömt, wenn ich durch die Luft flitze."
„Ja, genau meine Rede. Ich würde meine Freiheit nicht so einfach aufgeben. Ich frage mich ständig, was diese Enten eigentlich dazu bewegt, hinter diesem Zaun zu leben. Am Abend, wenn es dämmert, verkriechen sie sich sogar in dieser Hütte." Die Amsel schüttelte verständnislos ihr kleines Köpfchen.
„Vielleicht gibt es da drin ja was Gutes", meinte der Spatz. „Zumindest müssen sie sich so kein Nest bauen. Meine Frau und ich haben uns im März eines gebaut, weil wir Eier wollten. Das war eine Arbeit, sag ich dir. Und dann hat es ihr zuerst gar nicht gefallen. Ich musste alles neu bauen, noch einmal Zweige sammeln und sie mühsam zusammen stecken. Ich wäre froh um so eine Hütte, aber meine Freiheit würde ich dafür nicht aufgeben."
Die Amsel breitete ihre Flügel aus und machte sich zum Abflug bereit.
„Mir reicht dieses Ratespiel, ich frag die Enten jetzt, warum sie das tun. Kommst du mit?" Der Spatz nickte, dann flogen die beiden hinüber zu den Enten.
„Hallo, Frau Ente", grüßte die Amsel. „Warum lebt ihr eigentlich hier und fliegt nicht weg?"
„In der Hütte ist es schön warm", schnatterte die Ente. „Und die Menschen bringen uns immer gute Körner und sie beschützen uns vor diesem Katzenvieh. Einmal wollte sie mein Junges reißen, dann hat der Bauer seinen Besen genommen und ihn ihr über den Buckel gezogen. Das war lustig."
„Aber vermisst ihr es nicht zu fliegen?", fragte der Spatz.
„Ja, natürlich, aber uns ist es das alles wert. Wenn ihr edlere Tiere wäret, würden die Menschen vielleicht auch für euch sorgen", quakte eine andere Ente.
„Komm, Spatz, lassen wir diese hochnäsigen Vögel lieber allein. Einen schönen Tag noch."
Die Amsel und der Spatz flogen wieder zum Apfelbaum und zwitscherten fröhlich ihre Lieder weiter.
„So, Bub, heute holen wir die Enten", sagte der Bauer zu seinem Sohn. „Bring doch bitte das Beil aus dem Schuppen."
„Quack, quack, quack!", schnatterten die Enten, als der Bauer ins Gehege kam. Er fing die fünf Großen ein und nahm sie mit.
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Geschichten
Short StoryEine Sammlung von Kurzgeschichten und anderen Gedanken. Ein Prosawerk von Dvrenvard #1 in Prosa [22. Mai 2018]