Die Bad-Boy-Bestürzung

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Seit drei mir endlos erscheinenden Wochen war ich nun schon im fernen Tirol gefangen. Ich hatte mir die Haft zwar selbst auferlegt, ich musste ja unbedingt im Klinikum den Lehrer spielen, doch wenn ich zuvor gewusst hätte, was dies bedeutete, hätte ich die ehrenvolle Aufgabe wohl von mir gewiesen.

Doch nun war es endlich so weit, ein herrlicher Freitagabend, meine Schüler hatten gerade mehr oder weniger erfolgreich ihre Prüfungen absolviert, und ich war endlich frei von meinen Pflichten. Endlich konnte ich beruhigt in meine Heimat nach Bayern fahren. Mein Herz stolperte über jeden Schlag, wenn ich daran dachte, wieder bei ihr sein zu können. Seit Weihnachten hatte ich nun meine Christina schon nicht mehr gesehen. Eigentlich war ich sogar froh, dass mich das Klinikum so eingespannt hatte, so blieb mir wenigstens nicht viel Zeit für Sehnsucht, aber die war ja jetzt hinfällig. Schnell lief ich von meiner Wohnung zum Hauptbahnhof, die Fahrkarte hatte ich längst gekauft, und schon es ging, glücklicher- und ausnahmsweise ohne Verspätungen, mit dem Schnellzug über München nach Landshut.

Am Samstagabend, nach einer warmen Dusche, machte ich mich schick, zog meine fetzige neue Lederjacke an und ging zu meinem guten Freund Heinz. Wir wollten auf eine große Party in der Nähe gehen, Ina würde auch hin. Dort angekommen kauften wir uns gleich zwei Halbe, stießen an und erzählten uns kurz, was wir alles erlebt hatten.

„Siehst du sie schon?", fragte ich ihn immer wieder ungeduldig. Heinz seufzte, er sah mich etwas genervt an.

„Nein, aber sie wird schon noch kommen", erwiderte er jedes Mal.

„Ja, da hinten ist sie auch schon. Und fuck, hat sie sich hübsch angezogen!", rief ich erstaunt und überglücklich. Schnell lief ich zu meiner Prinzessin, sie warf sich gleich in meine Arme und wir drückten uns wohl eine halbe Minute.

„Servus Ina, endlich!", sagte ich aufgeregt.

„Ja, endlich, Oliver, endlich sehen wir uns wieder", lachte sie.

Ich holte ihr schnell etwas zu trinken und wir begannen, das längst Überfällige nachzuholen.

Es war unbeschreiblich schön, wieder mit ihr zusammen zu sein, wie lange, in wie vielen schlaflosen Nächten hatte ich von diesem Moment geträumt.

Zunächst war alles gut und herrlich, bis dieser Typ auftauchte. Groß, gut gebaut und eine ganze Gang hirnloser Gorillas bei sich, machte er sich bei uns wichtig. Er griff Ina an die Hüfte und hauchte ihr selbstbewusst, aber auch erbärmlich irgendetwas in ihr Ohr. Sie drehte sich gleich zu ihm und sagte ihm bestimmt, er solle sie doch bitte in Ruhe lassen.

„Sie ist mit ihrem Freund da, also verzieh dich", schimpfte auch Corinna, Inas beste Freundin, ihn.

Aber der dachte ja gar nicht dran. Als seine Hand dann noch weiter an ihr runterwanderte, platzte mir der Kragen. Eigentlich bin ich ja ein Pazifist, der jede Gewalt ablehnt, aber wenn jemand mein Mädchen belästigt, hört der Spaß auf. Ich packte ihn am Arm und zog ihn von ihr weg -

Leider gefiel ihm das gar nicht.

„Was willst du kleines Zwichtel von mich?", fragte er mich in seinem wohl besten Deutsch.

„Lass sie einfach in Ruhe und geh woanders hin", antwortete ich energisch.

„Nein, ey, isch fick die Kleine heute noch, also verzieh du dir!", schrie er mich an.

Heinz erkannte die Situation und kam mir unterstützend zur Hilfe, die Anspannung einer sich anbahnenden Schlägerei lag in der Luft. Ina sah das alles zum Glück nicht, sie war gerade zur Toilette gegangen.

Wir gingen aufeinander los, aber da Heinz und ich schnell bemerkten, dass wir gegen eine Horde wild gewordener Bodybuilder keine Chance hatten, und vor allem weil ich meine Approbation nicht wegen so einem Nichtsnutz verlieren wollte, zogen wir uns genauso schnell, wie die Situation eskaliert war, wieder aus dem Kampffeld zurück.

„Wenn du ihr noch einmal zu nahe kommst, kommt deinem Schädel meine Bierflasche auch zu nahe!", rief ich ihm aber noch zu. Das musste sein.

Leider.

Denn Ina war wieder zurück und hatte es gehört. Leider nur das.

Den ganzen Abend sprach sie kein Wort mehr mit mir, nicht mal verabschieden konnte sie sich, als ihr Vater sie abholen kam.

Ich konnte nur noch mit ansehen, wie er noch weiter mit ihr „flirtete" und auch noch ihre Handynummer abstauben konnte.

Am nächsten Tag wollte ich ihr alles erklären, aber sie wollte nicht hören. Sie war zu geschockt von meiner Aggression. Zugegeben, ich war es auch, aber ich wollte sie ja nur beschützen.

Das Schlimmste war, dass unsere Beziehung daran zerbrochen ist.

Auch wenn die Trauer noch immer tief in meinem Herzen liegt, war mir die Geschichte doch eine Lehre:

Mädchen stehen nicht auf Ritter, sondern auf Bad-Boys.

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