Die Wahrheit

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,,Was ist schlimmes passiert, dass du nicht mehr Nachhause willst?'', ich merke wie mein Herz bei seiner Frage schneller schlägt und meine Hände leicht schwitzig werden. Innerlich führe ich gerade einen Kampf aus. Mein Gehirn sagt, ich solle die Klappe halten, doch mein Herz sagt leider was anderes...

,,Niko, ich kann es dir nicht sagen.'', flüstere ich mit Tränen in den Augen. ,,Doch das kannst du! Vertrau mir!'', sagt er, nimmt meine Hand in seine und schaut mir in die Augen, mit einem Blick, der sagt: Ich bin für dich da! ,,Eigentlich ist es lächerlich.'', sage ich das, was ich manchmal wirklich denke. Ich meine, ganz ehrlich, ich bin 16 Jahre alt und kann mich nicht gegen meine Mutter wehren? ,,Das ist es ganz sicher nicht.'', sagt Niko ernst. Und dann geht einfach alles ganz schnell, ich beginne zu erzählen. Alles. Das mein Vater nie da ist, dass ich meiner Mutter egal bin, keine Freunde habe, mich alleine fühle und mich wie Dreck fühle. Und am Ende überwinde ich mich dazu, ihm zu erzählen, dass meiner Mutter auch manchmal die Hand ausrutscht. Nur eine Sache kann ich ihm nicht erzählen: Meine Spielsucht. Das habe ich einfach nicht geschafft. Am Ende nimmt mich Niko wortlos in den Arm, woraufhin ich Anfrage zu weinen. Ja ich weine, und es fühlt sich verdammt gut an. Beruhigend streicht mir Niko über den Rücken. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner breiten Schulter und drücke ihn ganz fest. ,,Ich bin immer für dich da!'', flüstert Niko in mein Ohr. Ich nicke leicht. Irgendwann lösen wir uns voneinander. ,,Du darfst das niemanden erzählen Niko! Versprich es mir!'', sage ich ruhig und klarer. ,,Aber...'', fängt er an. ,,Nein! Auf gar keinen Fall.'', sage ich vielleicht etwas zu scharf. ,,Du kannst doch nicht so weiter machen.'', ,,Ich muss.'', ,,Du musst gar nichts.'', ,,Niko ich...'', ,,Nein Mila, geh zur Polizei oder wohne erstmal bei mir.'', unterbricht mich diesmal Niko. ,,Niko, denkst du ich habe nicht auch schon versucht eine Lösung zu finden? Es gibt keine! Das Jugendamt wird es niemals erlauben, dass ich bei dir wohne. Du bist Profisportler und hast wenig Zeit. Ich habe keine Angehörigen, dass heißt ich komme dann ins Heim.'', ,,Vielleicht ist das besser als deine jetzige Situation.'', ,,Besser?'', werde ich nun etwas lauter. ,,Du hast doch keine Ahnung! Im Heim sind geregelte Ausgehzeiten, ich kann nicht einfach mal zum Training oder irgendwo hin gehen. Es ist wie ein Gefängnis! Und ich brauche Freiraum und den habe ich im Moment!', schreie ich. ,,Aber zu welchem Preis? Mila, du wirst geschlagen! Und du weißt wahrscheinlich noch nicht mal wie es sich anfühlt geliebt zu werden.'', ,,Besser nicht geliebt werden und Frei sein.'', flüstere ich. ,,Ich kann doch nicht einfach nichts tun.'', sagt Niko leicht verzweifelt. ,,Doch das kannst du.'', sage ich mit Nachdruck in der Stimme. ,,Wir reden morgen weiter.'', sagt Niko dann. ,,Was willst du machen? Zur Polizei gehen? Das würde ich dir nie verzeihen.'', zische ich. ,,Wir reden morgen.'', wiederholt er sich, dieses Mal auch mit Nachdruck in der Stimme. Ohne noch ein Wort zu sagen bringt Niko mich in sein Gästezimmer, was genau neben seinem Zimmer liegt und gibt mir Schlafsachen. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach...
Um 3 Uhr nachts habe ich das letzte mal auf die Uhr geguckt. An der Uhrzeit sieht man, dass ich am nächsten morgen dann entsprechend launisch und müde bin. Ehrlich gesagt bin ich auch nicht dazu bereit Niko unter die Augen zu treten und erst recht nicht über Mein Leben zu diskutieren. Die halbe Nacht habe ich überlegt, wie ich Niko überreden kann, sich aus meinem Leben oder zumindest aus meinen Problemen rauszuhalten. Eine Lösung gefunden habe ich jedoch nicht, da Niko unfassbar stur ist. Ich könnte mich echt selbst Ohrfeigen! Wieso musste ich es ihm auch erzählen? Wieso musste ich ihn überhaupt kennen lernen? Bei ihm schlafen? Wäre ich doch einfach Nachhause gegangen... dann hätte ich jetzt nicht diese Probleme an der Backe.
,,Mila? Bist du wach?'', höre ich Niko sagen während er die Tür öffnet. Schnell schließe ich wieder meine Augen, um meine Probleme zu verdrängen. Ich merke, wie Niko sich an die Bettkante setzt und mich beobachtet. Dann streicht er mit seiner Hand über meinen Kopf. Er scheint nachzudenken.
Fieberhaft überlege ich, wie ich ,,aufwachen'' soll und ihm unter die Augen treten soll. Aus seiner Sicht bin ich jetzt das kleine verletzliche Mädchen, welches völlig überfordert ist. Und ja, vielleicht ist es so, aber das muss er ja nicht unbedingt wissen. ,,Niko?'', stelle ich mich auf verschlafen, was gar nicht mal so schwierig ist, weil ich ja tatsächlich völlig übermüdet bin. ,,Was machst du hier?'', tue ich auf verpeillt und schaue zu ihm auf. Er sieht ebenfalls relativ müde aus, hat verstrubbelte Haare und leichte Augenringe. ,,Ich muss zum Training.'', flüstert er und streicht mir immer noch über meinen Kopf. Diese Geste ist seltsam und gibt einem einen Hauch von Geborgenheit. ,,Jetzt?'', frage ich und richte mich leicht auf. ,,In 3 Minuten muss ich los.'', ,,Oh.'', sage ich einfach nur. ,,Du kannst hier blieben wenn du willst. Ich habe Joghurt, Müsli und es liegen zwei Brötchen in der Küche. Iss was du willst. Wenn du möchtest, kannst du auch den Tag über hier bleiben, ich bin gegen 15 Uhr wieder da.'', plant er alles durch. ,,Ähm ok.'', ,,Ich muss dann auch.'', sagt er, kommt auf mich zu und streicht mir einmal flüchtig über die Wange. Mit großen Augen schaue ich ihn nach. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass er langsam die Rolle des großen Bruders einnimmt und immer mehr eine Rolle in meinem Leben spielt. Was dagegen tun will ich jedoch nicht...

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