Da ist sie

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Ich blinzele einige Male, doch das Bild bleibt gleich. Lachend laufen sich alle Mädchen ein, während sie laut und fröhlich quatschen. Eingeschlossen Milli. Sie ist so anders und doch so gleich.
Immer noch trägt sie die alten abgetragenen Trikots und Hosen, welche mit Harz überseht sind. Immer noch strahlt sie Kälte und Selbstsicherheit aus.
Jedoch ist auch etwas anders: Sie sieht unfassbar glücklich, befreit und fit aus. Als ich sie zum ersten Mal sah, wo sie mich beklaut hat, erschien sie müde, erschöpft und völlig am Ende.
Alle Mädchen sind so konzentriert, sodass ich mir sicher bin, dass sie mich nicht sehen. Die Verlockung mich Zuhause mit einem Döner aufs Sofa zu schmeißen ist groß, Milli jedoch endlich wieder zu sehen ist größer.
Während des Trainings habe ich meinen Blick ununterbrochen auf sie gerichtet. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist heute ihr erstes Training nach der Pause. Das scheint ihr aber keineswegs geschadet zu haben. Jeder Wurf geht ins Tor, jeder Pass sitzt, jede Entscheidung ist die richtige.
Nach dem Training bin ich unschlüssig. Soll ich jetzt hier warten und gleich mit ihr reden? Ich weiß es nicht und habe ehrlich gesagt auch Angst auf ihre Reaktion.
Am Ende gebe ich mir einen Ruck und beschließe auf sie zu warten.
Minuten verstreichen. Gespannt wechsele ich mein Gewicht auf ein Bein zum anderen.
Schließlich kommt sie die Treppen hoch gelaufen, an ihrer Seite zwei Mädchen. Alle sind sie am lachen. Als mich jedoch einen von ihnen entdeckt, verstummt sie und bleibt perplext stehen. Milli hat mich noch nicht entdeckt, weswegen sie sich verwundet umdreht. ,,Hast du nen Geist gesehen?'', fragt das andere Mädchen. Als die beiden bemerken, wohin das Mädchen guckt drehen sich beide zu mir um. Gespannt schaue ich auf Millis Gesicht. Zuerst kann ich alle ihre Gefühle aus ihren aufgerissen Augen ablesen: Erschrecken, Verwunderung, Trauer, Wut, perplexität, Überforderung. Das ist aber nur in den ersten paar Sekunden der Fall, denn dann wechselt ihr Gesicht zu einer kalten Maske, die mir einen Schauer über den Rücken jagt.
,,Ist was?'', fragt sie ruhig. Das eine Mädchen haut sie wegen ihrer unfreundlichen Art leicht gegen das Schienbein. Sie kann ja nicht wissen, dass ich es aus Millis Sicht verdient habe. Milli ignoriert dies jedoch.
,,Können wir reden?'', frage ich leise. Spätestens jetzt müsste man sich darum sorgen, ob die Augen der anderen Mädchen nicht gleich ausfallen. ,,Keine Zeit.'', antwortet sie und zieht die anderen beiden mit sich. Auf den Weg nach draußen dreht Milli sich noch einmal um und schaut mir direkt in die Augen. Und eins kann man ganz genau raus lesen: Halt dich von mir fern.
Ich schlucke.
Wütend trete ich mit meinen Fuß gegen die Wand. Dann gehe ich enttäuscht zu meinem Auto. So habe ich mir das nicht vorgestellt.

Millis Sicht

Ich bin noch nie so froh gewesen endlich Sophie und Rike los geworden zu sein. Die ganze Zeit über haben sie mich mit Fragen durchlöchert. Und die ganze Zeit habe ich gelogen. Jetzt denken sie, dass er mich durch meinen Cousin zweitens Graden kennt und er mit mir reden will, weil das letzte große Familientreffen wegen ihm im Streit geendet hat. Nun wollte er sich angeblich bei mir entschuldigen...
Kopfschüttelnd über meine Fantasie öffne ich die Haustür. Mit Vertrautheit ziehe ich meine Schuhe aus, hänge meine Jacke auf und gehe wie immer erstmal im Garten um zu entspannen. Geduscht habe ich schon in der Halle.
Erschöpft vom Training und von der Begegnung mit Niko setze ich mich auf eine Bank. Wie kann Niko es wagen sich jetzt blicken zu lassen? Nach fast einem halben Jahr? Als ich Niko sah, war ich vollkommen überfordert. Ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll.
Letztendlich war ich noch zu verletzt, um ihm wieder meine eigentliche Art zu zeigen, weswegen ich ihm die kalte Schulter zeigte. Was hat er auch in der Halle gesucht? Wahrscheinlich hatte er vorher Training. Eine andere Erklärung könnte ich mir jedenfalls nicht herleiten.
,,Milli, ist alle in Ordnung?'', reißt mich jemand aus meinen Überlegungen. Völlig verdattert wende ich meinen Blick nach Rechts. ,,Pit? Was machst du hier?'', frage ich völlig durcheinander. ,,Was wohl? Ich wohne hier.'', lacht er. Normalerweise würde ich jetzt auch lachen, doch das lässt meine jetzige Situation einfach nicht zu. Statt dessen lasse ich meinen Kopf in meine Hände fallen. Sofort stoppt sein Lachen.
,,Was ist los?'', fragt er besorgt und setzt sich neben mich. ,,Ich habe Niko heute getroffen..'', murmele ich und richte mich wieder auf. Zuerst schaut er verwirrt, doch dann scheint er zu wissen von wem ich spreche. ,,Und wie wars?'', ,,Was glaubst du denn? Ich habe reagiert wie eine typische Milli, die überfordert ist.'', grinse ich schließlich wieder. ,,Also bist du ihm um den Hals gefallen und hast ihn sofort verziehen?'', schmunzelt er. ,,Nein, mal Spaß beiseite. Du hast ihm die kalte Schulter gezeigt stimmt's?'', ich nicke. ,,Und was willst du jetzt machen?'', ,,Ich habe keine Ahnung..'', stöhne ich. ,,Mal was anderes, was willst du eigentlich zu deinem Geburtstag machen?'', fragt er mich. ,,Ehrlich gesagt will ich einfach nicht an meinen Geburtstag erinnert werden..'', sage ich und etwas Trauer schwingt in meiner Stimme mit. Meine letzten Geburtstage waren nicht gerade berauschend...
,,Das geht hier jedem so.'', sagt er mitfühlend und sofort fühle ich mich verstanden.
,,Schenken werde ich dir aber trotzdem was.'', hängt er ran. ,,Wenn's sein muss..''
,,Vielleicht solltest du mal mit ihm reden.'', sagte er nach kurzer Stille, wo jeder seinen Gedanken nachhängt. ,,Du solltest mich inzwischen lange genug kennen, um zu wissen, dass ich sowas nicht kann.'', sage ich und verziehe mein Gesicht. ,,Dann weiß ich auch nicht. Aber wenn er dich das nächste mal sieht, kannst du dann bitte versuchen ein Gespräch aufzubauen.'', bittet er mich. ,,Wieso ist dir eigentlich so wichtig, dass ich ihm verzeihe?'', frage ich leicht verwirrt. ,,Milli, du merkst es vielleicht nicht, aber wenn du von ihm geredet hast, habe ich gemerkt, wie sehr du ihn vermisst und wie schön eure Zeit war. Deine Augen haben geleuchtet, wenn du mir von seiner lustigen Art erzählt hast. Du vermisst ihn und ich will, dass du glücklich bist.''

Wie findet ihr Pit? In den nächsten Kapiteln werden Niko und auch die Mannschaft wieder mehr mit eingebaut :) Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen.

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