Kapitel 31 | Zurück auf Nyanien

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Ori!" Die Assassine wurde zaghaft durchgeschüttelt. "Ori!"
Benommen öffnete sie ihre Augen.
Die Welt war verschwommen, sie sah drei Punkte vor sich.
Einer war schwarz-rot-hautfarben, der nächste blau-violett-türkis und der letzte weiß-golden-hautfarben.
"Ori?" Sie erkannte Zaeiths Stimme. "Bist du wach?"
"Hrnnn...?", machte sie, hob einen Arm und rieb sich die Augen.
"Das ist gut." Die Stimme ihres Vaters klang warm in ihren Ohren wider. "Solange sie wach ist, ist alles gut. Es ist vielleicht hinderlich, aber so kommen wir wenigstens voran."
"Warum tut Ihr das eigentlich?", fragte Zaeith irritiert. "Alleria wird Zeter und Mordio schreien."
"Ich hab eine Nichte, das wollte ich schon immer, also helfe ich euch.", erwiderte der Paladin und schob Ori in Zaeiths warme Hände, die sie sofort hochhoben. "Wir müssen nur noch Alynas holen."
"Wie konntet Ihr sie retten?" Dhania. Zum Glück war sie hier.
"Ich sagte Alleria, die Reinigung von Missgeburten sei dem Licht überlassen, das ließ sie zu. Mit ein paar Argumenten konnte ich sie davon überzeugen, nicht dabei zu sein. Alynas wird bald in Sicherheit sein."
Ori blinzelte ein paar mal, bis sich die Verschwommenheit ein wenig zurückzog.
Sie erkannte, dass sie liefen, aber die Gegend war stockfinster und wurde nur von ein paar Fackeln erhellt.
Die Fackeln wichen Laternen und kühle Nachtluft strömte in ihre Lungen.
Es war ungemein angenehm, nach all der Zeit in der Leere wieder einen anderen Wind zu spüren.
Turalyon wich vor dem Burgtor nach rechts aus, Richtung Kathedralenplatz, und überrascht stellte Ori fest, dass ihr Vater die Wachablösung überdacht hatte.
Er hatte schon ein paar Ähnlichkeiten mit einem Schurken.
Sie erreichten den Platz und Turalyon bedeutete ihnen, zurückzubleiben und sich in der Krone eines Apfelbaumes zu verstecken, was Zaeith mit seiner Verstohlenheit noch effektiver gestaltete.
Turalyon grinste und huschte weiter zum Waisenhaus.
Er klopfte kurz, dann wurde die Tür geöffnet und ihm ein Baby in die Hand gedrückt.
Alynas.
Das kleine Mädchen gluckste leise vor sich hin und schenkte dem Paladin ein Lächeln nach dem anderen.
"Kommt wieder runter." Turalyon winkte ihnen zu. "Schnell."
Zaeith war sofort zurück auf dem steinernen Boden und Ori streckte ihre Hände nach Alynas aus.
Turalyon gab ihr ihr Kind zurück und strich kurz über Oris Kopf. "Am besten, ihr kommt zurück, wenn sie eine gute Kämpferin ist."
"Das wäre das beste...", seufzte Ori und drückte Alynas fest an sich. "Danke, Papa."
Der Paladin schien ein wenig überrascht über die Ansprache, dann lächelte er. "Ich warte auf Azeroth auf euch. Lasst nicht allzu lange auf euch warten."
"Ich werde des öfteren vorbeikommen.", meldete sich Dhania zu Wort. "Heimlich."
"Tu das." Turalyon umarmte sie. "Ich danke dem Licht, mit allem, was ich habe, dass ihr noch am Leben seid.", fügte er wispernd hinzu. "Zwar als Leerenelfen, aber ihr lebt, und das ist am wichtigsten für mich."
"Ich wünschte, Alleria würde das auch so sehen.", murmelte Dhania. "Aber das tut sie offenbar nicht. Wer weiß, vielleicht kann Arator ihr Gemüt ändern?"
"Wer weiß, wer weiß.", wiederholte Turalyon lächelnd und löste sich von ihr. "Aber geht jetzt. Die Wachen ko-" Er sprach schon mit der Luft. "-mmen..."
Leise lachend wandte er sich ab und gab vor, normal spazieren zu gehen.

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Kein Laut kam über Oris und Zaeiths Lippen.
Das Portal von Dhania war genau dort, wo es immer war, mit Ausblick auf die Festung, die aus Mondstein gebaut war, wie es schien.
Denn alles an der Festung schimmerte bläulich wie Teldrassils Mondbrunnen.
Da man von der mit wenigen blauen Laternen beleuchteten Gegend kaum etwas erkennen konnte, wandten sie sich dem beeindruckenden Firmament zu.
Eine violette Milchstraße prangte auf dem dunklen Hintergrund, sah fast aus wie ein angehaltener Mahlstrom - und am schönsten war der Vollmond, der sich genau in der Mitte des Sternenmahlstroms befand.
"Willkommen in Nyanien.", grinste Dhania und ging zu einem vom Flussbett herauf violett leuchtenden Fluss. "Das ist unser Fluss."
"Wie jetzt, unser Fluss?", fragte Ori verwirrt und riss sich mühevoll von dem atemberaubenden Himmel ab.
"Jeder Clan hat einen Fluss und das in einer passenden Farbe. Unser Fluss ist violett."
"Ja, und wofür?" Zaeith legte seinen Kopf schief und Ori sah kurz nach Alynas.
Das Mädchen schnarchte kaum hörbar vor sich hin.
"Hier ist die Festung. Der Clan irgendwo auf Nyanien. Da der Fluss in alle Richtungen benutzt werden kann, ist es ein Verbindungsmittel.", erklärte Dhania ihnen und schnappte sich ein hölzernes Brett, welches fast die Form eines Auges hatte.
Das Brett legte sie auf das Wasser, welches dadurch leise zu murmeln anfing.
"Schnell, nehmt euch auch eins, gleich geht's ab!", rief Dhania hibbelig.
Zaeith warf eins mit dem Fuß ins Wasser, welches immer lauter wurde und langsam auch wilder.
Als Zaeith auf dem Brett stand, lachte Dhania vor Vorfreude.
Ori merkte, dass es langsam vorwärts ging.
Und es wurde immer schneller.
"Jetzt!", rief Dhania und mit einem Ruck, wurden sie nach vorn geschossen.
Dass sie nicht ins Wasser fielen, stellte Ori fest, lag daran, dass die Bretter feste Wurzeln um ihre Füße gewickelt hatten.
Dhania jubelte und Zaeith genoss den Wind ebenfalls, allerdings leise.
Die Gegenden von Nyanien schossen an ihnen vorbei, doch klar war, dass sie wunderschön waren.

Das Rauschen des Flusses wich wieder einem leisen Murmeln.
Dhania kletterte von ihrem Brett auf einen Steg, zog das Stück Holz aus dem Wasser und half Zaeith, der Ori noch immer trug, indem sie sein Brett ebenfalls nahm und weglegte, nachdem er mithilfe seiner Flügel auf den Steg gekommen war.
"Ich kann jetzt selbst gehen.", sagte Ori leise und drückte Zaeith kurz einen Kuss auf die Wange.
"Ich will dich aber nicht loslassen.", erwiderte Zaeith und streckte ihr schelmisch die Zunge raus.
"Ich will das auch nicht unbedingt, aber ich möchte den Boden spüren.", grinste Ori.
Zaeith ließ sie daraufhin auf die eigenen Füße, legte allerdings einen Arm um sie. "Das einzig blöde an Babys ist, dass man die Geliebte nicht mehr an die Hand nehmen kann.", grummelte er unzufrieden.
"Sie wird schnell laufen lernen.", meinte die Assassine und ging weiter.
Ihr Clan-Dorf bestand aus vielen riesigen Bäumen, alle größer und weit breiter als Aldrassil und mit Wohnungen oder Häusern im Stamm.
Ketten aus Leerenenergie hingen von Ast zu Ast wie eine Festtagsbeleuchtung und Leerenefeu kletterte an den weichen Baumrinden hoch und verschönerten alles noch mehr.
Goldenes Licht drang aus den vielen Fenstern und im Kreis der Bäume befand sich ein Teich, umgeben von Diamantbrocken, die im Mondlicht, welches durch die vollen Baumkronen fiel, sanft schimmerten.
"Hat unser Dorf einen Namen?", wandte sich Zaeith an Dhania.
Die Leerenelfe schüttelte den Kopf. "Das hat kein Dorf. Es heißt, wie der Clan heißt. Leerenhüter. Und der Clan heißt, wie der Clan heißt. Das bedeutet, Zaeith, wenn du Ori heiratest, dann heißt sie nicht Ori Sonnenläufer, sondern Ori Leerenhüter. Jedenfalls auf Nyanien." Sie führte sie zum größten Baum. "So, ich zeige euch noch euer 'Haus' und dann gehe ich auch mal zurück zu Daelar."
"Tu das." Zaeith nuschelte es. "Tu's einfach."
"Daelar tut es leid.", erinnerte ihn Dhania. Sie schwieg eine Weile, während sie die Treppen hochstiegen. Dann blieb sie plötzlich stehen. "Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass er extra für dich bei König Löen nach jemandem gefragt hat, der Mutationen rückgängig machen oder heilen kann. Es gibt jemanden. Eulania überbringt die Nachricht, oder hat es schon."
Zaeith schwieg.
Ori nickte Dhania zu und sie ging weiter.
Nach ein paar Minuten erreichten sie die letzte Wohnung unter der gewaltigen Krone.
"Hier wohnt ihr." Dhania stieß die Tür auf. "Lebt euch gut ein, ihr drei."
"Werden wir, danke." Ori lächelte ihr zu, Dhania lächelte zurück und verschwand dann eine Etage unter ihnen in ihrer eigenen Wohnung. "Dann gehen wir mal."
Zaeith nickte, öffnete die Tür für sie und schloss sie hinter sich.
Warme Luft empfing sie hier.
In ihrem neuen Zuhause.

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